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INTERVIEW/172: Welt ohne Hunger - Mangel, Krieg und Unterdrückung ...    Bärbel Dieckmann im Gespräch (SB)


Internationale Abschlußkonferenz der Welthungerhilfe am 4. Februar 2015 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin

Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, über ihr Anliegen, die G7-Staaten für den Kampf zur Beendigung des Hungers zu gewinnen, über Hunger als Folge von Flucht und Vertreibung sowie darüber, daß für sie "mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt" in erster Linie mehr zivile Verantwortung bedeutet.


Weltweit werden genügend Nahrungsmittel produziert, um alle Menschen ausreichend zu versorgen; niemand müßte hungern oder mangelernährt sein, wenn nur die Verteilung der Nahrung gerechter vonstatten ginge ...

Diese weit verbreitete Annahme bildet den Hintergrund auch für die Bemühungen der Welthungerhilfe, die führenden Wirtschaftsnationen zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit zu veranlassen. Zu diesem Zweck hat die Hilfsorganisation am 4. Februar in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine internationale Konferenz unter dem Titel "Setting the Course for a World without Hunger" (Den Kurs auf eine Welt ohne Hunger setzen) veranstaltet. Ein besonders wichtiger Tagesordnungspunkt war die Präsentation des "Berlin Memorandums" [1] und die anschließende Diskussion darüber. Es handelt sich dabei um Handlungsempfehlungen für die G7-Staaten, die sich unter dem derzeitigen Vorsitz der Bundesrepublik Deutschland am 7./8. Juni auf Schloß Elmau in Bayern zu Beratungen treffen.

Solange Menschen Hunger leiden, ist eine Gesellschaft, in der dieser Mangel in irgendeiner Form organisiert und dadurch fortgeschrieben wird, von einem konsequent humanitären Standpunkt aus gesehen nicht zu akzeptieren. Begriffe wie Entwicklung und zivilisatorischer Fortschritt, internationale Solidarität und "Partnerschaft auf Augenhöhe" bleiben hohle Phrasen, wenn dieses Grundproblem menschlicher Existenz nicht gelöst wird. Das gilt selbstverständlich genauso für eine Weltgesellschaft, die unter dem Eindruck der folgenschweren globalen Erwärmung steht, wie sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für dieses Jahrhundert angenommen wird.

In dem Berlin Memorandum, das Ergebnis eines Konsultationsprozesses unter internationaler Beteiligung ist, drückt sich der Glaube und die Hoffnung der Welthungerhilfe aus, daß ihr Appell nach Jahren, eigentlich sogar Jahrzehnten, in denen stets das Versprechen auf Beendigung des Hungers genährt, nicht aber die Hungernden selbst ernährt wurden, bei den Adressaten des Memorandums auf offene Ohren und tätige Hände stößt. Während sich die Welthungerhilfe für die Stärkung der Fähigkeit der Kleinbauern zur Subsistenz ausspricht, fördern internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank nach wie vor den Anbau von "cash crops", also von landwirtschaftlichen Exportprodukten, was die Erzeuger in stärkere Abhängigkeit vom Auf und Ab der Weltmarktpreise und damit auch von Spekulationsgeschäften bringt.

Bis zum Jahr 2030, so das Ziel der Welthungerhilfe, sollte der Hunger aus der Welt geschafft sein. Dazu sei es erforderlich, die Position von Kleinbauern nicht nur finanziell, sondern auch rechtlich zu stärken, denn das ist die Bevölkerungsgruppe, in der Hunger und Mangelernährung am verbreitetsten sind. An dieser Stelle kommen die G7-Staaten ins Spiel, die nach Ansicht der Hilfsorganisation durch eine Verdreifachung ihrer Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit (von jährlich 9,57 Mrd. Dollar auf 31,29 Mrd. Dollar) und weitere Maßnahmen, wie den Aufbau von Wertschöpfungsketten unter Beteiligung der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, eine effektive Hungerbekämpfung leisten könnten.

Im folgenden Interview, das am Rande der Berliner Konferenz geführt wurde, äußert sich die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, zu einigen Fragen hinsichtlich ihrer Arbeit. Die ehemalige Oberbürgermeisterin von Bonn (1994 - 2009) war von 2001 bis 2009 Mitglied des Bundesvorstandes und des Parteipräsidiums der SPD. Im November 2008 löste sie Ingeborg Schäuble als Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe e. V. ab.


Beim Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die Welthungerhilfe will mit ihren Empfehlungen an die Bundesregierung den "Kurs auf eine Welt ohne Hunger" setzen. Das Millenniumsziel, den Anteil der Hungernden bis 2015 zu halbieren, wurde nicht erreicht und läuft gerade aus. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Hungerlage in der Welt ein?

Bärbel Dieckmann (BD): Die Zahlen sind bekannt, es gibt immer noch mehr als 800 Millionen hungernde Menschen, die ständig ihren Kalorienbedarf nicht decken können. Dazu kommen etwa zwei Milliarden Menschen, die mangelernährt sind. Das ist vor allem für Kinder ein gravierendes Problem.

SB: Im Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 wird empfohlen, dass die Bekämpfung des Hungers nur über die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft erfolgreich sein kann. Wie stellt sich die Welthungerhilfe zu diesem Bericht?

BD: Das "nur" würde ich nicht unterstreichen, alles andere schon. 80 Prozent der Betriebe weltweit sind Kleinbetriebe, drei von vier Hungernden leben auf dem Land. Wenn man diesen Zusammenhang sieht, ist es vollkommen klar, dass wir Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft brauchen. Aber dass wir auch die größeren Betriebe brauchen, ist ebenfalls unstrittig. Es wäre nur der falsche Weg, wenn die größeren Betriebe aus den USA oder Europa die afrikanische Bevölkerung ernähren.

SB: Deutschland hat den Weltagrarbericht nicht ratifiziert. Wollen Sie die Bundesregierung dazu bringen, das nachzuholen, oder halten Sie das für aussichtslos?

BD: Das ist im Moment nicht unser Thema. Wir wollen erreichen, dass das Thema Hunger auf die Tagesordnung des G7-Gipfels Anfang Juni in Elmau kommt und dort Impulse für eine Besserung der Unterstützung der Kleinbauern gegeben werden.

SB: Wie bewerten Sie die Initiative "Welt ohne Hunger" der Bundesregierung?

BD: Wir begrüßen die Initiative. Damit hat die Bundesregierung endlich wieder das Thema Hunger thematisch aufgenommen, das in der Entwicklungszusammenarbeit ja eine Zeitlang etwas vernachlässigt wurde. Unserer festen Überzeugung nach ist es vollkommen inakzeptabel, dass in einer Welt, in der ausreichend Nahrungsmittel produziert werden, 800 Millionen Menschen hungern und dass, während wir hier sitzen, Kinder an Hunger sterben müssen - ganz zu schweigen davon, was sonst noch alles daraus folgt. Ich habe eben die Mangelernährung erwähnt: Kinder, die bis zum fünften Lebensjahr mangelernährt sind, erleiden schwerwiegende Schäden in ihrer Entwicklung. Das ist natürlich auch kontraproduktiv für jeden Erfolg in der Entwicklungszusammenarbeit.

SB: Frau Verburg [2] hat das Thema vorhin bei der Podiumsdiskussion angesprochen: 805 Millionen Menschen hungern, es gibt aber auch mehr als eine Milliarde Menschen, die übergewichtig sind. Greift die Rechnung nicht zu kurz, dass man den einen, den Übergewichtigen, etwas wegnimmt und den anderen zukommen läßt?

BD: An dieser Stelle müssen wir den großen Rahmen sehen. Übergewichtige gibt es auch in Afrika oder Asien, das ist nicht nur eine Frage der Industrieländer. Dies zeigt vor allem, dass eigentlich ausreichend Kalorien vorhanden sind. Es wäre möglich, den Hunger zu beenden, wenn man anders verteilt, so dass auch die Unterernährten ausreichend zu essen bekommen. Wobei "Verteilung" nicht bedeutet, dass Nahrungsmittel als Almosen dargebracht werden. Das ist ein großes Problem. Deshalb sprechen wir uns ganz dezidiert für Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft aus. In vielen Ländern hat die Landbevölkerung keine alternative Einkommensmöglichkeit. Die Kleinbauern verdienen einfach das Geld nicht, um Lebensmittel auf den Märkten zu kaufen. Deshalb müssen sie selbst produzieren, was sie für ihre Familien brauchen, und vielleicht auch noch ein bisschen mehr, um durch den Verkauf auf den Märkten ein kleines Einkommen zu erzielen.

SB: Sollte man also ihre Fähigkeit zur Subsistenz stärken?

BD: Ja.

SB: In den letzten Jahren sind sehr viele bewaffnete Konflikte ausgebrochen mit vielen Vertreibungen beispielsweise in Afrika, Asien und dem Nahen und Mittleren Osten. Gibt es Abschätzungen darüber, welchen Anteil Flucht und Vertreibung als Folge bewaffneter Konflikte am Gesamthunger in der Welt hat?

BD: Wir wissen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Krieg und Vertreibung und Hunger gibt. Felder können nicht bebaut werden, wenn die Menschen fliehen und wer seine Heimat verlassen muß, gibt auch seine Existenzgrundlagen auf. Gebiete, in denen Menschen schlecht ernährt sind, in denen sie keinen Zugang zu Ressourcen haben, sind konfliktträchtiger. Junge Menschen sind eher verführbar, sich beispielsweise irgendwelchen Milizen anzuschließen, und dies verstärkt die Fluchtbewegungen. Daraus erfolgt wiederum Hunger in Ländern, in denen es ihn in der Vergangenheit nicht gab. Zwei passende Beispiele sind im Moment Syrien und der Nordirak. Das sind nie Gebiete gewesen, die im Welthungerindex eine Rolle spielten. Und jetzt haben wir dort plötzlich Hunger und Mangelernährung.

SB: Vor einigen Jahren hat die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright die Frage bejaht, ob das US-amerikanische Embargo gegen den Irak, das einer halben Million irakischer Kinder das Leben gekostet hat, diesen Preis wert gewesen sei. Wie bewerten Sie eine solche Aussage mit Blick auf die heutige Entwicklung in dem Land?

BD: Für mich ist das, was im Irak während des Krieges passiert ist, einfach falsch. Ich bin immer sehr froh, dass wir damals politische Kräfte in Deutschland hatten, die ganz klar gesagt haben: "Dieses werden wir nicht mitmachen." Das war eine sehr kluge politische Entscheidung. Am Beispiel Irak kann man vor allem erkennen, dass die militärische Intervention überhaupt nichts Positives bringt, wenn man nicht anschließend eine Gesellschaft wieder aufbaut und die Demokratisierungs- und wirtschaftlichen Prozesse unterstützt.

SB: Hat sich Ihre Sicht als Präsidentin der Welthungerhilfe gegenüber der als Oberbürgermeisterin von Bonn auf mutmaßliche Notwendigkeiten administrativer Maßnahmen geändert? Haben Sie einen anderen Blick auf die Hungernden und die Konsequenzen politischer Entscheidungen bekommen?

BD: Direkt verändert hat sie sich nicht. Ich bin ja auch in führenden Gremien der SPD gewesen, das heißt, ich wurde mit Entscheidungen konfrontiert und habe diese auch selbst getroffen. Natürlich gibt es im Nachhinein auch Blickveränderungen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Nach wirklich intensiven Diskussionen im Präsidium der SPD haben wir damals dem Afghanistan-Einsatz zugestimmt - heute bin ich sehr viel kritischer, ob man nicht einen Teil dieses Geldes damals schon in Entwicklungszusammenarbeit, in zivile Unterstützung hätte stecken müssen. Das ist so ein Beispiel, wo sich vielleicht wirklich der Blickwinkel verändert hat. Ein anderes Beispiel ist Biosprit. Da haben wir, und da habe auch ich früher geglaubt, dass man damit etwas ökologisch Sinnvolles tut. Die wirklichen Folgen, die das für viele Länder in der Welt hat, wo plötzlich Flächen nur noch zur Herstellung von Biosprit gebraucht werden, ist mir in der politischen Diskussion vor zehn Jahren nicht so bewusst gewesen.

SB: In den letzten Jahren haben sich Hilfsorganisationen, beispielsweise aus Venro, einem Zusammenschluß der Entwicklungsorganisationen, dem auch die Welthungerhilfe angehört, skeptisch gegenüber Bestrebungen geäußert, sie sollten enger mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Wie steht die Welthungerhilfe zu diesen Bestrebungen, die besonders auf den damaligen Minister Dirk Niebel in Bezug auf Afghanistan zurückgingen?

BD: Eine zivil-militärische Zusammenarbeit ist für Nichtregierungsorganisationen wie uns keine Option. Als Hilfsorganisation haben wir ganz andere Aufgaben, als die Bundeswehr sie hatte. Wir hatten in Afghanistan eine langjährige Präsenz, die weit vor dem Einsatz deutscher Soldaten begann, und somit eine andere Zusammenarbeit mit lokalen Partnern aufgebaut. Dieser enge Kontakt zum Beispiel zur Bevölkerung in den vielen Dörfern basiert auf Vertrauen und dem Wissen, dass wir nicht Teil einer militärischen Intervention waren. Natürlich haben wir die Bundeswehr zur Kenntnis genommen und auch miteinander gesprochen. Aber dies ist keine Zusammenarbeit. Das tut der Leistung, die viele deutsche Soldaten in Afghanistan erbracht haben, keinen Abbruch.

SB: Vor einigen Jahren kam die Diskussion auf, dass es für Hilfsorganisationen eine Gefahr ist, als Teil der militärischen Besatzung angesehen zu werden.

BD: Das ist in der Tat ein Problem. Wir wissen aus langjähriger Erfahrung, dass unser größter und bester Schutz darin besteht, dass wir vor Ort bekannt und anerkannt sind. Die Verankerung in den lokalen Verhältnissen - auch oft durch unsere hervorragenden lokalen Mitarbeiter - ist ein wichtiger Bestandteil unseres Sicherheitskonzeptes. Die Menschen, die wir mit unserer Arbeit erreichen wollen, müssen ganz klar wissen, dass wir nicht Teil einer Armee oder auch nur Teil eines militärischen Konzeptes sind.

SB: In letzter Zeit ist viel die Rede davon, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen soll. Wie stehen Sie dazu?

BD: Für mich heißt deutsche Verantwortung in der Welt übernehmen in erster Linie nicht militärische, sondern zivile Verantwortung. Es ist eine Entwicklungs- und eine wirtschaftliche Verantwortung. Deshalb ist für mich der militärische Einsatz immer die allerletzte Lösung. Sie sollte nur verfolgt werden, wenn es eine klare Strategie gibt, wie solche Gesellschaften wieder aufgebaut werden können. Das würde ich mir wünschen. Auch übrigens unter finanziellen Aspekten, denn es werden schnell hohe Summen für den militärischen Teil ausgegeben. Wenn man dann geht, ohne auch die finanziellen Ressourcen für den zivilen Ausbau bereitzustellen, ist dies keine Lösung eines Problems.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Themen/POWA/Termine/5_Berlin_Memorandum_on_sustainable_livelihoods_for_smallholders_2015.pdf

[2] Gerda Verburg - niederländische Politikerin, Vorsitzende des UN-Ausschusses zur Welternährungssicherung (Committee on World Food Security, CFS), in Rom.


Einen Bericht und ein Interview zur POWA-Konferenz der Welthungerhilfe in Berlin finden Sie im Schattenblick unter:
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