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INTERVIEW/268: Insektenschwund - Aufgabenvielfalt unterschätzt ...     Prof. Dr. Christoph Scherber im Gespräch (SB)



Das vor allem von der marktradikalen Ökonomie her hinlänglich bekannte Streben nach kurzfristigen Profiten hat sich längst in Forschung und Lehre an universitären Einrichtungen breitgemacht. Eine Folge davon ist, daß mehr und mehr Forschungsaufträge nur noch befristet vergeben werden, und kaum daß die beteiligten Forscherinnen und Forscher ihr auf ein oder zwei Jahre angelegtes Projekt begonnen haben, müssen sie sich auch schon für das nächste bewerben, weil sie ansonsten keine durchgängige Finanzierung ihres Lebensunterhalts sicherstellen können. Vor dem Hintergrund dieser akademischen Permanentnotlage ändern sich auch die Inhalte, die erforscht werden, und gleichen sich mehr und mehr den Erwartungen der Geldgeber an. Langfristige Projekte werden zunehmend seltener vergeben - dementsprechend bleiben Fragestellungen, die keine sofortigen "benefits" für den in internationaler Konkurrenz stehenden Forschungsstandort bieten, auf der Strecke.

Dazu paßt, daß es keine akademische Forschungsinstitution war, die über einen Zeitraum von 27 Jahren nach stets der gleichen Methode mit Hilfe von Malaise-Fallen die Verbreitung von Fluginsekten in Schutzgebieten von NRW, Rheinland-Pfalz und Brandenburg erfaßt hat, sondern ein privater Zusammenschluß mit allerdings durchaus versierten Akademikern. Wie wir berichteten (siehe unten), hat der Entomologische Verein Krefeld mit seinen im Oktober 2017 im Journal PLOS One [1] veröffentlichten Untersuchungsergebnissen zum Insektenschwund in der Fachwelt, Politik und auch der allgemeinen Öffentlichkeit für einiges Aufsehen gesorgt. Der Rückgang der Insekten ist ein Thema, an dem wohl niemand mehr vorbeikommt.

Die Erforschung von Agrarlandschaften und Naturschutzgebieten müsse gestärkt werden, forderte folgerichtig Prof. Dr. Christoph Scherber vom Institut für Landschaftsökologie (ILÖK) in Münster. Dazu benötige die Forschung mehr Planungssicherheit. Mit diesem Problem sollten sich noch mehr festangestellte Mitarbeiter an den Universitäten befassen, so daß ein langfristiges Monitoring der Insektenpopulationen möglich wird, sagte der Landschaftsökologe bei einem Pressegespräch auf der Tagung "Rückgang der Insekten: Kenntnisstand, Forschungen, Aktivitäten", die vom Landesverband NRW der Naturschutzorganisation NABU am 17. Februar 2018 am ILÖK organisiert worden war.

Scherber, der an der Universität Göttingen habilitiert und seit 2015 eine Professur für Tierökologe am ILÖK in Münster innehat, war bereit, nach Abschluß der NABU-Tagung dem Schattenblick noch einige Fragen zum Thema Insektenschwund zu beantworten.


Porträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Prof. Dr. Christoph Scherber
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Hat Sie der Befund der Untersuchungen des Entomologischen Vereins Krefeld überrascht, daß zwischen 1989 und 2016 die Insektenbiomasse um mehr als 75 Prozent abgenommen hat?

Prof. Dr. Christoph Scherber (CS): Diese Zahl speziell hat mich schon überrascht. Wir hatten bis dahin in anderen Untersuchungen eher 30prozentige Rückgänge, zum Beispiel durch intensive Landnutzungen, festgestellt. Daß die Zahl tatsächlich so hoch ausfällt, war wirklich überraschend.

SB: Werden Sie an dieser Frage - die Erfassung der Insektenbiomasse - jetzt auch weiterforschen oder ist das weniger Ihr Fachgebiet?

CS: Auf jeden Fall hat uns die Studie inspiriert, zukünftig auch die Biomasse mit aufzunehmen. Bis jetzt haben wir immer auf die Zahl der Individuen und der Arten geschaut, aber ich denke, die Biomasse mitzuerfassen, ist eine wichtige Komponente insbesondere im Vergleich mit der Krefelder Studie.

SB: Was passiert eigentlich, wenn sich der beobachtete Trend fortsetzt und die Bestäuber verschwinden?

CS: Wir verlieren einen Teil der uns umgebenen Natur, und das ist teilweise unwiederbringlich. Wir selber werden es merken, weil wir unseren Kindern dann natürlich nicht mehr so viel zeigen können, und sie werden dann nicht mehr so viel von der Natur erleben. Wir werden es sicherlich auch bei der Bestäubung unserer Kulturpflanzen sehen. Ein Stichwort dazu ist die Erdbeere. An dieser Pflanze kann ganz klar gezeigt werden: Wenn ein Erdbeerfeld nicht mehr von genügend Bienen angeflogen wird, erhalten wir schrumpelige Früchte.

SB: Könnten Menschen oder Minidrohnen an der Insekten statt die Bestäubung leisten?

CS: Ja, das findet tatsächlich bereits statt, daß Arbeitskräfte eingesetzt werden, die von Hand mühsam Kulturpflanzen bestäuben. Aber das wäre letzten Endes schon ein sehr teurer Ersatz für die kostenlose Leistung der Natur.

SB: Wäre das Bestäuben durch Insekten mechanisch durch Menschen oder Minidrohnen vollständig ersetzbar oder erfüllen die Fluginsekten beim Bestäuben weitere Funktionen?

CS: Ja klar, die Insekten lösen teilweise durch die Frequenz des Flügelschlages das Öffnen der Pollensäcke aus. Und manche Pflanzen, insbesondere seltene Pflanzenarten wie Orchideen, sind auf ganz bestimmte Bestäuber angewiesen. Die werden verschwinden, sobald der Bestäuber weg ist.

SB: Das bedeutet, daß ein Mensch mit dem Pinselchen nicht das leisten könnte, was die Biene macht?

CS: Nein, diese Effizienz, auch genau zur richtigen Zeit da zu sein, das kann der Mensch definitiv nicht leisten.

SB: Nochmals nachgefragt, reagieren die Blütenpflanzen darauf, wenn sie nicht mehr bestäubt werden - abgesehen natürlich von der ausbleibenden Vermehrung? Produzieren sie dann beispielsweise weniger Nektar oder zeigen weitere Reaktionen?

CS: Die Nektarproduktion wird natürlich angekurbelt, wenn das Insekt Nektar aus dem Sporn getrunken hat. Die Pflanze wird dann wahrscheinlich entsprechend weniger in die Nektarproduktion reinstecken. Und letzten Endes wird es auf jeden Fall die genetische Vielfalt von Pflanzenpopulationen negativ beeinträchtigen. Das heißt, wir könnten mit dem Verschwinden spezieller Bestäuberarten auch eine ganze Menge an Pflanzenarten verlieren.

SB: Am Rande der heutigen Abschlußdiskussion tauchte die Frage auf: Setzt sich der Insektenschwund in oder auf dem Boden fort?

CS: Ja, das betrifft alle Insektengruppen. Die Insekten, die auf dem Boden herumkriechen oder im Boden leben, sind ebenfalls beeinflußt. Insbesondere weil ja die Nachkommen der Insekten, die wir in der Malaise-Falle fangen, häufig als Larven im Boden leben.

SB: Gibt es vielleicht im deutschen Flachland größere Regionen, in denen entweder keine Landwirtschaft oder ausschließlich biologischer Anbau ohne Pestizide betrieben wird, so daß man dort Insektenfallen aufstellen könnte, um herauszufinden, wie sich dort die Populationen entwickeln?

CS: Es gibt sehr umfangreiche Studien, in denen ökologischer und konventioneller Landbau bundes- und europaweit verglichen worden sind. Wir können definitiv sagen, daß der Ökolandbau oder eine reduzierte Intensität der Landbewirtschaftung positive Wirkungen auf Pflanzen, Insekten und Vögel hat.

SB: Bei wissenschaftlichen Experimenten werden üblicherweise Parameter ausgeschlossen, um zu treffenden Aussagen zu gelangen. Als Landschaftsökologe befassen Sie sich jedoch genau umgekehrt mit dem Zusammenspiel der verschiedensten Faktoren. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?

CS: Wir arbeiten immer mehrskalig. Wir machen einerseits immer ganz gezielte Versuche auf kleinen Parzellen, und gleichzeitig sind wir in der Landschaft unterwegs und nehmen ihre volle Komplexität auf. Damit gewährleisten wir, daß wir einerseits kausale Aussagen treffen können, aber gleichzeitig auch Ergebnisse erzielen, die auf die Realität übertragbar sind.

SB: In dem in PLOS One veröffentlichten Artikel zum Insektenschwund war es nicht darum gegangen, den oder die Verursacher des Fluginsektenrückgangs zu bestimmen. Wie müßte eine Studie aufgebaut sein, die eine solche Ursachenbestimmung leistet?

CS: Das ist sehr schwierig, weil es sich im Zweifelsfall nur durch Korrelationen ausfindig machen läßt. Man müßte dann auf jeden Fall experimentelle Nachweise führen, bei denen man bestimmte Parameter, die sich als möglicherweise relevant erwiesen haben, im Experiment nochmal testet. Auf jeden Fall bräuchten wir ein systematisches Beprobungsmuster, nach dem wir die Biodiversität landes- oder bundesweit erfassen.

SB: Inwiefern werden von der Wissenschaft auch vielleicht abseitig erscheinende Thesen überprüft? Gibt es das, daß da bestimmte Doktorarbeiten darauf angesetzt werden und jemand sagt, ich will jetzt mal einen gewissen randständigen Aspekt untersuchen, beispielsweise Veränderung der Sonneneinstrahlung als Einfluß auf die Insekten?

CS: Wir machen das eigentlich immer. Beispielsweise lasse ich mich auch von solchen Tagungen wie heute inspirieren. Hier wurde ja die Frage aufgeworfen, ob der Rückgang der Weidetierhaltung nicht auch zu einem Rückgang der Fliegenbiomasse geführt hat. Das sind natürlich Fragen, die aus Forschungssicht sehr interessant sind und zu denen es auf jeden Fall zukünftige Untersuchungen geben wird. Wir als Wissenschaftler versuchen schon, offen zu sein für ungewöhnliche Sichtweisen, auch relevante Fragestellungen zu untersuchen, und wir bemühen uns, hierbei unvoreingenommen vorzugehen und alle möglichen Erklärungsmuster abzuklopfen, von der Verbuschung von Naturschutzgebieten bis zum Pflanzenschutzmittel.

SB: Reagieren Insekten auf Veränderungen der Sonneneinstrahlung, beispielsweise weil in Folge der Ausdünnung der Ozonschicht mehr UV-Licht auf die Erdoberfläche trifft?

CS: Zum Thema Ozon habe ich selber nicht gearbeitet, aber ich war in Dänemark an einem sogenannten FACE-Experiment beteiligt - einem Free Air Carbondioxid Enrichment Experiment. Da haben wir mit Hilfe von Düsen, aus denen CO2 ausströmt, die Kohlendioxidkonzentration der Atmosphäre ganz leicht angehoben. Außerdem haben wir eine kleine Dürreperiode erzeugt und eine ganz leichte Temperaturerhöhung um ein halbes Grad untersucht. Dabei stellten wir fest, daß in den Ökosystemen ungewöhnliche Dinge passieren. So wurden zum Beispiel manche Insektenarten, darunter auch Schadinsekten, negativ beeinflußt - aus anthropozentrischer Sicht wäre das natürlich gut. Allerdings haben wir ebenfalls gesehen, daß sogar Nährstoffkreisläufe zwischen Insekten und Boden durch den von uns simulierten Klimawandel ganz kompliziert beeinflußt werden. Hier stehen wir also noch ganz am Anfang und dieses Thema sollten wir nicht aus dem Fokus verlieren.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Üppig blühende Wiese, doch ohne Fluginsekten - Foto: Jan-Mallander, Pixabay [tinyurl.com/y73mn2jb]

(Symbolfoto)
"Wenn die Landschaft leer ist, bleibt sie leer."
(Prof. Dr. Christoph Scherber berichtete am 17. Februar 2018 in Münster über ein Ergebnis des EU-Projekts EASY, wonach Agrarumweltmaßnahmen keinen Effekt auf die Biodiversität hatten, weil der Artenpool schlicht erschöpft war.)
Foto: Jan-Mallander, Pixabay [tinyurl.com/y73mn2jb]


Fußnoten:

[1] Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809


Bisher im Schattenblick zur NABU-Tagung über den Insektenrückgang unter UMWELT → REPORT → BERICHT und UMWELT → REPORT → INTERVIEW erschienen:

BERICHT/133: Insektenschwund - Politik zu träge ... (1) (SB)
BERICHT/134: Insektenschwund - Politik zu träge ... (2) (SB)

INTERVIEW/269: Insektenschwund - schon länger in der Peilung ...     Marie Thöne im Gespräch (SB)


26. Februar 2018


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