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INTERVIEW/298: Klimaschutz in der Schiffahrt - Schranken statt Planken ...    Sönke Diesener im Gespräch (SB)




Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Sönke Diesener, NABU-Experte für Verkehrspolitik
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Auf der Veranstaltung "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" des NABU Hamburg am 4. September 2019 stellte NABU-Verkehrsexperte Sönke Diesener den Standpunkt und die Forderungen seiner Naturschutzorganisation zur Schiffahrt vor. Im Anschluß an das Treffen war der Referent bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Schattenblick (SB): Ist die von der Europäischen Union ausgewiesene Politik des Blue Growth, des Wachstums der maritimen Wirtschaft, überhaupt mit dem nach dem Pariser Übereinkommen notwendigen Klimaschutz vereinbar?

Sönke Diesener (SD): Wachstum an sich ist eine Frage, ob man seine Wirtschaftsweise entsprechend einstellt. Aber natürlich ist es technisch möglich, die Seefahrt CO₂-neutral zu machen. Das hat auch unsere Veranstaltung gezeigt. Im Moment sehe ich allerdings nicht, daß Blue Growth im Sinne des Klima- und Umweltschutzes stattfinden kann. Erst wenn es technisch gelingt, das Wachstum von den CO₂-Emissionen abzukoppeln, wäre das vereinbar.

SB: Wie steht der NABU zur Suffizienzidee, die heute natürlich kein Thema für die Wirtschaft war, da sie Umsatzsteigerungen erzielen und Profite machen will?

SD: Der NABU steht ihr positiv gegenüber und würde, wenn Sie mich jetzt direkt fragen, auch sagen, daß jede weniger gefahrene Schiffsmeile besser ist als irgendwelche technischen Lösungen. Das ist unser grundlegender Standpunkt, der jedoch bei unserer heutigen Veranstaltung nicht im Zentrum stand. Hier ging es um die Frage, wie wir es technisch und regulatorisch lösen, daß der Klimaschutz der Schiffahrt verbessert wird. Selbstverständlich sagen auch wir, daß dem Klima wahrscheinlich deutlich mehr geholfen wäre, wenn sich die Produktionsmuster und Warenketten verschieben, anstatt daß an technischen Lösungen für Schiffe gearbeitet wird.

SB: Die USA exportieren mit Hochdruck ihr per Fracking gefördertes Erdgas als Flüssiggas, LNG, unter anderem nach Europa. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

SD: Gas an sich als Schiffstreibstoff kann positive Seiten insbesondere bei der Vermeidung von Luftschadstoffe haben, für den Klimaschutz bringt es uns jedoch kaum voran. Wenn es sich dann auch noch um Gas aus Quellen handelt, aus denen per Fracking gefördert wird, wo dann auch noch große "Upstream Emissions" von Methan [Anm. d. SB-Red.: Sämtliche Emissionen in der Kette vor der Verarbeitung von Erdgas] dazu kommen, ist es für den Klimaschutz eher kontraproduktiv. Man tut sich damit keinen Gefallen, und Deutschland muß schon gar nicht Fracking-Gas importieren. Flüssiggas an sich hat in der Schiffahrt wahrscheinlich kurzfristig eine Daseinsberechtigung; das erkennen wir auch an.

SB: Die Bundesregierung unterstützt die Erkundung des Meeresbodens für Bergbau in der Tiefsee. Sollte es dazu kommen, müßte das gewonnene Material per Schiff abtransportiert werden. Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung?

SD: Was den Tiefseebergbau betrifft, müßten Sie meinen Kollegen vom Meeresschutz fragen, wir hier kümmern uns um den Verkehr, der oben auf dem Wasser stattfindet. Als Induktion von Verkehr würde ich das erst mal weniger kritisch sehen, weil Schiffe nun mal sehr effiziente Verkehrsträger sind und es pro transportierte Einheit nicht ausschlaggebend ist, ob ein Schiff fährt. Aber wie gesagt, mit Fragen des Meeresbodenbergbaus bin ich nicht befaßt.

SB: Hauptzahler für die IMO sind die Billigflaggenländer Panama, Liberia und die Bahamas. Besteht da nicht von vornherein ein Interessenkonflikt zwischen Wirtschaft und Klimaschutz?

SD: Ja, das sind nicht nur die Hauptzahler, sie haben auch eine Stimmenmehrheit. Wenn bei der IMO abgestimmt wird, muß auch die Tonnage-Mehrheit für etwas stimmen. Wie Alexander Porschke es am Anfang gesagt hat, handelt es sich dabei um ein demokratisches Ungleichgewicht. Auf jeden Fall besteht hier ein Legitimitätsproblem, das die Glaubwürdigkeit der IMO in Mitleidenschaft zieht.

SB: Für wen sind die Beschlüsse der IMO überhaupt verbindlich? Gibt es Länder, die sich den Bestimmungen dieser Organisation nicht anschließen?

SD: Es gibt Länder, die einzelne Abkommen nicht ratifiziert haben. Das bedeutet, sie können in ihren eigenen Ländern diese gesetzlichen Regelungen nicht durchsetzen. Aber alle anderen können das. Wenn also Deutschland ein Schiff aufgreift, das in der europäischen See mit Schweröl gefahren ist, spielt es keine Rolle, welche Flagge es trägt oder ob es durch ein Gewässer von jemandem gefahren ist, der in dem Fall MARPOL Annex VI [Anm. d. SB-Red.: MARPOL ist das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe] nicht ratifiziert hat. Deutschland könnte trotzdem Strafen aussprechen. Wenn da also einzelne Länder irgendwo nicht mitmachen, sehe ich das nicht als kritisch an.

Wir vom NABU haben ein Projekt gestartet, bei dem wir die Einführung einer ECA - Emission Control Area - für Schadstoffe aus Schiffsemissionen im Mittelmeer fordern. Auch wenn zur Zeit Regierungen von Libyen oder Syrien gar nicht in der Lage sind, solche Beschlüsse zu ratifizieren, weil sie andere Probleme haben, halten wie eine Umsetzung trotzdem für machbar. So etwas kann kein Hinderungsgrund sein. Natürlich würde innerhalb der Gewässer dieser Länder nichts passieren, aber trotzdem dürfte nicht gegen die Regularien verstoßen werden.

Wenn das System IMO erst einmal Regularien verabschiedet hat und da keine verrückten Hintertürchen wie die Scrubber [Anm. d. SB-Red.: Abgasentschwefelungsanlagen, die anstelle der Luft die Meere verschmutzen ...] hineingeschrieben worden sind, ist es eigentlich effizient.

SB: Halten Sie es für möglich, bis 2050 Klimaneutralität in der Schiffahrt mit Hilfe der heute vorgestellten technischen Lösungen zu erreichen?

SD: Ich halte es auf jeden Fall für möglich, die Frage lautet, von wem das bezahlt wird. Aber wie ich schon sagte, wir vom NABU verbreiten den Appell, daß nicht immer mehr Schiffe, die technisch besser ausgerüstet sind, gebaut werden, sondern wir auch weniger Transport und eine andere Organisation der weltweiten Warenketten brauchen. Außerdem haben wir ja heute wichtige Aspekte gar nicht thematisiert. Wir haben die Digitalisierung weitgehend außer acht gelassen, wir haben auch neue Entwicklungen wie 3D-Druck, die mit Sicherheit die internationalen Warenströme beeinflussen werden, nicht angesprochen. Ob es immer weiter Wachstum geben wird, halte ich für eine offene Frage. Zumal 40 Prozent der heute transportierten Waren auf den Weltmeeren fossile Kraftstoffe sind, also Kohle, Öl, Rohölprodukte, Raffinerieprodukte, etc. Sollte die Energiewende halbwegs klappen, würde das die Weltschiffahrt schon mal um 40 Prozent reduzieren.

Der Containertransport macht nur 20 Prozent aus. Selbst wenn wir jetzt davon sprechen, daß das Wachstum weitergeht und noch mehr Schuhe, Kleidung oder was auch immer befördert wird, wäre das hinsichtlich der Weltschiffahrt marginal. Wir sprechen viel von Containern, denn Containerschiffe sind sehr gut sichtbar, und dann kommt noch das Segment der Kreuzfahrtschiffe hinzu. Aber das macht nicht den großen Kuchen aus.

SB: Aus dem Publikum wurde heute Kritik am NABU geübt, er sei als Veranstalter ein bißchen zu vorsichtig. Bei der IMO haben 40 Nichtregierungsorganisationen Beraterstatus. Meine Frage ist, ob eine solche Begünstigung bei den NGOs die Neigung fördern könnte, den Standpunkt der Wirtschaft besser zu verstehen, als es für den Klimaschutz eigentlich gut wäre.

SD: Den Standpunkt der Wirtschaft verstehen sollte jeder, der dagegen kämpft, aber man sollte sich davon auf keinen Fall blenden lassen. Ich glaube allerdings, daß sich die Kritik, die gerade genannt worden war, auf die Eingangsfrage und nicht auf unsere Gesamtlinie bezogen hat. Unsere Gesamtlinie ist ganz klar: Die IMO hat sich ein absolut unambitioniertes Ziel gesetzt. Es kann nicht sein, daß sich eine internationale Organisation überhaupt erdreistet, Ziele zu verabschieden, die nicht mit dem Pariser Klimaabkommen übereinstimmen. So etwas dürfte eigentlich überhaupt nicht erlaubt sein. Von daher teile ich die Kritik nicht.

Der NABU hat keinen direkten Beobachterstatus bei der IMO, aber wir können die Verhandlungen dort über unsere internationalen Netzwerke durchaus ebenfalls beobachten. Ich halte es für positiv, daß wir in das Gebäude reingehen und da auch mal Vorschläge vorbringen könnten. Allerdings besteht das Plenum der IMO aus fast 200 Nationen und "Territorien", wie man sich auf internationaler Ebene immer ausdrückt, das ist nicht so, daß erst dort die wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Das findet vorher statt. Da sehen wir zum Beispiel, daß die Europäische Union einen großen Einfluß hat. Wenn sich die EU entscheidet, einen CO₂-Preis einzuführen - was dann hoffentlich auch für die Schiffahrt gilt -, dann würde das auf IMO-Ebene ganz schnell ebenfalls so gehandhabt. Deshalb müssen einzelne, einflußreiche Staaten vorangehen, in denen hoffentlich auch die Zivilgesellschaften ordentlichen Druck machen, und dann läuft es auch auf IMO-Ebene.

SB: Herr Diesener, vielen Dank für das Gespräch.

Bisher zur Veranstaltung "Klimaschutz in der Schifffahrt - Ein Sektor ab vom Kurs?" der Naturschutzorganisation NABU Hamburg am 4. September 2019 im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/154: Klimaschutz in der Schiffahrt - Maßnahmen unreflektiert ... (SB)
INTERVIEW/297: Klimaschutz in der Schiffahrt - freier Flug und freie Schrauben ...    Daniel Rieger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/298: Klimaschutz in der Schiffahrt - Schranken statt Planken ...    Sönke Diesener im Gespräch (SB)

10. September 2019


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