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INTERVIEW/251: Klima und Finanzen - Biß in den sauren Apfel ...    Prof. Gernot Klepper im Gespräch (SB)


Deutlich unter 2 Grad - Konkrete Umsetzung nach Paris

Briefing vor der 22. UNFCCC-Klimakonferenz im Auswärtigen Amt am 27. September 2016

Prof. Gernot Klepper über die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, in Klimaschutz zu investieren, die wohl nicht mehr zu vermeidende CCS-Technologie und einen mutlosen Klimaschutzplan 2050


In Politik und Wissenschaft herrscht im allgemeinen die Ansicht vor, der Mensch könne die globale Temperatur durch technologische Eingriffe nach Belieben hoch- und runterfahren. Die Bewältigung der gegenwärtigen Erderwärmung wird zwar als ein großes, aber kein unlösbares, sondern politisches Problem angesehen, da sich die Regierungen nicht auf Klimaschutzmaßnahmen einigen können. Als entscheidende Stellschraube der Klimabeherrschung gilt die Konzentration des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2), das vor allem bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas entsteht und in die Erdatmosphäre emittiert wird. Dort verhindert das CO2, daß die langwellige Rückstrahlung des Sonnenlichts von der Erdoberfläche ins Weltall entweichen kann. Infolgedessen wird es an der Erdoberfläche wärmer. Andere klimarelevante Faktoren wie die Stärke der Sonneneinstrahlung, die Wasserdampfkonzentration der Atmosphäre, die Methan- und Lachgasemissionen und vieles mehr werden von der Wissenschaft nicht geleugnet, aber ihre Bedeutung innerhalb des Klimageschehens wird dem CO2-Gehalt nachgeordnet.

In dieser Vorstellung entspricht die Summe aller menschengemachten CO2-Emissionen einem Drehknopf am Backofen. Eine Steigerung der Emissionen bedeutet, die Hitze zu erhöhen, eine Verringerung, sie zu reduzieren. So ein Herd ist praktisch, denn er reagiert ziemlich zeitnah auf Veränderungen der Energiezufuhr. Die Erde tut das jedoch nicht, sie ist in mancher Hinsicht träge. Deswegen kann die Vorstellung seitens der Klimapolitik, man könne nach Belieben schalten und walten, fehlgeleiteter nicht sein. Möglicherweise wird der Irrtum schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Prof. Dr. Gernot Klepper, Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel
Foto: © 2016 by Schattenblick

Nur bei einer brutalen Vollbremsung der CO2-Emissionen der gesamten Menschheit binnen weniger Jahre bliebe rein rechnerisch das im Klimaschutzabkommen von Paris angestrebte Ziel, die globale Durchschnittstemperatur auf maximal 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu erhöhen, noch zu erreichen. Der gegenwärtige Trend läuft jedoch auf eine Temperaturerhöhung um drei bis vier Grad im Laufe dieses Jahrhunderts hinaus, was hinsichtlich der Folgewirkungen einen enormen Unterschied macht. An dieser Stelle kommt der Irrtum zum Tragen, daß man ab Mitte des Jahrhunderts durch die aktive Herausnahme von CO2 aus der Atmosphäre ("negative Emissionen") den aufgeheizten Herd einfach wieder herunterfahren, also die Erde wieder abkühlen könnte.

Bei dieser Vorstellung wird ein Effekt übersehen, der in der Wissenschaft "Kippelement" oder "Kippunkt" genannt wird und der besagt, daß beim Überschreiten eines bestimmten Schwellenwerts - beispielsweise der globalen Durchschnittstemperatur, der Ausdehnung des Meereises oder der Versauerung der Ozeane - ein unumkehrbarer Prozeß in Gang gesetzt wird. Das heißt, die Ozeane würden saurer werden, das Meereis schrumpfen und die globale Durchschnittstemperatur sogar dann für lange Zeit weiter steigen, wenn die Menschheit eine Vollbremsung vollbrächte oder gar den Rückwärtsgang einlegte und der Atmosphäre Kohlenstoff entzöge.

Vor dem Hintergrund dessen, daß einige Kippunkte möglicherweise bereits überschritten sind - am häufigsten genannt wird das Abschmelzen des westantarktischen Eisschilds - und eigentlich niemand so genau weiß, ab welcher globalen Durchschnittstemperatur die nächsten Kippunkte erreicht werden - ein heißer Kandidat ist das Abschmelzen des grönländischen Eispanzers, was mit einem Meeresspiegelanstieg von bis zu sieben Metern einherginge - erscheint das Pariser Abkommen wie Schönrednerei. Der allseits gefeierte Erfolg der Klimadiplomatie in der französischen Hauptstadt kam wohl nur deshalb zustande, weil das Abkommen kaum Konkretes verlangt. Die wirtschaftlich miteinander konkurrierenden Staaten haben das Abkommen deshalb binnen nicht einmal eines Jahres ratifiziert, weil sie sich damit zu nichts verpflichten, das einklagbar wäre. Die Schwierigkeiten der Einigung fangen jetzt erst an, das könnte sich bereits auf der nächsten großen Klimakonferenz, der COP 22 im November in Marrakesch, zeigen.

Insofern war auch das Briefing am 27. September 2016 im Auswärtigen Amt, bei dem ein Austausch hinsichtlich der klimapolitischen Positionen Deutschlands und Marokkos stattfand, vor allem von wohlklingenden Perspektiven, Absichtserklärungen, Signalen, Erwartungen und anderen konsensgetragenen, nüchtern betrachtet jedoch wenig verbindlichen Bekenntnissen seitens der Administration bestimmt.

Zu den eingeladenen Referenten gehörte Prof. Dr. Gernot Klepper, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK), das die Veranstaltung organisiert hat, und Leiter des Forschungsbereichs "Umwelt und natürliche Ressourcen" am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel. Prof. Klepper mahnte in seinem Vortrag und beim abschließenden Podiumsgespräch ein unverzügliches Handeln an. Die CO2-Emissionen müßten rasch in zwei Sektoren, bei Landnutzungsänderungen und auf dem Strommarkt, reduziert werden.

Heute stehe ein Viertel aller Treibhausgasemissionen in Zusammenhang mit Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Landnutzungsänderungen, deshalb sei dieser Bereich sehr wichtig. Der Strommarkt wiederum wachse immer weiter, gleichzeitig müsse er rasch dekarbonisiert werden. Das ließe sich leichter bewerkstelligen als bei der Industrie im allgemeinen. Außerdem rechne man bei Investitionen in die Stromproduktion mit langen Lebenszyklen. Wenn da nicht schnell etwas unternommen wird, "werden wir ein großes Problem bekommen", so Klepper. "Wir brauchen ganz schnell eine Umlenkung der Investitionen weg von den fossilen hin zu den erneuerbaren Energien und natürlich zur Effizienzsteigerung."

Eine weitere Forderung des Ökonomen zielt auf die Internalisierung der sozialen Kosten der fossilen Energieträger. Gesundheits- und Umwelteffekte, Feinstaubbelastung, etc., die durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl, Erdgas verursacht werden, müßten eingepreist werden. Die Wirtschaft habe im Augenblick noch keinen Anreiz, "in Investitionen zu gehen, die diese Kosten nicht verursachen". Es mangle an langfristigen Rahmenbedingungen, die für Investoren glaubwürdig sind.

Am Rande des Briefings stellte sich Prof. Klepper dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Im Kyotoprotokoll von 1997 wurden Mechanismen wie die Clean Development Mechanism [1] eingebaut. Begründet wurde dies damit, daß die Industriestaaten bereits ein hohes Niveau der Energieeffizienz besäßen und es kostengünstiger sei, Einsparungen in Entwicklungsländern vorzunehmen. Nun wird beim Nachfolgeabkommen von Paris der Eindruck erweckt, es sei machbar, daß die Industriestaaten ihre Energieeinsparungen doch noch sehr deutlich steigern könnten. Ist das nicht ein Widerspruch?

Prof. Gernot Klepper (GK): Da müssen Sie die Zeitschiene berücksichtigen. Als das Kyoto-Protokoll verabschiedet worden war, gab es in den Entwicklungsländern so gut wie keine erneuerbaren Energien und auch keine Energieeffizienz. Die Treibhausgasemissionen pro produzierte Einheit Sozialprodukt waren in diesen Ländern einfach unglaublich schlecht. Insofern war es damals sinnvoll zu sagen, wir müssen dort vermeiden, wo es wirklich günstig und billig ist. Außerdem bekamen wir dadurch einen Technologietransfer in diese Länder.

Heute ist die Situation eine andere. Beispielsweise verhält es sich ja nicht so, daß Deutschland noch der Vorreiter in der Windenergie wäre, sondern das hat inzwischen China übernommen. Damit hat sich das Niveau der Energieeffizienz angeglichen und deshalb ist auch die Logik von den Clean Development Mechanism nicht mehr so tragfähig wie damals. Man muß das immer im historischen Kontext sehen, dann macht es Sinn.

SB: In der Ankündigung zu dieser Veranstaltung heißt es, daß staatliche und nichtstaatliche Akteure die Umsetzung der Pariser Beschlüsse konkretisieren müßten. Inwieweit lassen sich die nichtstaatlichen Akteure, die sich ja oft als kritische Opposition geben, vor den Karren der Politik spannen?

GK: Wenn wir die Wirtschaft ansprechen, und die ist ja letztendlich der wichtigste Treiber neben den Konsumenten, die entscheiden, was sie kaufen, dann ist es in der Tat so, daß sie bereit ist, etwas anderes zu tun. Aber dafür braucht sie Rahmenbedingungen, unter denen sie dann auch profitabel sein kann. Da muß ein klares Signal gesendet werden und es muß die richtigen Preise geben, damit wirtschaftliches Handeln - wir sind ja in einer Marktwirtschaft - dann auch in diese Richtung gehen kann. Wenn wir keine politischen Rahmenbedingungen schaffen, in denen ökologisch freundliches Verhalten bevorzugt wird, dann wird im Wettbewerb immer der Schmutz siegen, weil der in der Regel billiger ist als die saubere Produktion. Insofern sind die Unternehmen alle bereit, etwas zu tun, wenn sie dafür die Rahmenbedingungen erhalten.


Prof. Gernot Klepper und ein Teil des Podiums mit Ingrid Hoven, Dirk Messner und Nicole Wilke - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Die Klimawende und die Energiewende werden nicht kostenlos sein. Darüber muß man offen reden."
(Prof. Gernot Klepper, 27. September 2016, beim Podiumsgespräch im Auswärtigen Amt)
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Die Bundesregierung will mehr Elektroautos auf die Straße bringen, obgleich dafür ein hoher Ressourcenaufwand gebraucht wird. Wie beurteilen Sie diese politische Richtungsentscheidung?

GK: Ich glaube, nur den Fokus auf Elektromobilität zu richten, ist eine relativ einseitige Entscheidung, weil es alternative Ressourcen gibt, mit denen man ebenfalls Transport oder Mobilität bedienen kann. Insofern ist so eine einseitige Ausrichtung auf batteriebetriebene Elektromobilität vielleicht keine technologie-offene Entscheidung. Man sollte schon anderen Technologien die gleichen Chancen bieten.

SB: Woran denken Sie da?

GK: Es gibt Wasserstoff und Brennstoffzellen. Man kann Gasfahrzeuge betreiben, wenn das Gas wiederum aus Methan erzeugt wird, oder man kann flüssige Brennstoffe mit Strom erzeugen. Es gibt unzählige mögliche Technologien, die noch nicht alle endgültig erforscht sind und alle mit Erneuerbaren betrieben werden können.

SB: Was halten Sie von der Idee des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs, um die Mobilität auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu lenken?

GK: Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber ich habe gehört, daß der öffentliche Nahverkehr sowieso hoch defizitär ist. Da stellt sich in der Tat die Frage, ob man nicht versucht, ihn ganz kostenlos zu machen. Es gibt viele intelligente Lösungen, die man machen könnte, die attraktiv werden für Autofahrer, die dann ihr Auto verlassen. Wenn man zum Beispiel für das Auto ein Parkticket hat und der öffentliche Verkehr kostenlos wäre, würde das dann schon die kurzen Fahrstrecken reduzieren. Über viele dieser Konzepte könnte man nachdenken.

SB: Noch vor zwei Jahren hatten Wissenschaftler auf der internationalen Climate Engineering Conference in Berlin den Standpunkt vertreten, daß die Wissenschaft eines Tages, wenn das Klima davongaloppiert und die Verzweiflung wächst, gefragt werden könnte, welche Optionen der absichtlichen, schnell wirksamen Klimabeeinflussung die Menschheit hätte. Würden Sie sagen, daß die Verzweiflung und damit das Climate Engineering inzwischen nähergerückt ist?

GK: Ich bezweifle das. Ich war vor über zehn Jahren in den Beginn der Debatte über Climate Engineering involviert. Die Diskussion darüber hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Damals war es um die Frage gegangen, ob wir allen Ernstes anfangen sollten, unser Erdsystem massiv zu manipulieren, und die ersten Reaktionen aus der Wissenschaft lauteten: Das wäre Wahnsinn, davon sollten wir die Finger lassen! Unter anderem mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft haben wir angefangen, das genauer zu untersuchen, und erkannt, daß viele der damaligen Ideen gar nicht funktionieren würden. Das ist das eine. Auf der anderen Seite sehen wir, daß bestimmte Teile dessen, was unter diesem riesigen Mantel "Climate Engineering" definiert wird, wahrscheinlich notwendig sein werden.

Im letzten IPCC-Bericht wird klar gesagt, daß wir wahrscheinlich gegen Ende des Jahrhunderts negative Emissionen brauchen. "Negative Emissionen" heißt nichts anderes als Carbon Dioxid Removal, eine Form des Climate Engineering.

Die Frage, die sich jetzt aus wissenschaftlicher Sicht stellt, ist, welche dieser Technologien funktionieren sowieso nicht und machen überhaupt keinen Sinn, welche haben zu große Nebeneffekte und welche sind tatsächlich im Rahmen eines sinnvollen Klimaschutzes noch umsetzbar. Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, daß man in den nächsten Jahren sehr viel intensiver über die unterirdische Speicherung von CO2 reden muß. Denn irgendwo muß der Kohlenstoff ja hin, das ist keine Frage. Wenn wir negative Emissionen erreichen wollen, muß er der Atmosphäre entzogen werden, und er kann nicht nur in die Wälder gehen. Aufforstung reicht nicht.

Insofern werden sich solche Fragen wieder neu stellen. Wir werden auch eine neue Frage über das CCS, Carbon Capture and Sequestration, bekommen. Das ist jetzt nicht direkt Climate Engineering, aber alle Studien sagen, ohne CCS ist das Zwei-Grad-Ziel nicht zu erreichen. Das heißt, man muß da auch letztendlich offen mit diesen Fragen umgehen und sich überlegen, wie das am besten zu bewerkstelligen ist.

SB: Die globale landwirtschaftliche Fläche ist begrenzt, und es besteht heute schon ein Konkurrenzdruck zwischen dem Anbau für Nahrung, Futtermittel und sogenannte Energiepflanzen. Jetzt käme womöglich ein weiterer Konkurrent hinzu, die Erzeugung von Bioenergie in Verbindung mit CCS. Wie schätzen Sie die Problematik der Landnutzungskonkurrenz ein?

GK: Ich halte das, was im IPCC-Bericht präsentiert worden ist, für extrem optimistisch. Die Aufforstung, die ja ebenfalls zum Climate Engineering gehört, kann so gar nicht funktionieren. Würden ganze Kontinente aufgeforstet, um Kohlenstoff zu binden, veränderte das die Albedo, das Sonnenlicht würde weniger reflektiert. Wenn man derart viel aufforstet, wird es nicht kühler, sondern wärmer.

SB: Wegen der dann dunkleren Flächen durch die Waldbedeckung im Unterschied zum helleren Boden?

GK: Ja, das ist das eine. Das andere ist, daß die Kosten massiv unterschätzt worden sind. Allein die Vorstellung, Hunderte Millionen von Hektar in der Wüste aufforsten zu wollen, mitsamt der Bewässerung und allem drum und dran - das ist eine Größenordnung, die ist eigentlich nicht vorstellbar.


Betriebsgelände Pilotstandort Ketzin - Große Plakatwand mit Fotos der Anlage unter dem Titel 'CO2-Einspeisung - Juni 2008 bis August 2013' - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Es gibt heute keine Studie, inklusive die des Weltklimarats, die sagt, ohne CCS können wir das locker schaffen. Das gibt es einfach nicht. CCS ist wahrscheinlich notwendig in bestimmten Bereichen."
(Prof. Gernot Klepper, 27. September 2016, beim Podiumsgespräch im Auswärtigen Amt)
Pilotstandort Ketzin in Brandenburg - Grundlagenforschung für die CO2-Verklappung
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Wie bewerten Sie andere Formen des Climate Engineerings, beispielsweise Meeresdüngung oder die Injektion von Schwefel in die Stratosphäre?

GK: Eisendüngung in den Ozeanen ist eine der Methoden, bei denen die negativen Nebeneffekte wahrscheinlich größer sind als die positiven, die man haben will. Ich glaube nicht, daß das in der Zukunft noch groß propagiert werden wird. Bei der Manipulation des Strahlungshaushalts - Solar Radiation Management - sind merkwürdige Ergebnisse zustandegekommen. Da gibt es Nebeneffekte, die man vorher nicht gekannt hat, zum Teil auch positive Nebeneffekte. Zum Beispiel kann durch Solar Radiation Management mehr Biomasse gebildet werden und ähnliches. Das ist eine ganz schwierige Geschichte, und über die negativen Nebeneffekte weiß man noch so gut wie nichts. Das ist also bislang vollkommen offen. Das Hauptproblem ist natürlich, daß dabei nur die Temperatur verändert würde und nicht alle anderen Effekte des Klimawandels. Insofern wäre das schon eines der ganz gewichtigen Argumente gegen Solar Radiation Management.

SB: Das Emissionshandelssystem der Europäischen Union ist grandios gescheitert ...

GK: Naja, es ist nicht grandios gescheitert, es lebt, aber auf niedrigem Niveau. (lacht)

SB: Aber die Absichten, die damit ursprünglich einmal verfolgt worden waren, haben sich nicht erfüllt.

GK: Richtig.

SB: Sollte man versuchen, das Emissionshandelssystem wiederzubeleben, indem man beispielsweise Zertifikate weiter verknappt, oder sollte man es ganz und gar beenden?

GK: Die Frage lautet, was denn die Alternative wäre. Es gibt keine Alternative dazu, zumindest nicht in Europa. Weil die Europäische Union keine Steuern erheben darf, kann sie auch keine Kohlenstoffsteuer einführen. Somit bleibt nur der Emissionshandel, und wenn nichts anderes da ist, muß man den so reformieren, daß er wieder funktioniert. Ich sehe dazu überhaupt keine Alternative.

In anderen Ländern verhält sich das anders, die können Steuern erheben. Wobei ich keinen prinzipiellen Vorteil darin sehe, ob man mit einer CO2-Steuer oder einem Emissionshandel arbeitet, das ist im Prinzip das gleiche. Und wenn man nicht den politischen Willen hat, die Steuer hoch genug anzusetzen, steht man vor dem gleichen Problem. Dann hätte man eine Steuer von fünf Euro pro Tonne CO2, ungefähr so viel kostet sie auch beim Emissionshandel.

SB: Was halten Sie von dem Klimaschutzplan 2050, dessen Entwurf die Bundesregierung vorgelegt hat?

GK: Ich halte ihn für mutlos. Und widersprüchlich. Man kann sich nicht einerseits das Ziel der Dekarbonisierung um 80 bis 95 Prozent bis 2050 setzen und gleichzeitig propagieren, daß man nur eine Orientierung für die Gesellschaft bieten will. Orientierung reicht nicht, da müssen tatsächlich auch Leitplanken und Maßnahmen enthalten sein, die konkret ergriffen werden sollen, und das findet man in dem Bericht nicht.

SB: Man findet auch nichts zur Verstromung von Braunkohle, die noch Jahrzehnte weitergeführt werden soll, und dem Bereithalten von Braunkohle-Reservekraftwerken. Was wären Ihre Vorstellung dazu, wie die Bundesregierung mit diesem umstrittenen Energieträger weiter umgehen sollte? Wie schnell sollte der Ausstieg erfolgen?

GK: Man kann nicht fordern, daß weltweit ein sofortiger Ausstieg aus der Kohle erfolgen soll, aber es selber nicht tun. Insofern gibt es keine Alternative zu einem sozialverträglichen Ausstieg und so schnell wie möglich. Nur, man muß es auch wollen. Das ist im Augenblick anscheinend nicht der Fall.

SB: Herr Klepper, vielen Dank für das Gespräch.


Tagebau mit mehreren Schaufelradbaggern, am Horizont dampfende Kraftwerke - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Diese gesamten sozialen Kosten werden heute nicht internalisiert, wie die Ökonomen sagen. Und das ist einer der Gründe, warum die Wirtschaft im Augenblick noch keinen Anreiz hat, letztendlich in Investitionen zu gehen, die diese Kosten nicht verursachen."
(Prof. Gernot Klepper, 27. September 2016, beim Podiumsgespräch im Auswärtigen Amt)
Braunkohletagebau Hambach - Devastierung im großen Stil mit entufernden externalisierten Kosten
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Der Clean Development Mechanism (CDM) ist ein Mechanismus für eine umweltverträgliche Entwicklung. Die vom Kyoto-Protokoll in die Pflicht genommenen Industriestaaten sollten damit die Möglichkeit erhalten, Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern zu finanzieren und sich die dort eingesparten CO2-Emissionen als eigene Einsparungen anrechnen zu lassen.


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zum Briefing im Auswärtigen Amt erschienen:

BERICHT/122: Klima und Finanzen - den Teufel mit dem Beelzebub ... (1) (SB)
INTERVIEW/250: Klima und Finanzen - Was wachsen muß, das schwindet nicht ...   Thomas Hermann Meister im Gespräch (SB)

7. Oktober 2016


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