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INTERVIEW/098: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen ... und endlich doch Kernenergie? Julian Genten im Gespräch (SB)


Science & Policy: Exploring Climate Solutions

Gemeinsame Veranstaltung des IPCC, der Technischen Universität Berlin und der Stiftung Mercator zur ersten öffentlichen Präsentation der Ergebnisse der AG III zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats am 14. April 2014

Julian Genten von der Kampagne "The Future" über Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel als Sachwalter der großen Energiekonzerne



Hatte es vor über 30 Jahren noch "No Future" [1] geheißen, was als Ausdruck individueller Verweigerung und Perspektivlosigkeit gedeutet wurde, so lautet die Parole heute "The Future". "Die Zukunft" ist eine Kampagne, die im vergangenen Jahr im Vereinigten Königreich ihren Anfang nahm und inzwischen in verschiedenen europäischen Ländern, aber beispielsweise auch in Japan auf sich aufmerksam gemacht hat.

Protestierende in weißen T-shirts mit Aufschriften wie 'There is no future in coal', z. Dt.: Kohle hat keine Zukunft - Foto: © 2014 by Schattenblick

Stummer Protest gegen Kohle
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am 14. April 2014 nahm eine Gruppe von jungen Menschen, die jeweils ein Auge mit einem Kreis - das mit hohen Wiedererkennungswert behaftete Symbol der Kampagne - ummalt hatten, Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel ins Visier. [2] Der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland hielt anläßlich der ersten öffentlichen Präsentation der tags zuvor bekanntgegebenen Ergebnisse der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats im Audimax der Technischen Universität Berlin einen Vortrag unter dem Titel "German Climate and Energy Policy: Special Path or International Role Model?" (Deutsche Klima- und Energiepolitik: Sonderweg oder internationales Vorbild?)

Während der Rede Gabriels stellten sich die Protestierenden, schweigend und den Blick starr auf den Referenten gerichtet, im Mittelgang des Audimax auf. "Gesichert" wurden sie von Mitarbeitern der allgegenwärtigen Security. So zogen sie nach und nach die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich und ihre Botschaften, die sie auf ihre weißen T-shirts geschrieben hatten: Die Zukunft ist erneuerbar, Kohle hat keine Zukunft, und ähnliches. Im Anschluß an die Aktion beantwortete "The Future"-Mitglied Julian Genten dem Schattenblick einige Fragen zu der Aktion und der dahinterstehenden Initiative.


Schattenblick (SB): Ihr habt hier heute bei der Rede von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine Aktion gemacht. Was war eure Motivation?

Julian Genten (JG): Uns hat vor allem Gabriels sogenannte Reform der Energiewende motiviert. Die führt im Endeffekt dazu, daß die Errungenschaften der Energiewende, das heißt, daß Privathaushalte und kleine Gemeinden ihre eigene Energie produzieren und verkaufen konnten und somit die Strom- und Energieproduktion dezentralisiert wurde, wieder zurückgenommen werden. Die Kontrolle soll wieder den vier großen Energiekonzernen zurückgegeben, die Energiewende ausgebremst und der Ausbau erneuerbarer Energien zurückgefahren werden. Dagegen haben wir protestiert.

SB: Wie bewertest du Gabriels Begründung für seine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und die Befreiung der Großindustrie von der Ökostromumlage, nach der er - sinngemäß - lieber eine Erhöhung des Strompreises um 40 Euro pro Haushalt und Jahr in Kauf nimmt als den Verlust von 400.000 Arbeitsplätzen?

JG: Da müssen andere Lösungen gefunden werden. Was er hier macht, ist, daß er die Kontrolle den Konzernen zurückgibt, die mitverantwortlich für den Klimawandel sind, und erwartet von diesen Konzernen dann die Lösung. Ich denke, so kann der Weg nicht sein.

SB: Was sagst du dazu, daß sich Gabriel in seiner Rede gegen den Vorschlag der Arbeitsgruppe III des IPCC gewandt hat, die Atomenergie weiter auszubauen, weil die angeblich für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen unverzichtbar ist?

JG: Da hat er zwar recht, man muß aber im Auge behalten, daß ausgerechnet seine Reform dazu führen wird, daß wir vielleicht in einigen Jahren doch wieder eine Situation haben, in der der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht schnell genug vorangeschritten ist. Somit öffnet Gabriel die Tür für die Konservativen und die Energiekonzerne, daß sie sagen können, wir brauchen jetzt doch noch Atomstrom.

SB: Du schätzt es demnach so ein, daß der sogenannte Ausstieg aus der Atomenergie noch nicht sicher ist, so wie er eben schon einmal umgekehrt wurde?

JG: Ja, wir hatten ja schon einmal eine ähnliche Situation, und jetzt können wir nur hoffen, daß es diesmal gut klappt, und uns dafür einsetzen. Aber die offizielle Politik, die im Moment gemacht wird, wird nicht automatisch zum Atomausstieg führen.

Gabriel am Rednerpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ließ nicht erkennen, ob er den Protest registriert hat
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Ihr habt alle jeweils ein Auge ummalt. Seid ihr eine Gruppe von Studierenden, die sich zu dieser Aktion verabredet hat, oder eine bestimmte Umweltgruppe?

JG: Wir sind eine sehr neue Kampagne, die sich "The Future" nennt, also auf Deutsch "Die Zukunft". Die ist erst vor wenigen Monaten entstanden, nicht nur in Deutschland, sondern eigentlich in England. [3] Inzwischen gibt es Mitglieder in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern. So wurde neulich in Japan eine Aktion durchgeführt, und die Kampagne ist am Wachsen.

SB: Seid ihr in irgendeiner Form mit der japanischen Anti-Atom-Bewegung vernetzt?

JG: Soweit ich weiß, im Moment noch nicht.

SB: Wie seid ihr dazu gekommen, diese Aktion heute hier an der TU zu machen?

JG: Der Ort hat sich für die Aktion angeboten, weil es eigentlich eine wissenschaftliche Veranstaltung ist. Es sprechen die Vorsitzenden des IPCC und der Arbeitsgruppen. Gabriel ist der einzige Politiker, der hier spricht, und es war klar, daß er dieses Event dazu nutzen wird, um die deutsche Politik in einem guten Licht darzustellen, daß hier angeblich umweltfreundlich produziert wird, und das auf jeden Fall als eine Werbeveranstaltung nutzen wird. Das wollten wir nicht so durchgehen lassen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Julian Genten mit weißen T-Shirt und Slogan auf dem Rücken, direkt vor ihm der Sicherheitsmann - Foto: © 2014 by Schattenblick

Julian Genten fixiert Gabriel, Sicherheitsmann fixiert Genten
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Der Slogan "No Future" geht auf das Stück "God Save the Queen" der englischen Punkband "Sex Pistols" zurück und war ursprünglich als Absage an das gesamte Establishment gemeint. "There's no future for you!" ("Es gibt keine Zukunft für euch!") lautet eine Textzeile, die eher als Kampfansage denn als resignativer Rückzug gemeint war.

[2] Eine Stellungnahme der Kampagne "The Future" im Schattenblick:
MELDUNG/033: The Future protestiert gegen den Bundesminister für Wirtschaft und Energie (The Future)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/klima/uklm0033.html

[3] An der Aktion in Berlin nahm unter anderem die britische Klimaaktivistin Tamsin Omond teil, die bereits an Aktionen von "The Future" im Vereinigten Königreich beteiligt war.


Weitere SB-Interviews zur IPCC-Veranstaltung am 14. April 2014 an der TU Berlin:

INTERVIEW/096: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - Der Beitrag Politik ... Prof. Ottmar Edenhofer im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0096.html

INTERVIEW/097: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - Emissionen an die Kette, Dr. Felix Creutzig im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0097.html

21. April 2014