Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/087: Atommüll ohne Ende - Deutungs-, Verordnungs- und Rechtswillkür ... Ursula Schönberger im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Ursula Schönberger von der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad e.V. über die Lücken des Bundesrechts und die 'viel größeren' Probleme mit dem Atommüll



Mit der Umsetzung des Standortauswahlgesetzes vom 23. Juli 2013 soll in einem wissenschaftsbasierten Verfahren in den nächsten 17 Jahren ein "Standort für eine Anlage zur Endlagerung in Deutschland" gefunden werden. Eine Expertenkommission zur Endlagersuche soll Kriterien dafür erarbeiten; das wurde bereits vor rund einem Jahr beschlossen. Am 10. April 2014 sollen die Mitglieder im Bundestag nun gewählt und die "Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" von Union, SPD und Grünen auf die Bahn gebracht werden.

Wie aus dem offiziellen Namen erkennbar, geht es in der damit verbundenen Diskussion vor allem um den geringeren Volumenanteil an hochradioaktiven, wärmeentwickelnden Abfällen. An diesen Müll - wie die abgebrannten, heißen Brennelemente - denkt jeder zuerst, wenn es um die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters geht, für die es bis heute weder eine angemessene Entsorgung noch ein Endlager gibt. Die damit verbundenen Probleme sind groß. Doch die "Probleme mit dem Atommüll sind viel größer", so Ursula Schönberger von der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad e.V., die auf der Tagung der Umweltverbände und Bürgeriniativen in Berlin die Arbeitsgruppe 2 unter dieser Fragestellung leitete und einen Vortrag zu den "Konsequenzen aus der Bestandsaufnahme Atommüll" hielt.

Über neunzig Prozent des Abfallvolumens entfallen auf die sogenannten schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, mit deren Lagerung in Asse II und Morsleben bereits negative Erfahrungen gemacht wurden. Durch die geplante Energiewende und die nach der Atomkatastrophe von Fukushima beschlossene Stilllegung von acht Atommeilern hat sich das Problem noch verschärft: Zwecks Risikominimierung gehörten sie schnell abgebaut - da man bereits für die nächsten 20 Jahre befürchten muß, daß das fachkundige Personal sowie die notwendig intensiven Anlagenkenntnisse verloren gegangen sein werden. Der Rückbau bringt jedoch alle Kategorien von bislang nicht berücksichtigtem, radioaktiv verseuchtem Müll mit sich, der ebenfalls entsorgt werden will.

Die Anlage von oben fotografiert. - Foto: By Ballon-sz.de freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-2.0-de Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.en)

Reicht nicht für den ganzen Müll: Schacht Konrad
Foto: By Ballon-sz.de freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-2.0-de Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.en)

Der vorgehaltene Zeitdruck rückt immer wieder den Schacht Konrad in den Fokus des Interesses, ein ehemaliges Eisenerzbergwerk in Salzgitter (in der Nähe von Braunschweig), das derzeit umgebaut wird, um als Endlager für schwach- und mittelaktiven Nuklearmüll verwendet zu werden. Seit Juni 2012 ist allgemein bekannt, daß Wasser in den Schacht einströmt. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) drängt nach wie vor auf seine Fertigstellung bis 2024. Die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad e.V., die sich als Forum für die atomenergiekritische Mehrheit in der Standortregion Asse II, Bartensleben (Morsleben) und Schacht Konrad versteht, fordert den sofortigen Stop des Projekts, für dessen bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erstelltes Einlagerungs- und Sicherheitskonzept sie erheblichen Nachbesserungsbedarf sehen. Es enthält wasserrechtliche Sondererlaubnisse, die die Einlagerung wassergefährdender Stoffe in gefährlicher Weise zulassen. Der Standort wurde ohne jegliche Bürgerbeteiligung durchgesetzt. Darüber hinaus könne Schacht Konrad das Problem der Endlagerung von Atommüll weder qualitativ noch quantitativ lösen, wird aber derzeit von der deutschen Umweltpolitik als ultimative Lösung des Problems gehandelt.

Ursula Schönberger ist Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad e.V und seit 2003 im Vorstand des Vereins. Seit 1985 arbeitet sie aktiv gegen die Einlagerung von Atommüll in die Region. Für sie ist die Suche nach einem Endlager bereits ein Bündnis gegen einen Standort und die dort lebende Bevölkerung. Sie macht sich für eine offene gesellschaftliche Debatte stark, in der die Menschen aus den Bürgerinitiativen auf Augenhöhe mit einbezogen werden. Der Schattenblick sprach mit ihr im Anschluß an ihren Vortrag über die Risiken beim Umlagern von Atommüll, die zahlreichen Gesetzeslücken im Bundesrecht, mit deren Hilfe atomarer Müll zu Wertstoff umdefiniert, "freigemessen" oder mit anderen Kniffen vom Stigma der "Radioaktivität" befreit wird und darüber, warum heute Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen die Arbeit machen müssen, die eigentlich die Regierung oder ihre Aufsichtsbehörden tun sollten.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Entscheidung für einen Standort richtet sich immer gegen einen bestimmten Teil der Bevölkerung.
Ursula Schönberger
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wenn man die Probleme der Standorte Schacht Konrad und Asse II bedenkt, für die ein öffentliches Bewußtsein geschaffen werden muß, machen die Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen die Arbeit, die eigentlich die Regierung oder ihre Aufsichtsbehörden tun sollten?

Ursula Schönberger (US): Einen weiteren Standort möchte ich ergänzen: Das Atommüllager Morsleben ist gleichberechtigt zur Asse II ins Bewußtsein zu rücken, weil es auch dort wirklich ganz ähnliche Probleme gibt. Wir machen tatsächlich in gewisser Weise die Arbeit, die eigentlich die Bundesregierung oder die von ihr beauftragte Atomaufsicht machen müßte, weil diese eben nicht sicherheitsorientiert arbeitet. Doch selbst wenn der Impetus der Bundesregierung, mit der die Atomaufsicht handelt, insgesamt besser wäre, fände ich es trotzdem wichtig, daß sich die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in Initiativen organisieren, weil die gefährlichen Altlasten, die in den Endlagern für radioaktive Abfälle wie Morsleben und der Asse II stecken, in der öffentlichen Auseinandersetzung viel mehr beachtet werden müssen. Und selbst wenn die kritikwürdige Atomaufsicht besser funktionieren würde, hieße das nicht, daß man das gesellschaftliche Engagement nicht bräuchte.

Zufuhrkammer für mittelaktiven Abfall, ca. 20m über der Einlagerungskammer - Foto: By Stefan Brix, freigegeben als Public domain via Wikimedia Commons Eingang der Anlage - Foto: By AxelHH freigegeben als Public domain via Wikimedia

links: Der korrodierte Atommüll aus der Asse soll zurückgeholt werden.
Foto: By Stefan Brix, freigegeben als Public domain via Wikimedia Commons
rechts: Auch in Morsleben stecken gefährliche Altlasten, die es ins Bewußtsein zu rücken gilt.
Foto: By AxelHH freigegeben als Public domain via Wikimedia

SB: Ich fand sehr interessant, daß du sagst, die Suche nach einem Endlager und die Entscheidung dafür ist eigentlich eine Standortauswahl gegen einen bestimmten Teil der Bevölkerung. Bei der Abbaggerung des Dorfes Horno in der Lausitz zur Braunkohlegewinnung haben die Menschen vor Ort bis zum Schluß Widerstand geleistet. Wäre damit auch bei einem atomaren Endlager zu rechnen? Und wie sollte man damit umgehen?

US: Natürlich. Also, wer wollte es den Menschen, die damit leben müssen, verwehren? Vorhin sagte jemand, das ist kein Endlager; es muß also praktisch im Bewußtsein verankert werden, daß dies ein Risikostandort ist und bleiben wird. Daß niemand gerne mit dem Atommüll vor seiner eigenen Haustür lebt, ist wohl aufgrund der Gefahren, die damit verbunden sind, selbstverständlich. Wenn also die Bürgerinnen und Bürger, die Menschen vor Ort, tatsächlich in eine offene gesellschaftliche Debatte einbezogen werden, wenn sie mitentscheiden können, wenn es eben nicht dieses Bündnis gegen einen Standort ist, sondern wirklich ehrlich gemeint wäre, daß man mit den Menschen spricht, dann wäre die Situation schon eine andere. Also, wir haben ja zum Beispiel auch durchaus tolle Bürgerinitiativen, die seit vielen Jahren gute Arbeit machen, die aber nicht sagen: Wenn das Atommüllager Obrigheim zum Beispiel abgerissen wird, dann wollen wir, daß der Müll sofort wegkommt. Wo ein Bewußtsein dafür vorhanden ist, daß der Müll in Obrigheim genauso gefährlich ist, wie woanders und wo es eine Bereitschaft gibt, sich damit auseinanderzusetzen. Es wäre aber natürlich nicht fair, wenn Obrigheim zugestehen würde: "Okay, der Müll bleibt hier", daß sie dann auch gleich noch all den anderen bekommen. Es ist also immer auch die Frage, auf welcher Ebene und mit welcher Ehrlichkeit man miteinander redet.

SB: Wenn es um die Rückholung des Mülls aus der Asse II geht, wird vermutlich ein großer Teil dem Schacht Konrad aufgelastet werden. Wie ist es denn überhaupt mit der Umlagerung? Angenommen, der Müll aus der Asse kann angemessen neu verpackt und umgelagert werden, wie groß ist die Gefahr, daß nicht auch in Schacht Konrad ähnliche Probleme auftauchen wie in der Asse? Welche Risiken werden dabei eingegangen?

US: Die Gefahr ist ganz groß. Die Eignungsaussage für Schacht Konrad wurde von den selben Menschen getroffen, die auch die Eignungsaussage für Asse II und übrigens auch für Gorleben getroffen haben. Schacht Konrad ist eigentlich ein unheimlich veraltetes Konzept. Die ganzen Pläne für Langzeitsicherheitsnachweise stammen aus den 80er Jahren. Man kann sich vorstellen, daß die internationale Diskussion, die wissenschaftliche Auseinandersetzung, weit fortgeschritten ist. Schacht Konrad soll ein nicht rückholbares Lager werden. Ich finde, nach den Problemen in Asse II und Morsleben muß man darüber ganz anders diskutieren. Schacht Konrad ist eigentlich eine Anlage aus dem Denken der 70er, 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Da das nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, besteht die große Gefahr, daß wir, wenn Schacht Konrad eines Tages in Betrieb geht, vor nicht genau denselben, aber vor ähnlichen Problemen stehen.

SB: Ist das Problem, wann Müll zurückgeholt wird und wann nicht, gewissermaßen eine Definitionsfrage? Welche Kriterien muß radioaktiver Müll besitzen, um als radioaktiver Müll zu gelten?

US: Es gibt mehrere Möglichkeiten, die das bundesdeutsche Recht aufmacht, radioaktiven Müll nicht als Müll zu deklarieren. Mit der Novelle der Strahlenschutzverordnung von 2001 wurde die Möglichkeit, radioaktive Abfälle freizumessen, also quasi nicht mehr als radioaktive Abfälle zu behandeln, enorm ausgeweitet. Es gibt da das Fünf-Mikro- oder Millisievert-Konzept, Einzeldosis und so weiter, also, um das darzustellen, bin ich gar nicht die Fachfrau. Es heißt aber, daß riesige Mengen des Abrißabfalls freigemessen werden. Im stillgelegten AKW Würgassen sind das 97 Prozent des Abrißabfalls, die freigemessen worden sind und nur 1 Prozent wurde dann in anderen Anlagen wiederverwertet und 2 Prozent müssen als radioaktive Abfälle behandelt werden. Und dann gibt es das Problem nicht Mal in dem Moment, wo er die Anlage verläßt, dieser nicht mehr radioaktive Abfall, der trotzdem strahlt, sondern es entsteht dann, wenn er irgendwo ankommt und dort zu einer Konzentration führt. Er ist dann einfach Bauschutt, der im Straßenbau verwendet wird oder Stahlschrott, der in die Schrottschmelze kommt. Wir haben also das Problem, daß es irgendwann zu radioaktiven Konzentrationen im Alltag kommt.

Ein anderer Bereich ist das, was wir in der Urananreicherungsanlage Gronau erleben. Bei der Anreicherung von Natururan fällt als Abfallstoff abgereichertes Uran an, und der Betreiber der Anlage, die Urenco-Gruppe, bezeichnet das nicht systematisch, sondern konsequent als Wertstoff, also nicht als Abfall, sondern es ist "Wertstoff". Und als solcher wurde es bis 2009 nach Rußland exportiert. Dort lagert der "Wertstoff" in verrostenden Containern unter freiem Himmel und wird auch keiner Verwertung zugeführt. Als "Wertstoff" soll es nun künftig unbefristet in Gronau gelagert werden, eigentlich auf immer. Die Bundesregierung, die sozusagen für Gronau mitverantwortlich ist, weil sie als Urananreicherungsanlage mit waffenfähigem Material hantiert, will natürlich auch gerne, daß das Wertstoff ist, denn der Wert der Firma Urenco würde drastisch sinken, weil der ganze Wertstoff nicht mehr als Wertstoff in der Bilanz auftaucht, sondern Abfall wird, den man behandeln muß und für den man dann Entsorgungskosten zahlen muß. Nach derzeitigem Atom- und Strahlenschutzrecht können die also ihre radioaktiven Abfälle auf unbestimmte Zeit, für immer, als Wertstoff deklarieren und dann lagert das halt da.

SB: Liegen denn die radioaktiven Strahlungswerte des sogenannten Wertstoffes in einem "vertretbaren" Bereich, also unterhalb des Grenzwertes?

US: Also beim Freimessen ist das immer eine Grenzwertfrage, bei der Wertstoff-Deklaration handelt es sich um eine Verwertungsfrage. Man sagt sich hier, abgereichertes Uran kann ich wieder anreichern, also wieder in Brennstoff umwandeln. Und weil ich abgereichertes Uran wieder anreichern kann und auch nicht weiß, wie der Uranmarkt in 100 Jahren aussieht, könnte es wieder ökonomisch sinnvoll oder profitabel werden, das abgreicherte Uran wieder zu verwenden. Ob man es als Wertstoff deklariert, ist somit keine Grenzwertfrage, sondern eine mögliche zukünftige Verwertungsfrage.

SB: Das heißt, über die Gefährlichkeit oder Radioaktivität dieser Stoffe gibt es keine Dokumentation?

US: Doch, doch. Über die Gefährlichkeit bestehen keine Zweifel. Daß Uranhexafluorid, so heißt die Verbindung, in der es anfällt, gefährlich ist, das ist schon klar. Vielleicht erinnert ihr euch an den Vorfall beim Kirchentag im Hamburger Hafen?[2] Man mußte zunächst die Ladung des Containerschiffs bergen, bevor man den Schiffbrand löschen konnte, weil Uranhexafluorid hochgiftig wird, wenn es mit Wasser in Verbindung kommt. Also man weiß über die Gefährlichkeit durchaus bescheid. Aber es geht dann in diesem Fall um eine endlose Lagerung und nicht um die Frage, wie konditioniert man das so, daß es vielleicht unproblematischer wird.

SB: Ist das Prinzip des Weg- beziehungsweise Umdefinierens von Atommülls in Wertstoff eigentlich ein Einzelfall? Oder gibt es noch weitere Schliche, mit denen man die Sicherheits- und Endlagerungsbestimmungen von Atommüll umgeht?

US: Eins noch, diese Geschichte mit der größten Atommülldeponie Deutschlands, der Wismut. Es wird einfach gesagt, weil sie nach dem Strahlenschutzrecht der DDR saniert wird, ist der radioaktive Schrott kein Abfall im Sinne des Atomgesetzes. Das sind radioaktive Abfälle, die, wenn sie aus Gronau, aus Stade oder sonst woher stammen würden, konditioniert, in Fässer gepackt und ins Zwischenlager gebracht werden müßten, um dann später Mal irgendwo anders hin in ein Endlager geschafft zu werden. Und dort in Thüringen machen sie aus diesen Halden und Absetzbecken quasi Bundesendlager ohne daß sie formal Bundesendlager sind, ohne daß sie einen Langzeitsicherheitsnachweis haben. Und das ist gewissermaßen auch ein Wegdefinieren von Atommüll. Einfach zu sagen, das ist kein Atommüll, weil es das DDR-Recht nicht mehr gibt.

Die DDR hatte ihr eigenes System mit der Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Die hochradioaktiven gingen in die Sowjetunion und die schwach- und mittelaktiven nach Morsleben. Bei der Wismut-Sanierung wird das Strahlenschutzrecht der DDR auf die gesamte Sanierung angewendet und die ganzen Anlagen sind nicht in das Atomrecht der Bundesrepublik Deutschland überführt worden. Deswegen, sagen sie, gilt das Atomrecht nicht.

SB: Interessant, weil ja sonst alle anderen Rechtsformen abgeschafft wurden.

US: Aufgrund von einer Klage dagegen hat das Bundesverfassungsgericht sogar erklärt, das sei ein Einzelfall - ich meine, wir reden hier von 1600 Standorten - und wenn man Altlasten saniert, könne man nicht einfach das gleiche Schutzniveau verlangen wie bei Neuanlagen.

SB: Ist man da noch nicht auf die Idee gekommen, den Atommüll von Westdeutschland als DDR-Altlast umzudeklarieren ...

US: Also nicht, was die Wismut betrifft, das hat man dann doch nicht gemacht. Aber man hat über diese Rechtskonstruktion des deutschen Einigungsvertrags die Betriebsgenehmigung für das DDR-Endlager Morsleben bewirkt, es zu behandeln wie ein planfestgestelltes Endlager der Bundesrepublik Deutschland. Es gab dann damals Klagen, dann wurde der Betrieb eingestellt, aber dann wurde das alles wieder aufgehoben und von 1994 bis 1998 wurde mehr Müll aus westdeutschen Atomanlagen nach Morsleben gebracht als vorher die DDR dort eingebracht hatte. Auch da haben wieder die Wissenschaftler gesagt, das dürft ihr nicht tun.

SB: Hat man bei der Bevölkerung schon Strahlenfolgen in der Nähe des Endlagers Morsleben beobachtet?

US: Nein, das kann man über das Endlager Morsleben nicht sagen. Aber bei der Wismut gibt es Tausende Fälle von Berufskrankheiten, die anerkannt worden sind. Man hat allerdings nicht flächendeckend untersucht. Das sind ja riesige Kegel gewesen und bei Wind ist der radonhaltige Staub weiter verbreitet worden. Man hat nie systematisch untersucht, wie sich das eigentlich auf die Menschen, die Kinder, die da geboren werden, ausgewirkt hat. Während der DDR-Zeit galt es als Hochsicherheit, militärisch, und danach wollte das keiner mehr untersuchen. Das hätte sonst noch irgendwie zu Ansprüchen geführt.

SB: Du hattest gerade über die mögliche Akkumulation von Radioaktivität in dem verstrahlten Schrott gesprochen, der sich ansammelt. Gibt es dazu schon konkrete Untersuchungen, weiß man bereits von Vorfällen wo verstrahltes Altmetall wiederverwendet wurde?

US: Es gibt immer wieder radioaktiv kontaminierten Schrott. Aber der stammt nicht allein aus diesen Freimessungs-Geschichten, sondern entsteht vermutlich durch ein anderes Problem: Es gibt diese ummantelten, also von schützendem Metall umschlossenen hochradioaktiven Strahlungsquellen, die so abgeschirmt werden, daß man sie auch in die Hand nehmen kann. Einige davon werden zum Beispiel in der Medizin eingesetzt. Und in diesem Fall kann die Dokumentation, also die Kontrolle über den radioaktiven Inhalt, unglaublich lückenhaft sein. Die Bundesregierung versucht dem jetzt mit Gesetzen nachzukommen. Doch es gehen immer wieder solche Strahler verloren oder werden irgendwo herrenlos aufgefunden. Das ist auch so weit kein Problem, solange es einfach nur herumliegt, denn es kommt keine Strahlung heraus. Aber die Salzgitter AG - ich komme ja selbst daher - betreibt unter anderem auch eine Schrottschmelze, und wenn dann die LKWs kommen und durch die Eingangskontrolle gehen, dann wird da natürlich auch keine Radioaktivität gemessen, denn die Strahler sind ja umschlossen. Aber wenn das Ding dann geschmolzen wird, und damit natürlich der Mantel drumherum ebenfalls, dann wird die Radioaktivität wieder frei. Das sind dann am ehesten diese Dinge, die problematisch sind.

Allerdings wurde bereits auf der Sondermülldeponie Ihlenburg - früher hieß sie Schönberg -, auf der freigemessene Abrißabfälle aus Greifswald deponiert werden, die nicht wiederverwertet werden, Radioaktivität im Grundwasser gemessen. Das wäre dann so ein Beispiel ...

SB: Und wie verhält es sich mit den potentiellen gesundheitlichen Auswirkungen, beispielsweise bei der Salzgitter AG, wäre es da nicht Sache der Gewerkschaften, nach den Arbeitsschutzmaßnahmen und gesundheitlichen Auswirkungen zu fragen? Gibt es dazu bereits Untersuchungen?

US: Dazu kann ich im Einzelnen nichts sagen. Ich weiß nur, daß die Gewerkschaft bei der Salzgitter AG und auch bei dem VW-Motorenwerk in Salzgitter sehr engagiert ist. Die IG-Metall ist ein ganz wichtiger Akteur in dem Widerstand gegen Schacht Konrad und kümmert sich auch um die Probleme der Asse II. Also hier gibt es eine Sensibilisierung. Aber wie das betriebsintern gehandhabt wird, weiß ich nicht.

SB: Ich fand das Schaubild mit dem massenhaft anfallenden Müll für nur 33 Tonnen Brennstoff sehr eindrucksvoll. Werden solche Rechnungen vielleicht auch in Hinsicht auf die energetische Ausbeute gemacht? Wird der Aufwand der Müllentsorgung, der anfallenden Kosten für Problemlösungen auch mal im Hinblick auf den erzielten Energiegewinn berechnet?

US: Aktuelle Berechnungen dafür kenne ich keine. Aber es gibt Beispiele dafür. In den 80er Jahren hat Jan Willem Storm van Leuwen das Buch "Atomstrom - Ein Energiedarlehen" herausgebracht, in dem unter anderem gezeigt wird, daß sich Atomenergie eigentlich energetisch nicht rechnet. Bei der Urananreicherung in Frankreich - die haben ein anderes Verfahren, als in Gronau - wird beispielsweise ein Atomkraftwerk nur für die Energie benötigt, die sie für die Urananreicherung brauchen.

SB: Vielen Dank für das aufschlußreiche Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.bundestag.de/dokumente/tagesordnungen/30.html
[2] An Bord des Containerfrachters "Atlantic Cartier", der am 1. Mai 2013 im Hamburger Hafen in Brand geraten war, befanden sich neben 70 Autos auch 33 Container mit 3,8 Tonnen Munition und 20 Tonnen radioaktiven Stoffen. Allein in einem Container lagerten 9 Tonnen hochgiftiges Uranhexafluorid - ein Deck über dem Brandherd. Nur 500 Meter Luftline entfernt waren zeitgleich tausende Besucher zur Eröffnung des Kirchentages zusammengekommen.


Weitere SB-Interviews zur Tagung "Atommüll ohne Ende" finden Sie unter:
UMWELT → REPORT → INTERVIEW:

INTERVIEW/080: Atommüll ohne Ende - Stimme der Straße, Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/081: Atommüll ohne Ende - Lockangebote, Hanna Poddig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/082: Atommüll ohne Ende - Rufer an der Küste, Irene Thesing im Gespräch (SB)
INTERVIEW/083: Atommüll ohne Ende - Verbrannte Zukunft, Henning Garbers im Gespräch (SB)
INTERVIEW/084: Atommüll ohne Ende - Omnikontaminativ, Roland Schüler im Gespräch (SB)
INTERVIEW/085: Atommüll ohne Ende - verdrängt, verschoben, aufgetürmt, Martin Donat im Gespräch (SB)
INTERVIEW/086: Atommüll ohne Ende - Nullgrenze, Adele Schnell im Gespräch (SB)

6. April 2014