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INTERVIEW/292: Welttag der Ozeane 2019 - nationaler Mißbrauch und Wirtschaftsinteressen ...    Kai Kaschinski im Gespräch, Teil 1 (SB)



Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kai Kaschinski
Foto: © 2019 by Schattenblick

Rund zwei Drittel der Oberfläche der Erde sind von Wasser bedeckt. Im Zuge der globalen Erwärmung gehen Atolle und andere flache Inseln unter, beschleunigt sich die Erosion am Grenzbereich zwischen Meer und Land, geraten Küstenstreifen zu Meeresboden. Das Antlitz der Erde wird sich in diesem Jahrhundert stark wandeln, sofern es nicht gelingt, die menschengemachten Treibhausgasemissionen aus Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Haushalten drastisch zu verringern. Auch die Ozeane werden sich verändern, nur daß sich das vorwiegend unter der Oberfläche abspielt. Die ausgedehnten Strudel von Plastikmüll im Atlantik und Pazifik, die regelmäßig auftretenden Algenblüten vor den Mündungsgebieten großer Flüsse und der schillernd-schwarze Glanz in Folge von Erdölleckagen der Offshore-Fördergebiete spiegeln nur oberflächlich ab, was sich in erheblich größerem Ausmaß darunter abspielt.

Daran erinnert der vor zehn Jahren erstmals von den Vereinten Nationen ausgerufene Welttag der Ozeane, der seitdem immer am 8. Juni begangen wird. Aus diesem Anlaß hat ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Fair Oceans, Brot für die Welt und Forum Umwelt und Entwicklung am 7. Juni zu der Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung - 25 Jahre Seerecht zwischen wachsenden Schutz- und Nutzungsansprüchen" in die Landesvertretung Bremens in Berlin geladen.

Der Schattenblick bereitet die Konferenz unter anderem mit einer Reihe von Interviews nach (siehe unten). Nachdem zunächst der Klimaforscher Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner einen bestimmten Aspekt aus seinem Vortrag, nämlich eine stärkere Schichtung der Ozeane aufgrund des Klimawandels, erläutert und Dr. Carsten Rühlemann Umweltfragen zur Ernte von Manganknollen vom Tiefseeboden erörtert hat, gab der Politologe Sebastian Unger Einblicke in den Stand der Verhandlungen zu einem Hochseeschutzabkommen als Ergänzung zum Internationalen Seerechtsübereinkommen. Im folgenden Interview, das im Anschluß an die Konferenz geführt wurde, äußert sich einer der Veranstalter, Kai Kaschinski von Fair Oceans, unter anderem zu Fragen der nationalen Wirtschaftsinteressen und Industrialisierung der Ozeane.

Schattenblick (SB): Die Europäische Union und auch die Bundesregierung fördern das sogenannte Blue Growth, manchmal wird auch von Blue Economy gesprochen. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?

Kai Kaschinski (KK): In der Europäischen Union wird der Begriff Blue Growth, blaues Wachstum, bevorzugt. Nach der Jahrtausendwende hat die EU ihr Blaubuch herausgegeben, das ihre meerespolitischen Strategien enthält. Darin heißt es, daß die Küsten- und Meeresregionen der Europäischen Gemeinschaft verstärkt ökonomisch erschlossen werden sollen, um den Wohlstand innerhalb der EU zu fördern. Zwar hat man sich im Rahmen dessen ebenfalls für die Förderung des Meeresschutzes ausgesprochen, aber im Vordergrund der politischen Strategien stand und steht noch heute die Erzeugung wirtschaftlichen Wachstums durch die Erschließung der Küsten- und Meeresregionen. Die maritimen Bereiche werden als ein neuer Wirtschaftsraum wahrgenommen, den es umfassender als bisher zu erschließen gilt. Dazu wurde auch das Konzept der Meeresraumplanung auf den Weg gebracht.

Die Blue-Growth-Strategie der EU zielt schwerpunktmäßig auf fünf Bereiche, die ökonomisch ausgebaut werden sollen: Tourismus, Offshore-Windenergie, Schiffahrt, marine genetische Ressourcen und Tiefseebergbau. Das sind die fünf Kernziele der europäischen Blue-Growth-Strategie, die auch in den deutschen Meeren umgesetzt werden. In anderen Ländern fällt die Gewichtung etwas anders aus.

Dieser Trend zur Industrialisierung der Meere ist nicht nur in Europa zu beobachten. In vielen Ländern wurden meerespolitische Strategien entwickelt, unter anderem von der US-Administration während der Präsidentschaft Barack Obamas. Meerespolitik wurde als so bedeutend erachtet, daß sie sogar im Weißen Haus angesiedelt war. Die Unterzeichnung des UN-Seerechtsübereinkommens war eines der 15 zentralen Ziele. All das fand in dem Kontext statt, den maritimen Raum als neue Chance für die Wirtschaftsentwicklung zu begreifen.

Auch in Reaktion darauf haben Diskussionen eingesetzt, in denen nicht der Begriff des Blue Growth verwendet wurde, sondern der Blue Economy. Das war unter anderem bei der Zivilgesellschaft im Pazifik der Fall, wo diese Diskussionen teilweise mit der Idee verbunden waren, dem westlichen industriellen Wachstumsdenken alternative Entwicklungsmodelle entgegenzustellen und zu versuchen, die Meere und Küsten auch anders ökonomisch und sozial zu begreifen als in den Blue-Growth-Strategien. Denn die standen für nichts anderes, als was in den letzten Jahrzehnten bereits an Land angewendet worden war, also in die Meere vorzustoßen und sie zu industrialisieren. Das hat inzwischen eine neue Qualität erreicht. Wir sagen immer dazu, daß sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren unser gesellschaftliches Verhältnis zu den Meeren verändert hat. Sie werden intensiver genutzt.

Greifen jedoch verschiedene Interessengruppen auf den gleichen Bereich zu, nämlich auf die Küstenregionen und die Küstenmeere davor, entstehen Konflikte. Denn es bestehen unterschiedliche Vorstellungen davon, wie diese Regionen entwickelt werden sollen. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob die traditionellen Nutzungsrechte der indigenen Gemeinschaften oder lokaler Küstengemeinden, die Kleinfischerei betreiben, bewahrt werden oder ob auf neue Hightech-Industrien gesetzt wird.

SB: Treibt Deutschland als führende Wirtschaftsmacht innerhalb der EU die Entwicklung auch in diesem Bereich voran? Oder sind die traditionell größeren Seefahrernationen Frankreich, Portugal, Spanien, Italien, Großbritannien die Treiber?

KK: Der Öffentlichkeit in Deutschland ist im allgemeinen gar nicht so klar, welche Bedeutung die maritime Wirtschaft hierzulande hat. Sie gilt nach der Automobilindustrie als der zweitgrößte Wirtschaftsbereich. Spanien und Portugal sind sogar kleine Seefahrernationen verglichen mit Deutschland, das von der Anzahl der Schiffe her die viertgrößte Flotte und von der Anzahl der Containerschiffe her sogar die mit Abstand größte Flotte der Welt hat. Im europäischen Kontext hat nur Griechenland noch mehr Schiffe als wir, es ist sogar weltweit führend. Wie gesagt, es geht um den Besitz von Schiffen, nicht um die Flagge, unter der sie fahren. Denn da liegen Liberia oder Panama vorn.

Außerdem ist Deutschland der größte Exporteur maritimer Technologie. Wenn irgendwo auf der Welt Erdöl oder Erdgas offshore gefördert wird, ist das genauso wie in manchen anderen Zweigen des Maschinenbaus: Die deutsche Wirtschaft ist die Nummer eins, die dafür die technische Ausrüstung bereitstellt. Wir sind zwar nicht die, die die Bergbaukonzerne haben, wir sind auch nicht die, die die größten Reedereien wie Maersk haben, wo die Schiffe schön hellblau angestrichen werden, aber wir sind die, die die ganze Technik dafür liefern und teilweise am meisten Geld damit verdienen. Deutschland ist eindeutig ein Treiber des Blue Growth.

Darum ist es auch kein Wunder, daß wir keinen maritimen Beauftragten bei der Bundesregierung haben, der für Meeres- und Küstenschutz zuständig ist, sondern wir haben einen maritimen Beauftragten, der für die maritime Wirtschaft ernannt wurde und beim Bundeswirtschaftsministerium sitzt. Zur Zeit hat Herr Brackmann von der CDU diesen Posten inne. Man kann das Gewicht dieses Sektors auch daran erkennen, wenn man auf die maritime Konferenz fährt, die alle zwei Jahre vom Bundeswirtschaftsministerium abgehalten wird und auf der dann immer die Bundeskanzlerin auftritt und eine Grundsatzrede hält. Wenn man sieht, was dort an wirtschaftlicher Macht zusammenkommt, dann erhält man eine Vorstellung davon, welche Bedeutung dieser Sektor tatsächlich für Deutschland hat.

SB: Du sagtest, daß das Erforschen und Erschließen der genetischen Ressourcen der Meere ebenfalls dem Blue Growth zugerechnet wird. Ist Deutschland auch darin involviert?

KK: Ja, in vielerlei Hinsicht erleben die Entwicklungen auf dem Meer so etwas wie eine nachholende Industrialisierung. Das, was wir an Land schon längst haben, greift nun auf die See über. Das deutsche Unternehmen Bayer hat mit der Übernahme von Monsanto die weltweit meisten Patente auf genetische Ressourcen im landwirtschaftlichen Bereich erworben. Mit BASF jedoch hat ein weiteres deutsches Unternehmen die meisten Patente an genetischen Ressourcen im Meer. Deutschland ist nicht nur ein Land, das bei den UN-Verhandlungen über ein neues Abkommen zur Hohen See seine ökonomischen Interessen ins Spiel bringt, sondern das auch an dem Schwerpunkt "genetische Ressourcen" der Blue-Growth-Strategie der EU interessiert ist.

Häufig werden die Meere allein vor dem Hintergrund des Natur- und Umweltschutzes wahrgenommen, und es wird unterstellt, Deutschland sei darin führend. Auch wenn wir von Fair Oceans nicht behaupten, daß die Bundesregierung gar nichts dafür tut - es gibt Initiativen, die gut und wichtig sind -, halten wir es für eine Legende, sie sei darin führend. In vielen Bereichen treibt Deutschland die ökonomische Erschließung der Meere und damit das Gegenteil von Meeresschutz voran.

SB: Nach dem heutigen Vortrag von Ulrike Haupt vom BMZ, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, konnte man den Eindruck gewinnen, daß Deutschland ungeheuer viel für den Meeresschutz tut. Aber wenn man allein an den Plastikmüll denkt, der teilweise in andere Länder exportiert wird, wo er dann unter Umständen im Meer landet, muß man das Bild wohl korrigieren.

KK: Das Engagement des BMZ für die Meere sehen wir zunächst einmal positiv. Schließlich haben wir jahrelang dafür gearbeitet, daß die Regierung sich für Meeresschutz in Verbindung mit Entwicklung engagiert. Wir finden es gut, daß solche Initiativen ergriffen werden und diese auch aus der Entwicklungspolitik kommen. Kämen sie dagegen aus dem Bundesumweltministerium, wäre das im globalen Vergleich keine Besonderheit. Das BMZ hat jedoch Programme speziell zum Meeresschutz aufgelegt, und nicht nur reduziert auf die Fischerei. Zunächst einmal finden wir es gut, daß hier Umwelt und Entwicklung zusammenkommen.

Eine ganz andere Frage ist die der Umsetzung. Dazu hat heute Francisco Marí von Brot für die Welt einiges gesagt und dargestellt, in welche Richtung da zur Zeit bei den Umweltverbänden diskutiert wird. So werden bei der Welternährungsorganisation Programme aufgelegt, die sich mit Fragen des Meeresschutzes im weitesten Sinne beschäftigen, also auch im Kontext der Fischerei. Hier knüpfen nicht nur die deutschen, sondern auch amerikanische Umweltorganisationen an und verbinden das mit entwicklungspolitischen Programmen. Allerdings sind wir der Meinung, daß dabei manchmal entwicklungspolitische Fragen, die eigentlich mit dem Meeresschutz verbunden sein sollten - beispielsweise zur Beteiligung lokaler Küstengemeinschaften - ausgespart werden. Oder es werden unserer Meinung nach falsche Schwerpunkte gesetzt. Das ist im Augenblick etwas problematisch, weil jetzt, da das Geld auch in solche Programme fließt, das Interesse großer Organisationen daran wächst. Damit wird die Umsetzung von Meeresschutzgebieten oder Meeresschutzprogrammen generell zu einem sehr umstrittenen Feld.

SB: Ist das eine Erklärung dafür, warum es verschiedene Definitionen für Meeresschutzgebiete gibt?

KK: Das hat eher nationale Hintergründe, weil solche Gebiete aus den jeweiligen Schutzprogrammen erwachsen sind, die in den Ländern bereits existiert haben. Für uns und andere Organisationen ist die Frage wichtig, wie weit dieser Schutz reicht. Zugespitzt lautet eine der zentralen Fragen: Gibt es No-take-Bereiche, also Nullnutzungszonen, oder gibt es sie nicht? Wir sprechen uns ganz klar dafür aus, daß mit der Ausweitung der Meeresschutzgebiete auch die Nullnutzungszonen ausgeweitet werden. Darüber hinaus brauchen wir unbedingt eine weitreichendere Kontrolle. Denn es hilft nichts, wenn solche Zonen ausgewiesen werden, aber dann nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um den Schutz dieser Gebiete sicherzustellen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, besonders im Nord-Süd-Verhältnis. Die Länder des Globalen Südens müssen viel stärker darin unterstützt werden, daß sie Kapazitäten aufbauen können, um die Fischerei und Meeresschutzgebiete überwachen zu können. Ansonsten sind die besten Programme letztendlich sinnlos.

(wird fortgesetzt)

Bisher sind zur Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung - 25 Jahre Seerecht zwischen wachsenden Schutz- und Nutzungsansprüchen" am 7. Juni 2019 in der Landesvertretung Bremens in Berlin im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

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2. Juli 2019


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