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NACHLESE/003: Bagger fressen Erde auf - Interview mit Monika Schulz-Höpfner aus Atterwasch, Teil 2 (SB)


Zweiter Teil des Interviews mit Monika Schulz-Höpfner, CDU-Landtagsabgeordnete in Brandenburg, am 14. Juni in Atterwasch



Monika Schulz-Höpfner ist Landtagsabgeordnete der CDU in Brandenburg und engagiert sich dort gegen den Abriß von Dörfern für den Braunkohletagebau. In diesem zweiten Teil des Interviews [1] spricht sie unter anderem über das Bündnis Heimat und Zukunft in Brandenburg, das am 31. Oktober 2011 und somit wenige Tage, nachdem der Schattenblick das vom Tagebau bedrohte Dorf Proschim besucht hatte, gegründet wurde. Darüber hinaus erlaubt Schulz-Höpfner sehr persönliche Einblicke in ihr Leben, die in mancher Hinsicht übertragbar sind auf andere von Vertreibung bedrohte Dorfbewohner. Zu guter Letzt umreißt die Politikerin, wie sie sich die Lausitz als Zukunftsraum ohne weitere Devastierung vorstellt.

Monika Schulz-Höpfner beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Monika Schulz-Höpfner
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Können Sie uns mehr über das Bündnis Heimat und Zukunft sagen, das Sie mitgegründet haben?

MSH: Das ist ein noch junges Bündnis. Ausgegangen ist das ganze von CCS-Gegnern. [2] Wobei keiner damit gerechnet hatte, daß diese sich mit den Tagebaugegnern zusammentun. Die Aktivitäten erschöpfen sich nicht allein auf unsere Internetplattform, wo man nachlesen kann, welche Leute sich da alles eingetragen haben. Wir wollen eine Vernetzung vorantreiben, die wir intern schon haben, so daß es immer Ansprechpartner gibt, wenn irgendwo etwas los ist. Natürlich muß das noch breiter ausgebaut werden. Die Skepsis der CCS-Gegner war durchaus angebracht, wie man jetzt merkt. Eigentlich hätten wir, wie Sie vorhin schon angedeutet haben, Freudenfeuer feiern müssen, als Vattenfall seine Ausstieg aus der CCS-Technologie in Deutschland angekündigt hat. Aber komischerweise waren wir alle doch recht skeptisch geblieben. Ich will damit sagen, daß das Bündnis steht und der Widerstand weiter aktiv ist.

Dann haben wir einmal im Jahr ein Treffen hier in Atterwasch zum Reformationstag. Das ist immer ein Höhepunkt, bei dem alle zusammenkommen und man im persönlichen Kontakt bleibt. Man spricht miteinander und lädt sich auch mal hochrangige Gäste ein. Ansonsten ist das Bündnis das ganze Jahr über aktiv, wenn es zum Beispiel um Termine wie Bürgerversammlungen geht und darum, das Planungsverfahren aktiv zu begleiten. Wir beobachten natürlich die Situation des Braunkohletagebaus allgemein und verfolgen Themen wie sie erst heute wieder in der Zeitung behandelt werden, wo es um die Randbetroffenheit von Gemeinden geht.

Das Bündnis hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, Proteste zu organisieren und Fakten auf den Tisch zu legen, so daß die Leute dabei unterstützt werden, diese Fakten dann auch zu Gehör zu bringen. Es kann ja nicht sein, daß die Leute über Jahre hingehalten werden. Beispielsweise kam es vor, daß die Leute sagen durften, was sie sich hinsichtlich der Straßenumverlegung wünschen, und dann wird ein Plan aufgestellt, der genauso wie die Ursprungssituation gehalten ist. Da frage ich mich, wozu haben die denn geredet? Das ist doch unglaublich, so kann man nicht mit Bürgern umgehen.

Vorhin erst habe ich im Radio gehört, daß Herr Platzeck sagte, die Energiewende könne man nicht allein machen, da müsse man die Bürgerinnen und Bürger vor Ort viel mehr mit einbeziehen. Na, da freue ich mich doch drauf! Ich würde gerne mit einbezogen werden und meine Meinung dazu sagen können. Bloß, die hören sich das an, gehen weg und erklären: 'Das ändert an meiner Meinung aber gar nichts.' Wozu mache ich das dann? Wenn man solche Aktionen macht mit den Leuten, dann wird Politik richtig unglaubwürdig, und dann braucht man sich nicht wundern, daß keiner mehr wählen geht.

Das ist auch so ein Punkt: Wie gut, daß es jetzt regnet. Im Sommer herrscht hier nämlich oft Trockenheit. Das hat auch mit dem Tagebau zu tun. Die Wolken teilen sich wegen der aufsteigenden Hitze, was man richtig beobachten kann, und ziehen über uns hinweg. Wir bekommen hier überhaupt keinen Regen. Ich wünsche mir, daß einmal eine Untersuchung gemacht wird, welche Auswirkungen der Tagebau wirklich hat. Man erzählt uns zwar immer, daß wir irgendwann versteppen und versanden werden, aber ich frage mich, was das für Gründe hat.

SB: Die Trockenheit kommt also nicht nur durch das Absenken des Grundwasserspiegels über mehrere Dutzend Kilometer als Folge des Tagebaus?

MSH: Nicht nur, das hat auch was mit den Niederschlägen zu tun, die dann gar nicht mehr hier ankommen. Umgekehrt haben wir manchmal so viel Wasser, das kommt richtig komprimiert, daß wir gar nicht wissen, wohin mit den Massen. Im Frühjahr standen hier die ganzen Wiesen wieder pappesatt unter Wasser. Es war das erste Mal in zwanzig Jahren, daß mein Keller wieder vollgelaufen war. Danach kamen wieder Monate, in denen kein Tropfen vom Himmel fiel. Wir haben hier auf der einen Seite die Neiße, dann kommt Griesen, wo sich der Tagebau Jänschwalde befindet. Den will man nur deshalb fortführen, weil es so preisgünstig wird. Man braucht die Großgeräte nicht umzusetzen, muß keine neuen Wege erschließen, sondern man schwenkt einfach nur diesen großen Bagger und kann weiterfahren. Dann sind wir hier dran.

SB: Genau das gleiche soll im Tagebau Welzow geschehen.

MSH: Das ist das gleiche hier. Als 2007 die Nachricht über die Clausthal-Studie und die Fortsetzung des Tagebaus rausging, erhielt jeder wenige Tage später eine Hochglanzbroschüre von Vattenfall zugeschickt, in der beschrieben war, wie die Pläne aussehen. Zuvor war eine enorme Diskussion entbrannt, weil der Eindruck bestand, hier seien so viele Gemeinden betroffen, als ob sie die halbe Lausitz abbaggern wollten. Dann hatten sie das aber eingedampft unter anderem auf den Tagebau Jänschwalde-Nord, wovon wir hier betroffen sind. In der Broschüre gab es eine "schöne" Tabelle, in der stand: Tagebau Jänschwalde-Nord, betroffen: ungefähr 1.000 Einwohner; Tagebau Spremberg-Ost, betroffen: keine; Bagenz-Ost, betroffen: keine. Dazu waren auch die einzelnen Flächen ausgewiesen worden, und als ich die Tabelle sah, dachte ich: Sind die noch ganz normal? Das geht doch nicht. Wir haben den Klimawandel und alle Welt denkt darüber nach, wie man emissionsarme Energie erzeugt, und wir baggern jetzt hier Leute ab - das geht doch gar nicht!

Damals kam meine inzwischen verstorbene Nachbarin zu mir, eine ältere Dame, die sagte: "Du, Monika, sag' mal, die spinnen doch, oder!? Schau mal: Hier baggern sie keine Leute ab, da baggern sie keine Leute ab, und uns wollen die wegbaggern. Warum baggern die uns denn weg, das brauchen die doch gar nicht, die können doch den anderen Tagebau nehmen." Da mußte ich der alten Dame erstmal erklären: "Ja, das könnten sie, das werden sie aber nicht tun, weil das finanzielle Gründe hat, es geht um Gewinne." Da sagte die alte Dame zu mir: "Na, ich bin doch nicht dazu da, damit die mehr Gewinn machen!" Das war wirklich mal eine Meinung, buff!, auf den Punkt gebracht! Ich fand das sehr erstaunlich, daß eine alte Frau von fast 90 Jahren so darüber denkt, nur allein schon, wenn sie eine Hochglanzbroschüre geschickt bekommt. Später habe ich dann im Plenum zur Devastierung gesagt: "Das können Sie niemandem erklären, noch nicht einmal meiner Nachbarin."

Monika Schulz-Höpfner beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Wir haben den Klimawandel und alle Welt denkt darüber nach, wie man emissionsarme Energie erzeugt, und wir baggern jetzt hier Leute ab - das geht doch gar nicht!'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie haben vorhin von politischer Glaubwürdigkeit gesprochen und jetzt haben Sie diese Geschichte erzählt. Ich stelle mir die Situation für Sie persönlich schwierig vor. Sie sitzen da in diesem Landtag mit dieser CDU-Fraktion, die etwas anderes sagt als Sie, und Sie müssen Ihre persönliche Position auch hier im Dorf und dem Umfeld deutlich machen. Wie erklären Sie, als politische Mandatsträgerin, die auch hier im Ort verankert gewählt wurde, den Nachbarn oder dem Gasthofswirt den Standpunkt Ihrer Partei?

MSH: Das läuft natürlich darauf hinaus, daß man im politischen Raum immer und überall versucht, mich auf meine persönliche Betroffenheit zu reduzieren. Das ist einfach so. Da kommt dann so ein Mitleids-Touch rein, den kann ich schon gar nicht leiden. Eine Zeitlang habe ich versucht, dagegen anzukämpfen und alles auf Sachargumente zu reduzieren. Das ist mir aber nicht gelungen. Außerdem habe ich für mich festgestellt, daß ich dann selber nicht mehr glaubwürdig bin. Mittlerweile sage ich ganz klar, jawohl, ich bin betroffen, und das ist gut so. Ich bin nämlich hier im Landtag die einzige, die denen erklären kann, wie sich das anfühlt, das können alle anderen nicht.

Deshalb ziehe ich öfter meine Karte, stehe auf und gebe dann meinen persönlichen Kommentar ab. Da spreche ich wirklich für uns und die Betroffenen und kann das natürlich auch mit dem politischen Background tun. Ich kann ja das, was wir hier durchmachen, in den politischen Kontext stellen. Wie gesagt, das ist nicht immer ganz einfach, weil man versucht, mich da ein bißchen auf persönliche Betroffenheit zu reduzieren.

SB: Fühlen Sie sich eher in der CDU oder in Atterwasch zu Hause?

MSH: Zuerst in Atterwasch und dann in der CDU. Ganz klare Antwort.

SB: Deshalb ist es für Sie möglich, hier vor Ort das zu tun, was Sie tun.

MSH: Das ist ja meine persönliche Lebensgeschichte, das ist mein Leben - wie sollte ich da etwas anderes erzählen? Damit könnte ich gar nicht mehr hier leben. Nächstes Jahr wohne ich 30 Jahre in Atterwasch, ich bin also eine Zugereiste. Das ist ja nicht ganz einfach als Zugereiste in einem Bauerndorf. Da bin ich ganz froh, hier verankert zu sein und daß mir die Leute vertrauen und ich hier ganz deutlich meine Meinung sagen kann. Hier fühle ich mich heimisch und kann auch mal was sagen, was ich draußen vielleicht nicht sagen würde. Das ist eine ganz andere Ebene. Aber ich bin durchaus in der Lage, auch mal beinhart politisch zu argumentieren.

SB: Wie wichtig sind die Klimaschutzargumente aus der Perspektive der Betroffenen hier vor Ort?

MSH: Erstmal kommen natürlich die existentiellen Sorgen und Nöte, die sind den Leuten näher dran. Das geht mir genauso. Das ist meine Lebenswirklichkeit. Daß man dann auch versuchen muß, den Blick zu erweitern und die Argumente überhaupt in einen Kontext zu stellen, dazu muß man einfach mit den Menschen reden. Vor allen Dingen muß man es zulassen, daß Leute von außen kommen und die dann an sich ranlassen. Das ist ganz schwierig. Die Leute hier machen die Tür zu und sagen: Ich will nichts mehr hören, ihr lügt sowieso alle. Das ist ja auch das wichtige an diesem Bündnis Heimat und Zukunft, daß man sich mit Leuten vernetzt, die a) zum Teil genauso betroffen sind, wie zum Beispiel von CCS, die aber b) einen anderen Blick auf viele Dinge haben.

SB: Können das dann auch CCS-Gegner sein, die beispielsweise das Lausitzer Klimacamp machen?

MSH: Ja, die sind auch dabei. Aber da muß ich sagen, sind die Menschen hier vor Ort sehr skeptisch. Das ist erstmal was, was so ein bißchen als suspekt betrachtet wird.

SB: Das heißt, Atterwasch wird nicht komplett dieses Jahr im August ins Klimacamp einziehen?

MSH: Nein, das glaube ich nicht. Eher nicht. Das mag der etwas konservativeren Haltung hier geschuldet sein. Die Dörfer sind hier ganz unterschiedlich strukturiert, das habe ich damals als Bürgermeisterin lernen müssen. Zum Beispiel ist Atterwasch ein richtiges Bauerndorf - Kerkwitz dagegen ein Arbeiterdorf. Was in Atterwasch richtig ist, muß in Kerkwitz noch lange nicht richtig sein. In Atterwasch führen sie eine ganz andere Diskussion als in Kerkwitz. Das muß man einfach wissen, das muß man lernen und dann versuchen, mit den Leuten umzugehen. Die Kerkwitzer sind vielleicht offener für das Klimacamp, was auch dem geschuldet sein kann, daß sie eine jüngere Bevölkerung haben. Die Atterwascher vielleicht eher nicht, die gehen vielleicht eher in die Kirche - wenn Fürst Pückler kommt, der sich ja, Gott sei Dank, auf unsere Seite gestellt hat.

SB: Sehen Sie für sich einen Platz im Klimacamp?

MSH: Ja. Ich war das letzte Mal nicht da, weil ich da leider im Urlaub war und meinen Sohn in Norwegen besucht habe. Das mache ich einmal im Jahr. Aber ansonsten, ja, ich habe überhaupt keine Berührungsängste.

SB: Das ist einfach die Frage danach, welche Form des Protestes man wählt, welche man bündelt, welche man eventuell auch ausschließt, was ja wiederum die Möglichkeiten, die man zur Verfügung hat, einschränkt.

MSH: Wo die Leute natürlich skeptisch reagieren, das sind Aktivitäten wie die Besteigung dieses Turms oder ähnliches. Solchen Aktionen stehen die Leute eher skeptisch gegenüber. Wobei ich sagen muß, daß das eine positive und eine negative Seite hat. Aber eigentlich möchte man sich sehr auf seine inneren Kräfte verlassen und möglichst nicht so viel von außen aufnehmen. Das ist die Kunst, die Leute dafür zu gewinnen, daß sie auch mal sich anderen öffnen. Weil wir es aus eigener Kraft nicht schaffen werden. Das muß man einfach sagen. Wir brauchen viel Hilfe, sind auf Unterstützung angewiesen. Und dann ist es wichtig, einfach mal zu sagen, dann seid doch einfach mal solidarisch. Wenn die in Potsdam jetzt für ihre Nachtruhe gegen den Fluglärm kämpfen, dann müssen wir die unterstützen! Und dann werden die auch einfordern, Leute, kommt mal zu uns und guckt euch an, was hier passiert, jetzt helft ihr uns aber auch. Das ist ja genau die Vernetzung, wovor alle Angst haben.

SB: Das ist ein dickes Brett, was sie da bohren wollen.

MSH: Ja, ich habe den Bohrer immer in der Hand. Den lasse ich gar nicht mehr los. Von einer Protestaktion möchte ich Ihnen noch erzählen. Das sind meine schönen bunten Postkarten, die ich jedes Jahr zu unterschiedlichen Anlässen, manchmal als Urlaubsgruß, manchmal als Weihnachtsgruß an das gesamte königliche Haus in Schweden und auch an das gesamte Parlament schicke. Unter dem Motto: Wir wünschen Ihnen alles Gute, aber denken Sie doch bitte daran, wir würden unsere Heimat gern behalten.

SB: Kamen von dort schon mal Reaktionen darauf?

MSH: Ich hatte Besuche hier von schwedischen Journalisten und auch Parlamentariern, die sich an die Karte erinnerten, also scheint sie zumindest bei allen angekommen zu sein. Ich will einfach im Rahmen des Heimatbündnisses ein Zeichen setzen, daß alle nochmal sehen, aha, so sieht das aus. Auf der Karte ist auf der einen Seite die idyllische Landschaft und auf der anderen der Bagger. Das symbolisiert unsere Zukunft, und die wollen wir so nicht. Wenn das plakativ den Leuten vor Augen geführt wird, ist das ein Zeichen aus dem kleinen Atterwasch, Kerkwitz und Grabko an das große Königshaus in Schweden.

Postkarte, Vorderseite - Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Monika Schulz-Höpfner Postkarte, Rückseite - Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Monika Schulz-Höpfner

Grüße an das schwedische Königshaus ...
... von den Machenschaften des schwedischen Staatskonzerns
Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Monika Schulz-Höpfner

SB: Wenn Sie einmal für sich persönlich sagen würden, was das äußerste wäre, das Sie sich mit Blick auf den Braunkohleplan für die eigene Zukunft, für dieses Haus vorstellen können, wie weit gehen Ihre Gedanken da?

MSH: Meine Gedanken sind eigentlich nur dabei zu sagen: Dieser Tagebau wird nicht kommen. Ich versuche, diesen Gedanken, daß der Tagebau wirklich kommen könnte und ich dann diese Heimat nicht mehr habe, im Moment gar nicht zuzulassen. Das gebe ich offen zu. Weil, wenn ich das zulassen würde, ich in eine derartige Traurigkeit verfallen würde. Das kann ich nicht zulassen. Dann hätte ich keine Kraft mehr zu kämpfen. Und das ist so schon schwierig. Das kann ich nicht zulassen.

Ich kann Ihnen nur so viel sagen, jetzt einmal ganz persönlich, meinem Mann fällt das ganz, ganz schwer. Ganz, ganz schwer. Jetzt im Moment geht es gut, da hat er das verarbeitet. Das ist vielleicht so eine Art Verdrängung. Aber wenn das ganz dicht an ihn rankommt, dann habe ich manchmal viel zu tun, ihn auch noch mitzuziehen und zu sagen: Wir bauen jetzt eine neue Terrasse. Guck mal, ich streiche schon. Ihm fällt das wirklich besonders schwer, das geht ihm nahe, weil wir in diesem Haus jeden Stein persönlich kennen. Den haben wir persönlich bei einer BHG [3], wie das damals hieß, abgeholt und jeden einzelnen Stein umgedreht. Das war unheimlich schwer, dieses Grundstück war eine einzige Ruine, als ich hier eingezogen bin. Und mein Mann ist fünf Monate später tödlich verunglückt. Ich stand dann allein da. Meine Kinder waren damals neun und zehn Jahre alt. Wir haben einen Familienrat gebildet und der - also meine Kinder -, hat gesagt: Mama, wir bleiben hier und machen fertig, was Papa angefangen hat.

Dann sind wir hiergeblieben, das war nicht einfach. Man hat auch versucht, mich aus dem Haus hier rauszudrängen mit Mitteln, also - ich schreibe irgendwann einmal ein Buch darüber. Man hat versucht, mich von Grundstück und Haus rauszumobben, warum, weiß ich bis heute noch nicht, wahrscheinlich wollte es jemand haben, und wir haben uns vehement dagegen gewehrt. Ich denke, erfolgreich gewehrt, wie man heute sehen kann. Hier gibt es immer was zu bauen und zu werkeln, Gott sei Dank, aber das ist Heimat, das ist mein, das ist mein Rückzugspunkt.

Wenn ich eines in den vielen Jahren der Politik gelernt habe, dann ist es diese Vereinnahmung von Politikern, daß gemeint wird, man gehört der Allgemeinheit mit Haut und Haar und 24 Stunden am Tag. Dagegen wehre ich mich und sage immer, nein, das ist nicht so. Ich habe auch noch mein Privatleben. Und ich lasse in dieses Privatleben nur rein, wen ich reinlassen will. Das den Leuten zu erklären ist ganz schwierig. Ich bin auch nicht immer bereit, mich auf der Straße von jedem da, nun ja, manchmal auch anmachen zu lassen. Ich sage dann: "Hallo, ich habe gerade Feierabend. Ich rede gerne mit Ihnen. Wie wär's mit morgen, 13.00 Uhr? Aber nicht jetzt auf der Straße." Ich denke, es ist auch gut so, daß man irgendwo seine Linien zieht. Sonst schwebt man in der Gefahr, in Depression zu verfallen oder kaputtzugehen, also sich selber fertigzumachen. Und dazu bin ich überhaupt nicht gewillt.

SB: Sie sind nun in einer Partei, die Ihnen das in diesem Punkt, was die persönliche Power angeht, nicht leicht macht, sondern Ihnen noch ein paar Steine aufpackt. Einmal angenommen, die nächste Landtagswahl 2014 ginge für die CDU glücklicher aus als die vergangene und Sie säßen dann nicht mehr auf der Oppositionsseite des Landtags, sondern auf der Regierungsseite. Was würde sich dann für die Menschen in Proschim, Atterwasch, Kerkwitz, Grabko ändern? Warum sollten sie daran ihre politischen Hoffnungen binden?

MSH: Ich könnte sicherlich einige Instrumentarien, die einem in Regierungszeiten gegeben sind, besser nutzen als jetzt. Ganz bestimmt. Weil es unheimlich schwierig ist als Opposition, Anträge und sonstige Instrumentarien zu nutzen, die sie, wenn sie selber in der Regierung sind, ganz anders nutzen können. Das habe ich nun selber schon miterlebt, das ist einfach so. Die Regierung und die sie vertretende Landtagsfraktion kann natürlich anders Druck aufbauen, und das würde ich auch versuchen.

SB: Aber an Ihrer Alleinstellung in der Fraktion würde das nichts ändern?

MSH: Würde sich nichts ändern. Wobei ich sagen muß, aus meiner Sicht, wenn ich die Situation und die Diskussionen betrachte, hat sich auch in der CDU ein bißchen was bewegt. Es ist bei weitem nicht so, daß die gesamte CDU und ihre gesamte Mitgliedschaft nun solche Kohlevertreter sind, sondern ich habe es auch in Landesfachausschüssen schon erlebt, daß es ganz anders aussieht, daß man durchaus auch an meinen Argumenten interessiert ist und CDU-Mitglieder kommen und sagen: So habe ich das noch gar nicht gesehen, eigentlich haben Sie ja recht. Erklären Sie mir das doch mal genauer. Und wenn Sie auf die Unterzeichnerliste unseres Bündnisses Heimat und Zukunft schauen, finden sie dort ebenfalls Mitglieder meiner Partei.

Aber was ich natürlich auf jeden Fall machen würde, wäre das, was Platzeck heute gefordert hat, wenn er sagt: Der Klimaschutz muß bei den Menschen ankommen und die Menschen müssen daran beteiligt werden. Ja, dann würde ich gerne zu meinem Regierungschef sagen: Naja, dann beteiligen wir sie doch mal, aber richtig! Dann machen wir doch mal ein Programm für Bürger-Solaranlagen, für Bürgeranlagen zur Windkraft und solche Geschichten. Dann unterstützen wir das doch mal aktiv! Nicht nur unsinnige Großprojekte, sondern unterstützen wir tatsächlich mal die Gemeinde, die Bürger - wäre mal ein Programm für Klimaschutz. Da möchte ich mal sehen, was dann passiert. Ich könnte mir vorstellen, daß da sogar die CDU mitmacht.

Monika Schulz-Höpfner beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

'In diesem Haus kennen wir jeden Stein persönlich.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist eines der Kernargumente für den Braunkohletagebau die Schaffung von Arbeitsplätzen.

MSH: Ja.

SB: Gibt es keine Konzepte, in denen die gleiche Anzahl von Arbeitsplätzen nur eben auf andere Weise entstünden, ohne daß Dörfer abgebaggert werden? Was hindert die CDU oder andere Parteien daran, solche Konzepte zu entwerfen?

MSH: Darin steckt eine Menge Lobbyarbeit der Kohlelobby. Außerdem muß man sagen, daß der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Ich erlebe das gerade bei der Arbeit zur Kreisentwicklungskonzeption. Es ist doch so wunderbar bequem, einfach sagen zu können, wir haben den Tagebau, wir haben die Kraftwerke, und das wird alles so schön sauber, es ist alles wunderbar, wir haben die Arbeitsplätze - eigentlich brauchen wir gar kein Kreisentwicklungskonzept. Wir machen einfach so weiter wie bisher, ist doch wunderbar! Für einen, der regiert, ist das prima.

Ich bin der Meinung, man könnte doch auch in den Veränderungen, die sich aus dem Klimawandel ergeben, eine Chance sehen. Wir haben hier vor Ort wissenschaftliche Einrichtungen mit der BTU [4], dem Klimaforschungsinstitut in Potsdam, da könnte man doch Synergien aufbauen und für die Lausitz ein Konzept entwickeln. Das fordert übrigens sogar die CDU. Mit dem Kreisentwicklungskonzept könnte man dafür schon mal eine Grundlage schaffen. Meinetwegen nehmen wir diese Brücke. Über die will ich ja gerne noch gehen, aber nicht länger als 20 Jahre und ohne daß wir noch Leute und Dörfer darunter begraben. Die Zwischenzeit müssen wir für eine kontinuierliche Weiterentwicklung nutzen. Da muß eine Regierung jetzt systematisch die Grundlage für neue Strukturen legen, die ja durchaus schon vorhanden sind und weiterentwickelt werden können. Aber nicht mit solchen Hauruck-Aktionen wie mit den Solarfabriken.

Die ganze Region wird doch eigentlich von Kleinfirmen getragen. Darin steckt viel Potential. Ich predige ständig, daß wir mehr auf die Studenten zugehen und zeigen müssen, daß wir als Region attraktiv sind. Diese Region sollte umgebaut werden - und wir haben eine tolle Region! Alles was da ist, sollte man bündeln, nutzen, weiterentwickeln. Dann machen wir hier das Zukunftslabor Lausitz. Dazu muß sich die Regierung bekennen, auch finanziell. Die Strukturentwicklung muß dann mit der polnischen Seite verknüpft werden, das darf man nicht vernachlässigen. Polen ist ein prosperierender Bereich. Das gilt zwar nicht für die Grenzregion, sondern ein Stück weiter drinnen, aber selbst da könnte man Synergien entwickeln. Wir haben wunderbare alte Gebäude an der Grenze, direkt an der Neiße. Da könnten BTU und Klimaforschungsinstitut zusammen was machen. Das hätte schon mal einen symbolischen Charakter und dann könnten wir mit den Polen gemeinsam etwas richtig Praktisches entwickeln, mit dem, was wir haben. Beispielsweise Chemie-Industrie. Ich weiß gar nicht, wo da das Problem ist. Man muß es aber wollen. Was Besseres kann uns doch gar nicht passieren.

Das ist natürlich für viele Leute zu theoretisch, die wollen immer Ergebnisse sehen. Im Moment sehe ich nur das Festhalten an allem Alten, was so wunderbar bequem ist. Das Leben ist aber nicht bequem. Und ich will meinen Kindern keine Kohlegrube hinterlassen. Das möchte ich nicht. Ich möchte ihnen Zukunft hinterlassen.

SB: Haben Sie das schon immer gesagt?

MSH: Ja, ich war schon immer so. Ich habe ein sächsisches Gemüt, ich bin in Sachsen geboren. (lacht)

SB: Frau Schulz-Höpfner, wir bedanken uns ganz herzlich für das ausführliche Gespräch.

Tagebau Jänschwalde - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kein 'Zukunftslabor Lausitz', sondern in alten Strukturen verhaftet
Foto: © 2012 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Teil 1: http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrn0002.html

[2] CCS - (engl. Carbon Dioxide Capture and Storage) Die Abscheidung und -Speicherung von Kohlendioxid beispielsweise in Kohlekraftwerken. Das Verfahren dient der Verringerung des Treibhausgases CO2, allerdings ist es ziemlich energieaufwendig, so daß zusätzlich Braunkohle verbrannt werden müßte, um die CO2-Emissionen auf diese Weise zu verringern. Außerdem ist die Lagerung des verflüssigten Gases noch nicht erforscht und wird als potentiell gefährlich für Mensch und Umwelt angesehen.

[3] BHG - Bäuerliche Handelsgenossenschaft

[4] BTU - Brandenburgische Technische Universität Cottbus

29. Juni 2012