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INTERVIEW/276: Landwirtschaft 4.0 - Akutantworten ...    Prof. Dr. Matin Qaim im Gespräch (SB)



Ein Bakweri-Bauer, der sein Cocoyam-Feld an den Hängen des Mt. Fako in der südwestlichen Provinz von Kamerun bearbeitet. - Foto: 2005 by Amcaja, CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) via Wikimedia Commons

'Landwirte, die nur für den Eigenkonsum wirtschaften, haben keine Zukunft. Sie verharren in Armut.' (Prof. Dr. Matin Qaim)
Foto: 2005 by Amcaja, CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) via Wikimedia Commons

Ungewöhnliche Konzepte werden von Politik und Landwirtschaft erwartet, um die Lebensmittelproduktion zu sichern, die Ernährung noch besser, gesünder, vielfältiger und bezahlbarer zu machen, gleichzeitig aber den bereits konkret spürbaren Problemen wie dem weltweit wachsenden Bedarf, der Ressourcenknappheit und den Folgen für Klima und Umwelt zu begegnen. Darüber, daß dies mit ökologischer und konventioneller Landwirtschaft allein nicht zu schaffen ist, sondern auch wenig populäre Innovationen neu in Erwägung gezogen werden müßten, waren sich die Teilnehmer des ersten Panels, die von Frau Dr. Angela Werner auf das Podium des 5. Zukunftsdialogs Agrar und Ernährung geladen worden waren, offenbar einig. Denn in dieser ersten Runde, "Kreislaufwirtschaft als Leitbild für die Agrarpolitik", in der man darüber diskutieren wollte, welche modernen Modelle dazu beitragen könnten, Nährstoffüberschüsse zu vermeiden und Reststoffe zu verwerten, wurde keiner der Standpunkte kontrovers hinterfragt.

So wurde beiläufig von Konzepten wie der technischen Aufbereitung von zumeist je nach Quelle stark belasteten Wirtschaftsdüngern (sprich: Klärschwamm, Gülle, Stallmist und Kompost) gesprochen, die der Ressourceneffizienz zugute kommen könnten, oder das sogenannte "Abreichern" im Vorwege des Nährstoffkreislaufs als Nachhaltigkeitsidee angeregt. [1]

Dieses von Dr. Alfred Petri (Evonik Nutrition & Care GmbH) vorgeschlagene Konzept beinhaltet Einsparungen an Futtermitteln durch sogenannte Niedrigproteindiäten, denen bestimmte Aminosäuren und Enzyme zugesetzt werden. Damit läßt sich der Stoffwechsel der fraglichen Rinder, Schweine oder Hühner so optimieren, daß sie die im Futter enthaltenen Nährstoffe besser aufschließen und weniger davon ausscheiden. Auch der Wasserverbrauch wird gesenkt, denn alles Eiweiß, das über den Bedarf hinaus verzehrt wird, muß anschließend über die Niere entgiftet werden. Durch diese "kritische Erzeugung" von Fleisch, d.h. mit einer Tierernährung am Rande des Mangels, könnte die Belastung der Umwelt drastisch zurückgefahren werden. Ein Vorschlag, der logisch einleuchtet. So mancher der geladenen Gäste im Publikum fragte sich vielleicht, wann die sauberen Lösungsansätze des Kreislaufwirtschaftens, einmal konsequent zu Ende gedacht, und auf den Menschen als einen der vielleicht größten Stoffumsatz-Reaktoren übertragen, zu einem dystopischen Recycling-Ansatz wie "Soylent Green" führen werden.


Die Karte weist viele Gebiete in Afrika als besonders durch Vitamin-A-Mangel gefährdet aus. - Grafik: 2008 by Sjschen aus WHO-Daten von 1995, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Von Mangelernährung sind vor allem Agrarländer im armen Süden betroffen.
Grafik: 2008 by Sjschen aus WHO-Daten von 1995, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Prof. Dr. Matin Qaim war als Inhaber des Lehrstuhls für Welternährungswirtschaft und ländliche Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen in die Runde gebeten worden, um den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus zu garantieren. Er beschäftigt sich als Agrarökonom mit Hunger, Armut und ländlicher Entwicklung vor allem in den Ländern des armen Südens. Schon lange ist er dafür bekannt, sich für Technologien wie die Gentechnik stark zu machen, die gegen den Mainstream von Forschern, Umweltschützern und Öffentlichkeit seiner Ansicht nach existentiell notwendige Lösungen für das Kleinbauerntum versprechen. Seit vielen Jahren engagiert er sich als Mitglied des Humanitarian Boards "Golden Rice" für die Entwicklung und Einführung von gentechnisch optimierten Reissorten, die sowohl eine Lösung für Hunger und Mangelernährung an Vitamin A in bestimmten Ländern zu bieten versprechen, als auch ein Produkt, das Kleinbauern aus der Armut helfen und Zugang zu größeren Märkten verschaffen soll. Bislang scheiterte die Einführung dieses umstrittenen gentechnischen Produkts, möglicherweise deshalb, weil andere Länder bei einer Kommerzialisierung dieser Reissorten eine Kontamination der eigenen Reisimporte befürchten, da Reis durch Wind bestäubt wird. So fiel der Konsultationsprozeß zu Golden Rice, der von der US Food and Drug Administration (FDA) im Mai 2018 abgeschlossen worden war, ebenfalls negativ aus: Golden Rice erfülle nicht die ernährungsphysiologischen Anforderungen für eine gesundheitsbezogene Empfehlung. [2]

Auf dem Podium sprach sich Prof. Qaim dafür aus, daß neue Technologien in der Landwirtschaft nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösungen wahrgenommen werden sollten, die zu einer extensiven Landwirtschaft führen könnten, wie sie in dieser Form nie existiert habe. Im Anschluß an die Podiumsdiskussion erklärte er dem Schattenblick im Gespräch, warum es keine generelle Lösung für alle ausstehenden Fragen geben kann.


Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Dr. Matin Qaim auf dem Podium.
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Rund 815 Millionen Menschen hungern, weitere zwei Milliarden leiden an Mangelernährung. Immer wieder liest man, es werde genügend Nahrung für alle Menschen produziert, Hunger sei vor allem eine Frage der ungerechten Verteilung der Nahrung. Wie sehen Sie das?

Prof. Dr. Matin Qaim (MQ): Das stimmt auf den Moment bezogen. Hunger ist ein riesiges Verteilungsproblem. Wenn man alles, was so an Lebensmitteln weltweit produziert wird, gleichmäßig auf die Weltbevölkerung verteilen würde, müßte niemand Hunger leiden.

Nur leben wir derzeit in einem Wirtschaftssystem, in dem nicht irgendein globaler Diktator Lebensmittelpäckchen packt, sondern in dem sich Menschen mithilfe ihres persönlichen Einkommens ernähren und deswegen heißt Verteilungsproblem letztendlich Armutsproblem. Das heißt, wir müssen zunächst die Armut reduzieren, indem wir diejenigen, die zuwenig Einkommen haben, in die Lage versetzen, sich durch Arbeit und die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen besser zu ernähren. Ein Verteilungsproblem läßt sich nicht zwar leugnen, die Erkenntnis hilft uns aber nicht weiter. Wir müssen im Blick haben, daß die Nachfrage weiter wächst. Sonst besteht die Gefahr, daß dieses Argument, der Hunger sei nur ein Verteilungsproblem, als Begründung für die weitere Behauptung dient, wir bräuchten eigentlich keine weitere Steigerung in der landwirtschaftlichen Produktion. Das wäre gefährlich. Wenn wir nicht gleichzeitig Überlegungen anstellen und entsprechende Weichen stellen, wie wir nachhaltig mehr produzieren können, stimmt die Rechnung in dreißig bis vierzig Jahren nicht mehr, wenn die Weltbevölkerung voraussichtlich auf 9,5 Milliarden angewachsen sein wird. Daß unsere landwirtschaftliche Produktion als ausreichend gelten kann, liegt an ihrer Produktionssteigerung in den letzten Jahrzehnten und das müssen wir weiterdenken. Insofern müssen wir sowohl das Armuts- und Verteilungsproblem als auch das Problem der nach wie vor wichtigen Produktionssteigerung nachhaltig in den Griff bekommen und daher an beiden Stellen ansetzen.

SB: Halten Sie die Zahlen der FAO zu globalen Erntemengen, die diesen Rechnungen zugrunde gelegt werden, überhaupt für schlüssig?

MQ: Auf das bezogen, was an Lebensmitteln produziert wird, kann man wohl von diesen Zahlen ausgehen. Man sollte aber mit globalen Statistiken, weil sie sich aus den nationalen Produktionsstatistiken der einzelnen Länder zusammensetzen, immer vorsichtig sein. Da sind manche Länder genauer als andere. Doch im großen und ganzen sind das Größenordnungen, die durchaus realistisch sind.

SB: Gehungert wird vor allem auf dem Land. Auf dem Land wird die Nahrung aber produziert. Können Sie uns den Widerspruch erklären?

MQ: Wir sind nicht in der Situation, daß landwirtschaftliche Betriebe nur für den Eigenkonsum produzieren. Zwar behalten die meisten Betriebe ein Teil ihrer Ernte dafür zurück. Doch der größte Teil wird verkauft, um Einkommen zu erwirtschaften, um die Kinder auf die Schule zu schicken, um die Gesundheitsversorgung zu bezahlen, um sich Kleidung zu kaufen und vieles mehr. Insofern stimmt es, daß der Hunger auf dem Land weit verbreitet ist, weil Menschen auf dem Land, vor allem Kleinbauern und ihre Familien, kein ausreichendes Einkommen haben.

SB: 2018 sollte in Bangladesch das erste Mal "Goldener Reis" auf dem Feld angebaut werden. Als Mitglied des Humanitarian Boards engagieren Sie sich persönlich schon viele Jahre für das Projekt. In den letzten Jahren hörte es sich häufiger so an, als sei das Experiment gescheitert, weil die Erträge nicht groß genug wären, Stichwort: Swarna Reis, oder weil die Menge an Provitamin A im Reis nicht ausreiche, um den Tagesbedarf zu decken. Vor kurzem hat die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten (FDA) die gesundheitsbezogene Empfehlung verweigert. Können Sie uns sagen, ob es trotzdem wie geplant in diesem Jahr bereits Goldenen Reis auf den Feldern von Bangladesch geben wird?

MQ: Daß Goldener Reis tatsächlich in der praktischen Landwirtschaft angebaut wird, ist bisher nicht geschehen. Das hat aber damit zu tun, daß es sich um gentechnisch veränderten Reis handelt, der zugelassen werden muß, und erst, wenn er das formale Verfahren durchlaufen hat, angebaut werden darf. Das ist wiederum keine Frage der Technik, denn die wäre soweit, daß sie zugelassen und angewendet werden könnte. Es ist nur so, daß die entsprechenden Zulassungsbehörden der Länder sehr vorsichtig sind und weitere Prüfungen verlangen. Und genau das ist schwierig, weil man auch für diese Tests Genehmigungen braucht und anders als bei herkömmlich gezüchteten Pflanzen, die man im Freiland anbaut und dann einfach untersucht, sind das langwierige Genehmigungen. Das hat das Projekt des Goldenen Reis leider in die Länge gezogen, so daß es tatsächlich bisher nirgends in der Welt in der landwirtschaftlichen Praxis angewendet wird. Im Feldversuch schon. Der "Golden Rice" ist auch schon durch die Lebensmittelsicherheitsprüfungen gegangen und in einigen Ländern für den Lebensmittelkonsum zugelassen worden, auch wenn es ihn noch gar nicht gibt. Aber seine Zulassung als Lebensmittel ist wichtig, um ihn überhaupt anbauen zu können. Das heißt, die Voraussetzungen sind in einigen Ländern geschaffen. Wir bleiben optimistisch, daß in inzwischen sehr absehbarer Zukunft der Reis auch zum Einsatz kommen wird, aber das hängt von den Regulierungshürden ab und den entsprechenden Zulassungen, die bisher nicht erteilt wurden.


Reisanbau in Thailand. - Foto: 2017 by hereisthailand, als CCO Creative Commons via Pixabay

Noch gibt es keinen Goldenen Reis in der praktischen Landwirtschaft.
Foto: 2017 by hereisthailand, als CCO Creative Commons via Pixabay


Eine Schale mit herkömmlichem und eine mit Goldenem Reis - Foto: 2011 By International Rice Research Institute (IRRI) [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia

Carotinoide, die von einem Maisgen produziert werden, geben dem Reis den goldenen Farbton.
Foto: 2011 By International Rice Research Institute (IRRI) [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia

SB: Ehe der Vitamin A-angereicherte Golden Rice tatsächlich an Bauern zur freien Nutzung verteilt werden kann, soll er durch konventionelle Kreuzung in lokal angepasste Reissorten eingebracht worden sein. Ist das richtig? Botaniker sprechen davon, daß solche Züchtungen bis zur vermarktungsfähigen Pflanze mindestens 10 Jahre brauchen. Gibt es Überlegungen, diese Zeit mit neuen Genom-Editing Methoden abzukürzen?

MQ: Natürlich wird ein Merkmal wie das Golden-Rice-Merkmal nur dann vernünftig angewendet werden können, wenn es in lokal angepaßte Sorten eingebracht ist. 10 Jahre ist jetzt ein relativ langer Zeitraum. Es dauert aber auf jeden Fall einige Jahre. Wenn man das effizient macht, wird man vermutlich weniger als zehn Jahre brauchen. Selbstverständlich ließe sich die Effizienz weiter steigern, indem man tatsächlich das isolierte Genkonstrukt direkt in die Zielsorte einbaut. Aber das würde nach heutigen Gentechnik-Recht heißen, daß Sie ein neues Gentechnik-Event haben - so heißt das in der technischen Sprache - und damit alle Zulassungen neu durchlaufen müßten. Anders gesagt, könnten Sie zwar technisch schneller ans Ziel kommen, hätten dann aber wieder viele Jahre, in denen Sie all die Tests ein weiteres Mal durchführen müßten. Bei der ursprünglichen Methode müssen Sie diese Prozedur nicht wiederholen, weil das Event als solches, dann bereits zugelassen ist. Es ist somit eine Frage, inwieweit die Evaluationsverfahren tatsächlich bremsend wirken.

SB: Sie setzten sich neben Ihrer Forschung immer wieder für die Subsistenzwirtschaft beziehungsweise für die Förderung der Kleinbauern in schwächer strukturierten Ländern ein. Wenn gentechnisch verändertes Saatgut kostenlos und vor allem lizenzfrei an Bauern in entwicklungsschwachen Ländern verteilt wird, ist das vermutlich ein Angebot, das kein armer Bauer ausschlagen kann. Sind diese Bauern abgesichert, falls das Projekt nicht so verläuft, wie erwartet?

MQ: Ich möchte zunächst ganz kurz klarstellen, daß ich nicht für die Förderung von Subsistenzlandwirtschaft bin, sondern für die Förderung des Kleinbauernsektors. Diese Unterscheidung ist mir wichtig. Aus sozialer Sicht halte ich es für wesentlich, Betriebe des Kleinbauernsektors zu unterstützen, aber nicht als subsistenzorientierte, sondern als marktorientierte Unternehmen. Landwirte, die nur für den Eigenkonsum wirtschaften, haben keine Zukunft. Sie verharren in Armut. Das kann nicht das Ziel sein.

Die Frage, wie diese Bauern abgesichert werden, falls etwas passiert, ist jedoch berechtigt. Doch vielleicht müßte man zunächst einmal klären, was das sein könnte. Wenn Sie damit meinen, daß beispielsweise eine gentechnisch veränderte Sorte ein Gesundheitsproblem auslöst, dann würde ich sagen, daß so etwas eigentlich in den Verfahren und Prüfungen vorher geklärt und ausgeschlossen worden sein müßte. Alles, was in irgendeiner Form in den Umlauf kommt, muß zuvor auf Sicherheit geprüft werden. Sowas darf nicht vorkommen, egal ob es im Kleinbauernsektor oder in anderen Formen der Landwirtschaft stattfindet. Vielleicht wollen Sie Ihre Frage konkretisieren?

SB: Ich halte es immer für denkbar, daß sich in der praktischen Erprobung Zusammenhänge ergeben, an die vorher keiner gedacht hat. Ich bin da kein Experte, aber ich könnte mir vorstellen, daß selbst erprobtes Saatgut bei bestimmten Mineralien oder chemischen Bedingungen im Boden, die vielleicht sehr lokal auf das Land eines Bauern begrenzt sein können, nicht wachsen will oder mit bestimmten Streßreaktionen schlechter klar kommt, als die ursprüngliche "Wirtspflanze". Dann hat der Bauer nicht nur Ertrageinbußen und nichts zu essen, sondern muß eventuell kostspielige Recherchen anstellen, um die Ursachen zu klären. Wie wäre ein Bauer, der sich auf das Experiment einläßt, gegen solche unvorhersehbaren Vorfälle abgesichert?

MQ: Selbstredend sollte nur ein Saatgut propagiert und an Kleinbauern verteilt oder verkauft werden, das den lokalen Bedingungen entspricht. Das ist wichtig. Man kann nicht irgendein Saatgut, das in den USA entwickelt wurde, eins zu eins auf eine Situation im südlichen Afrika übertragen. Es muß an die Boden- und Klimaverhältnisse angepaßt sein. Wenn das nicht sichergestellt wird, wäre es ein schlechtes Projekt. Nichtsdestotrotz kommt es zum Beispiel in den semiariden Tropen, in denen immer wieder die Regenfälle zum Teil über längere Zeit ausbleiben, hin und wieder zu Mißernten. Diese Ernteausfälle betreffen das konventionelle Saatgut und man wird sie mit gentechnisch verändertem Saatgut nicht verhindern können. Bleiben wir mal beim genetisch veränderten Golden Rice. Das Golden-Rice-Gen macht die Sorten nicht gleichzeitig auch dürreresistent. Wenn nun eine Dürre auftritt, wird der Goldene Reis genauso davon beeinträchtigt sein, wie jeder andere Reis, den die Leute normalerweise anbauen würden und das darf man nicht miteinander vermischen. Man sollte nicht darauf hoffen, daß es auf einmal ein Wundersaatgut geben wird, das alle Probleme auf irgendeine Weise löst. Nein, auch ein gut angepaßtes Saatgut kann immer nur das zusätzlich leisten, was genetisch an ihm verändert wurde. Und eine insektenresistente Sorte kann deshalb nicht automatisch gleichzeitig dürretolerant sein.

Es wäre sicherlich ein wünschenswertes Ziel, Sorten zu entwickeln, die möglichst viele Merkmale, die im lokalen Kontext sinnvoll sind, in sich vereinen. Aber bisher sprechen wir im Bereich der Gentechnik nur über einzelne Merkmale und nicht über Technologien, die alles mögliche umfassen. Vielleicht kommt so etwas zukünftig, aber derzeit sind wir weit davon entfernt.

SB: Können denn unvorhergesehene Schwierigkeiten durch die Einkreuzung in lokal angepaßte Sorten verhindert oder reduziert werden?

MQ: Das ist genau der Punkt. Ich muß die interessanten Merkmale in lokal angepaßtes Saatgut einkreuzen. Wir konnten das an einem Beispiel in Indien sehen: Dort wurde nach der Einführung von Gentechnologie auf dem Acker zunächst eine gentechnisch veränderte, Insekten-resistente Baumwolle nur in drei Sorten auf den Markt gebraucht. Das heißt, das Insektenresistenzgen war nur in drei Varianten eingebaut worden. Aber Indien ist ein riesiger Markt mit sehr unterschiedlichen Bedingungen. In manchen Gebieten gibt es mehr, in anderen weniger Wasser. Es gibt unterschiedliche Bodenverhältnisse. Entsprechend haben die Bauern zuvor eine Vielzahl unterschiedlicher Baumwollsorten angebaut, die an diese Verhältnisse angepaßt waren. Doch durch die Einführung der neuen Sorten, die wegen der Insektenresistenz interessant war, fingen alle an, nur noch diese drei Sorten anzubauen.

Inzwischen gibt es mehr, genauer gesagt, über tausend verschiedene lokale Sorten, die insektenresistent sind. Warum gab es am Anfang nur drei? Vor allen Dingen, weil die indischen Behörden erst einmal mit drei Sorten Erfahrungen sammeln wollten, wie das funktioniert und ob keine Risiken damit verbunden sind. Man hat sich daher mit dieser sehr vorsichtigen Haltung "wir-lassen-nur-drei-Sorten-zu", obwohl technisch bereits mehrere möglich gewesen wären, am Anfang gewissermaßen erst die Probleme geschaffen, die man hätte verhindern können. Das führte dazu, daß der eine Bauer über Pilzprobleme klagte oder der nächste Dürreprobleme anmeldete. So etwas mußte man erwarten, weil die drei Sorten, die zur Verfügung standen, nicht ausreichend alle Bedingungen bedienen konnten. Indien hat diese Phase überwunden und das ist gut so. Das Beispiel zeigt sehr deutlich, daß die lokale Adaptation bzw. das Einbringen von Merkmalen in lokal angepaßte Sorten wichtig ist, um Probleme zu verhindern.

SB: Haben Sie eine Idee dazu, wie der Konflikt zwischen Kleinbauern, die sich kein lizenziertes Saatgut leisten können, und den Lizenzgebern, die in die Erforschung und Entwicklung von Saatgut investiert und beispielsweise tausend verschiedene Sorten entwickelt haben, gelöst werden kann?

MQ: Ich vermute, Ihre Frage zielt nicht auf den Golden Rice ab, denn bei diesem Projekt ist es so geregelt worden, daß alle Patentinhaber dies für den Einsatz im Kleinbauernsektor lizenzfrei zur Verfügung stellen. Aber die Frage bleibt grundsätzlich relevant. Aus meiner Sicht ist es wichtig, daß Patente immer nur in dem Land gelten, in dem sie erteilt worden sind. Entwicklungsländer, insbesondere die ärmsten Länder, sind nicht gut beraten, Patente auf viele Technologien, die vielleicht gewinnbringend von Kleinbauern angewendet werden können, zu erteilen, weil das tendenziell die Technologie verteuert.

Das heißt eine Technologie, die etwa von Bayer - wenn wir dem jetzt mal einem Namen geben wollen - in Deutschland patentiert wurde, muß deswegen nicht gleichzeitig in Äthiopien oder Uganda patentiert sein. In meinen Augen ist das so gut. Denn dann kann sie von den armen Bevölkerungsgruppen dort lizenzfrei angewendet werden. Auf der anderen Seite reichen in der Saatgutentwicklung nicht nur die Angebote von privaten Firmen. Es gibt einiges, was Privatunternehmen machen, wovon Kleinbauern durchaus profitieren können. Aber es gibt eine ganze Reihe von Merkmalen im Saatgut, die zwar irgendwo auf lokalen Märkten in Entwicklungsländern eine Rolle spielen, aber nicht so profitabel sind, daß sich diesen eine große Firma widmen würde. Das gilt auch für Kulturpflanzen. Denken Sie nur an Maniok, Hirse oder Teff [3], die als Kulturpflanzen für die lokale Ernährungssicherung eine große Rolle spielen, aber an denen kein Bayer, Syngenta oder anderer großer Saatgutkonzern Interesse hätte. Das heißt, hier wären öffentliche Forschungsprojekte weiterhin sehr wichtig. Wir brauchen eine größere Vielfalt im Saatgutsektor und auch in der Züchtung. Vielfalt bedeutet aber nicht nur große und kleine Anbieter, es bedeutet auch öffentliche Forschungseinrichtungen, die mit ihrer Arbeit komplementär das abdecken, was von den großen Firmen nicht gemacht wird.

SB: Mit Ihrer Empfehlung, mehr gentechnisch veränderter Vielfalt zu entwickeln, weichen Sie vom allgemeinen Konsens im Gentechnik-skeptischen Europa ab. Würden Sie sagen, daß die Kritik an der Gentechnik hierzulande den Hunger in der Welt verstärkt hat?

MQ: Zumindest hat die ablehnende Haltung in Europa dazu geführt, daß Gentechnik und auch die neuen Anwendungen dieser Technologie, die weit über das hinausgehen, was wir heute sehen, weltweit nicht so eingesetzt werden konnten, wie es vielleicht ohne diese Kritik möglich gewesen wäre. Ich bin überzeugt davon, daß diese Technologie einiges an Potentialen enthält, auch den Hunger zu bekämpfen. Nicht als Wundermittel, nein, ein Allheilmittel dagegen gibt es sicherlich nicht, aber durchaus als ein Beitrag, der gerade für Kleinbauern in Entwicklungsländern relevant sein kann. Insofern ist da schon etwas dran, daß wir mit unserer ablehnenden Haltung, die technologischen Entwicklungen bremsen und unterbinden, die eine positive Rolle für die Hungerbekämpfung spielen könnten.

SB: Derzeit sind die Folgen von Plastikmüll im Meer ein großes umweltpolitisches Thema. Die Europäische Union will den Verbrauch erheblich reduzieren. Nun ist zu vermuten, daß auch hier der Ersatz vom Acker kommen soll. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß sich der Konkurrenzdruck nennenswert erhöht, wenn auf den Äckern neben Nahrungs- und Futtermitteln oder Energiepflanzen industrielle Agrarrohstoffe gewonnen werden sollen?

MQ: Die Konkurrenz ist jetzt schon vorhanden. Nicht erst seit dem Verbot von Plastik zielen wir darauf ab, die Wirtschaft unabhängiger vom Erdöl zu machen, was ich für sehr gut halte. Dabei spielen nachwachsende Rohstoffe eine Rolle, die man naturgemäß auf Äckern anbaut, auf denen alternativ Nahrungsmittel produziert werden könnten. Sie verbrauchen die gleichen Ressourcen und ihr Anbau wird das anfangs im Interview angesprochene Mengenproblem - also daß wir uns nicht darauf ausruhen können, daß theoretisch genug Nahrungsmittel erzeugt werden und der Hunger nur ein Verteilungsproblem ist - mit Sicherheit weiter verschärfen. Wir haben begrenzt Ackerland, wir haben begrenzt Wasser, wir haben es mit Klimaauswirkungen zu tun und wir haben einen Schwund in der Biodiversität, und all diese Dinge müssen wir im Blick halten. Wenn die Nachfrage an nachwachsenden Rohstoffen steigt - und davon gehe ich aus -, wird es um so notwendiger, mehr darüber nachzudenken, wie wir die Produktion nachhaltig weiter steigern können, um die angesprochene Konkurrenz zwischen dem Nahrungsmittelsektor und dem Bioenergie- und Stoffchemie-Sektor zu entschärfen.

SB: Was wären Ihre wichtigsten Empfehlungen als Wissenschaftler an die Politik, um den Hunger zu beenden? Sollten Politiker auch in diesem Sektor mutiger und experimentierfreudiger werden?

MQ: Mut werden wir sicherlich brauchen. Wir sollten uns aber von dem Gedanken trennen, daß Hunger und Armut durch einfache Tricks zu lösen sind. Es ist nicht so leicht, daß man sagen könnte: Hier ist jetzt das Geheimrezept. So lösen wir das. Aber wenn wir uns anschauen, was in den letzten Jahrzehnten erfolgreich zur Armuts- und Hungerbekämpfung beigetragen hat - und da gibt es einiges -, dann haben vor allem zwei Dinge eine besondere Rolle gespielt: zum einen der Bereich Agrarforschung, über den wir ja schon gesprochen haben. Sinnvoll an den Kleinbauernsektor angepaßte Agrarforschung und Technologie wird weiterhin eine Rolle spielen und dabei müssen wir mutig genug sein, auch Dinge wieder geradezurücken, die leider in der öffentlichen Diskussion die falsche Richtung eingeschlagen haben, wie das Thema Gentechnik oder neue Züchtungstechnologien, weil wir sonst auf große Potentiale verzichten. Das gleiche gilt für den Bereich digitale Technologien, der ebenfalls in den Entwicklungsländern eine größere Rolle spielen wird.

Aber der zweite wichtige Punkt ist das Funktionieren und die Anbindung von Märkten. Leider ist es immer der Kleinbauernsektor, der am meisten drunter leidet, wenn die Märkte nicht funktionieren. Das fängt mit ganz einfachen und simplen Dingen wie Straßen oder der Zugang zu vernünftiger Ausbildung und Training an, wie der Zugang zu Kleinkrediten. Das sind Dinge, die über relativ einfache Infrastruktur- und Institutionenlösungen angegangen werden können und müssen. Aber dazu braucht es einen entsprechenden politischen Willen und ausreichende politische Stabilität. Letzteres sind Voraussetzung, die leider gerade in vielen Ländern Afrikas in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten fehlten. Kurz gesagt, politische Stabilität, gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung sind wichtige Voraussetzungen, die noch zu schaffen sind.

SB: Haben Sie vielen Dank, Herr Professor Qaim.


Anmerkungen:


[1] https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0138.html

[2] https://www.independentsciencenews.org/news/gmo-golden-rice-offers-no-nutritional-benefits-says-fda/

[3] Teff oder Zwerghirse kommt als glutenfreies Mehl gerade in Mode.
https://www.zentrum-der-gesundheit.de/teff.html


Bisher sind zum "5. Zukunftsdialog Agrar und Ernährung 2018" im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/138: Landwirtschaft 4.0 - die Stickstoffalle ... (SB)
BERICHT/139: Landwirtschaft 4.0 - Besserungen verlangen und geloben ... (SB)
INTERVIEW/274: Landwirtschaft 4.0 - Ökolandbau, warum nicht ...    Silvia Bender im Gespräch (SB)
INTERVIEW/275: Landwirtschaft 4.0 - Tierhaltungs- und Gebrauchsalternativen ...    Dr. Martina Stephany im Gespräch (SB)
INTERVIEW/276: Landwirtschaft 4.0 - Akutantworten ...    Prof. Dr. Matin Qaim im Gespräch (SB)


18. Juni 2018


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