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NACHLESE/006: Bagger fressen Erde auf - Interview mit Mona und Nelly vom Lausitzer Klima- und Energiecamp (SB)


Interview mit Mona und Nelly vom Lausitzer Klima- und Energiecamp am 14. Juni 2012 in Berlin

Förderbrücke erstreckt sich von einem Rand des Tagebaus zum anderen - Foto: A. Gutwein (CC-BY-SA-3.0-unported)

Förderbrücke F60 im Tagebau Jänschwalde in Betrieb
Foto: A. Gutwein (CC-BY-SA-3.0-unported)

Vom 11. - 19. August dieses Jahres wird von Aktivistinnen und Aktivisten in der Lausitz ein Klima- und Energiecamp aufgebaut. Als Standort wurde wie im vergangenen Jahr Jänschwalde ausgesucht [1]. In jener Region wird aktiv Braunkohle abgebaggert und gleich darauf dem örtlichen Kohlekraftwerk Jänschwalde zugeführt. Das Betreiberunternehmen Vattenfall beabsichtigt nun, einen weiteren Tagebau aufzuschließen - Jänschwalde-Nord -, dem die Dörfer Kerkwitz, Atterwasch und Grabko geopfert werden sollen. Rund 900 Einwohner müßten umsiedeln. Viele von ihnen wollen das nicht, doch allen Protesten zum Trotz würde letztlich das Bundesland Brandenburg seine gesetzlich abgesicherte Verfügungsgewalt gegenüber den Menschen ausspielen, damit der Konzern Vattenfall Kohle machen kann.

Bereits im Oktober 2011 hatte der Schattenblick die Lausitz aufgesucht, um in dem ebenfalls von der Abbaggerung bedrohten Welzower Ortsteil Proschim mit Vertretern einer Bürgerinitiative gegen den Braunkohletagebau zu sprechen. Die alte Bergbaustadt Welzow liegt knapp 70 Kilometer südwestlich jenes geplanten Tagebaus Jänschwalde-Nord.

Am 14. Juni 2012 unternahm das SB-Team eine Nachlese-Reise in die Lausitz, um zunächst in Atterwasch, später dann in Berlin mit Menschen zu sprechen, die jeder auf seine Weise Gründe haben, die Braunkohleverstromung abzulehnen. Nach dem Gespräch mit der brandenburgischen CDU-Landtagsabgeordneten Monika Schulz-Höpfner und dem Pfarrer Mathias Berndt - beide aus Atterwasch und damit direkt von der Vertreibung betroffen -, traf sich das SB-Team in Berlin zunächst mit der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Sabine Niels von den Grünen und abschließend mit den beiden Aktivistinnen Mona und Nelly, die am Klima- und Energiecamp in der Lausitz teilnehmen.

Sie sind ebenfalls betroffen. Nicht so wie Schulz-Höpfner und Berndt, die ihre Heimat verlieren könnten, aber sehr wohl persönlich betroffen von den Folgen, daß Deutschland nach wie vor Braunkohle zur Energieversorgung einsetzt und dabei ungeheure Mengen CO2-Emissionen produziert. Den wissenschaftlichen Prognosen zufolge verstärken diese Emissionen den Treibhauseffekt, was sich unmittelbar gegen die Lebens- und Überlebensinteressen vor allen Dingen der ärmsten der Armen in der Welt richtet. Im Unterschied zu den Industriestaaten haben die meisten Länder des Südens kaum die Möglichkeit, die im Zuge der Erderwärmung im wachsenden Ausmaß von Extremen bestimmten Klimaverhältnisse - mehr Dürreperioden, Überflutungen, Wirbelstürme und andere Naturgewalten - zu überstehen, ohne daß es dabei zu enormen menschlichen Verlusten kommen wird.

Ein steter Quell dieser Verluste bildet der Wohlstand in den Industriestaaten. Es waren nicht die ärmeren Länder, welche die Treibhausgase produziert haben und noch heute hauptsächlich produzieren. Mona und Nelly (und sicherlich die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Klima- und Energiecamps) halten das für ungerecht. Sie sprechen von Klimagerechtigkeit und wollen, daß die reichen Länder die Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Dabei belassen es die beiden nicht mit Appellen an die Regierung, um politisch Einfluß zu nehmen, sondern bemühen sich, persönliche Konsequenzen zu ziehen und anders zu leben.

Über ihr Engagement, ihre Vorstellung von einem anderen Leben jenseits des wachstumsgetriebenen Wirtschaftens und über vieles mehr sprachen Mona und Nelly ausführlich und freimütig an einem milden Sommerabend des 14. Juni 2012 in Berlin mit dem Schattenblick.

Plakat Lausitzcamp 2012 - Foto: www.lausitzcamp.info/

Foto: www.lausitzcamp.info

Schattenblick: Die Regierung Brandenburgs hat vor einigen Monaten die "Energiestrategie 2030" aufgelegt. Wie bewertet ihr die Politik der rot-roten Landesregierung speziell mit Blick auf die Braunkohle?

Mona: Also, ich hätte es gern anders gesehen. Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Sie versuchen zu sagen: Wir setzen natürlich auf Erneuerbare Energien - Brandenburg ist ja, was die Erneuerbaren betrifft, ganz vorne an -, aber gleichzeitig sagen sie: Und wir setzen irgendwie auch noch weiter auf die Braunkohle. Dagegen haben wir immer klarzumachen versucht, daß beides gleichzeitig nicht geht. Ich würde der Regierung Brandenburgs schon abnehmen, daß sie es ernst meint mit dem Umstieg auf einhundert Prozent Erneuerbare, so wie offiziell auch die Bundesregierung. Doch an irgendeinem Punkt muß man sich wegen dem Systemkonflikt zwischen erneuerbaren und fossilen Energien entscheiden.

SB: Wie sähe für euch die sogenannte Brückentechnologie, von der offiziell immer die Rede ist, zu den Erneuerbaren aus? Fordert ihr einen sofortigen Stopp der Braunkohleverstromung oder würdet ihr sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch auslaufen lassen?

Mona: Keine neuen Tagebaue, das ist wichtig, und auch kein neues Kraftwerk Jänschwalde. Denn das liefe dann noch vierzig, fünfzig Jahre. Das lehnen wir ganz strikt ab! Die Frage, was mit den bereits laufenden Tagebauen geschehen soll, ist natürlich ganz schwierig zu beantworten. Weil vor allem die Einwohner vor Ort, mit denen wir auch beim Klimacamp zusammenarbeiten, einen sozialverträglichen Umbau fordern, damit nicht alle Leute ihren Job verlieren.

Ich sehe allerdings das Problem, daß viel zu oft weiter an dem alten festgehalten wird, weil es keine Alternativen gibt. Statt dessen sollte man ernsthaft sagen: Okay, dieser Umbau kommt, es gibt keinen anderen Weg und deswegen müssen wir jetzt damit anfangen. Wohingegen die Politiker und Politikerinnen, die gewählt werden wollen, keine unangenehmen Wahrheiten verkünden wollen. Ich fürchte, das ist eine unangenehme Wahrheit: Die Braunkohleverstromung wird irgendwann vorbei sein und dann ist es eigentlich besser, jetzt mit dem Ausstieg anzufangen, als später.

Nelly: Man muß die Leute abholen. So ein Strukturwandel, wie ihn die Vision von hundert Prozent Erneuerbare voraussetzt, kann nicht von heute auf morgen passieren. Die Menschen, die womöglich seit Generationen an den Abbau und die Verbrennung der Braunkohle, an diese Art der Energieerzeugung gebunden sind, die damit aufgewachsen sind und für die sie ein Teil ihres natürlichen Umfelds ist, muß man mitnehmen. Die sollen beim Umbau nicht hintendran bleiben.

Mona: Aber wir machen natürlich nicht nur ein Braunkohle-, sondern auch ein Klimacamp, und da gibt es noch einen anderen Aspekt. Wir müssen nicht nur grundsätzlich für das Wohl der ganzen Welt aufhören, Braunkohle und überhaupt Kohle zu verstromen, sondern wir müssen auch daran arbeiten, insgesamt weniger Strom und Energie zu verbrauchen. Und mit dem Dilemma wollen Politikerinnen und Politiker noch viel weniger zu tun haben. Die Idee der Energieeffizienz ist genauso wichtig wie die des erneuerbaren Pfads. Erneuerbare gibt es schon seit den siebziger Jahren, und wir sind auf diesem Gebiet weiter als die wildesten Träume der Leute damals. Bei der Energieeffizienz jedoch hinken wir total hinterher! Das funktioniert nicht, und ich würde sagen, es funktioniert deswegen nicht, weil es im Kapitalismus nicht funktionieren kann.

SB: Sprichst du den Rebound-Effekt an?

Mona: Ja, den auch. Aber vor allem spreche ich an, daß die Produktion und der Kapitalismus gezwungen sind zu wachsen. Und damit wächst auch der Energieverbrauch. Ich halte es für ganz schwierig, wenn man keine systemischen Veränderungen macht, zu glauben, daß man einfach nur alles auf hundert Prozent Erneuerbare umstellen muß und dann wächst man und wächst man und wächst man weiter und dann ist irgendwie alles gut. Das stimmt leider auch nicht.

Tagebau und Kohlekraftwerk Jänschwalde - Foto: © 2012 by Schattenblick

Wachstum beruht auf Zerstörung
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Was wäre die Alternative? Was kann und will das Klimacamp unter diesem Gesichtspunkt auch sein oder auch vorleben und vermitteln?

Nelly: Du hast es gerade schon gesagt, wir wollen etwas vermitteln und vorleben. Dabei geht es uns auch sehr stark um einen edukativen Prozeß. Die Vision der vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energien soll nicht von außen aufgestülpt, sondern mit den Leuten zusammen erarbeitet und für alle praktikabel gemacht werden.

Mona: Zum Beispiel wollen wir mit Menschen gemeinsam an Fragen arbeiten: Wie würde ein Leben aussehen, das nicht ständig auf neuen technologischen Errungenschaften aufbaut, die jeder sofort haben will und haben muß? Wie könnten wir uns ein gutes Leben vorstellen, das nicht auf ständig wachsende Innovationen und wirtschaftlichen Leistungen basiert? Unsere Idee dabei lautet: Okay, wir schauen uns an, wie demokratische Strukturen funktionieren und wie sie anders funktionieren könnten. Auch das gehört dazu. Wie organisieren wir uns? Welche Formen von Politik brauchen wir, um vielleicht kleinteiliger leben zu können? Wollen wir beispielsweise mit dem Konsensprinzip arbeiten? Wie funktioniert das in größeren Gruppen? Wie organisiert man sich da? Dann aber auch in Verbindung mit den größeren Visionen solche Fragen: Wie erleben wir selbst den Bau von Kompostklos und Solaröfen und sozusagen die nachhaltigen Arten des Zusammenlebens? Was für gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen brauchen wir, um so etwas überhaupt möglich zu machen?

Ich denke, es ist wichtig zu sagen, daß wir gerade erst anfangen. Wir alle können uns fast gar nicht mehr vorstellen - also, ich vielleicht noch, aber die meisten Leute in den Klimacamps sind jünger -, daß es zu dem System, in dem wir leben, überhaupt eine Alternative gibt. Eigentlich ist es das wichtigste an solchen Camps, daß die Menschen erst einmal auf die Idee kommen, es könnte anders sein. Wie das genau aussieht, dafür müssen wir erst mal die Strukturen schaffen, um das erarbeiten zu können. Deshalb die Idee, daß man selbstorganisierte Strukturen schafft, wo Menschen dann auch auf Ideen kommen. Wir müssen keine fertigen Antworten liefern.

SB: Im Klima- und Energiecamp baut ihr auch Dinge wie zum Beispiel Kompostklos?

Mona: Ja, genau. Bei uns bedeutet Workshop tatsächlich, daß Hand angelegt wird. In diesem Sinne ist es eine Werkstatt, da baut man Zelte auf, da baut man ein Kompostklo, da baut man Solarduschen. Das alles gehört mit dazu.

Nelly: Natürlich gehört auch die kommunikative Ebene dazu. Letztes Jahr im Klimacamp haben wir große Plenen durchgeführt mit wechselnder Moderation, wo sich jeder einbringen konnte. Es gab auch offene Slots [Anm. d. SB-Red.: Zeitfenster], um Wünsche, Bedürfnisse, neue Anregungen einzubringen. Außerdem haben wir versucht, durchgängig mit dem Konsensprinzip zu arbeiten. Was heißt "versucht" - darauf war alles aufgebaut. Leute, die davor noch wenig Kontakt damit hatten, wurden damit wirklich intensiv in Kontakt gebracht.

SB: Habt ihr die Erfahrungen, die ihr im Camp gemacht habt, auch wieder mit zurück in eure Alltagswelt genommen? Habt ihr da vielleicht bestimmte Vorstellungen, wie das gehen könnte oder sollte? Wenn ich an die frühere Anti-Akw-Bewegung denke, da war das auch schon mal mit der Frage beispielsweise der Lebensform verbunden. Ist das heute noch so? Gibt es da eine Bewegung in jene Richtung?

Mona: Ganz sicher, das hat Kontinuitäten. Es gibt immer noch viele Leute, die gerade auch hier in Berlin Hausprojekte gründen oder in ehemals besetzten Häusern leben und mit unterschiedlichen Formen von Konsensstrukturen oder anderen basisdemokratischen Umgangsformen arbeiten. Es gibt auch Leute, die im Umfeld von Berlin in Kommunen ziehen und da neue Dinge aufbauen. Aber natürlich versuchen wir auch in unserer Gruppe, Gegenstrom Berlin [2], das umzusetzen. Ich hatte das Gefühl, daß die meisten Leute, die letztes Jahr beim Klimacamp waren, damit weggegangen sind, daß ihnen das einen Schub gegeben hat, daß ein Leben in so einem Camp auch was ganz Besonderes ist. Das gibt einem auch das Gefühl: Ja, man hat auch Kraft für Ideen und Freude, um politisch weiterzuarbeiten. Und ich mache schon seit 2008 Klimacamps.

SB: Sind im letzten Jahr auch alteingesessene Lausitzer aus Proschim, Kerkwitz und anderswo zu euch ins Klimacamp gezogen und haben gesagt: Jetzt will ich es wissen! Oder reicht dann die Brücke "Eigene Betroffenheit" doch nicht so weit, daß ein Bündnis geschlossen wird mit Leuten, von denen sie zuvor vielleicht gesagt haben, daß die "so komische Dinge" machen?

Nelly: Sicherlich gab es einige Vorurteile im Vorfeld, von beiden Seiten, würde ich sagen. Also von uns aus genauso wie von Leuten aus dem einheimischen Umfeld. Aber ich denke, daß es uns schon bis zu einem gewissen Grad sehr gut gelungen ist, eine Brücke zu schlagen, die dann auch von beiden Seiten begangen wurde. Wir haben sowohl aktive Teilnehmer oder selbst Mitgestalter gehabt als auch spontanen Besuch aus der Dorfgemeinschaft, der einfach auch neugierig war. Wir wollten nicht so aus dem Nichts kommen, uns dahin setzen und nach zwei Wochen wieder gehen. Wir möchten da auch was anstoßen und uns offen zeigen, um Kontakte zu knüpfen. Deswegen waren wir im Vorfeld auch ein paar Mal hingefahren.

Mona: Wir waren beim Feuerwehrfest im Nachbardorf, haben ein Fußballspiel Dorf gegen Camp organisiert ...

Nelly: ... und die Küche stand mit den ansässigen Hausfrauen in einem regen Austausch über sorbische Rezepte.

Mona: Eine Frau Penck aus dem Dorf Schleife wollte sogar, daß das Camp in diesem Jahr zu ihnen kommt. Wir haben uns aber nochmals für Jänschwalde entschieden, weil das näher am Kraftwerk liegt.

SB: Hinsichtlich eurer kapitalismuskritischen Position bin ich nicht sicher, ob sich die auch nur ansatzweise bei den einzelnen Lausitzern wiederfinden läßt, auch wenn sie von dem Punkt, gegen Braunkohle zu sein, keinen Deut breit abweichen würden. Gab es trotzdem etwas Gemeinsames, was man entwickeln konnte und das die Leute dann zu sich nach Hause mitnahmen?

Mona: Ich denke schon. Daß sorbische Dörfer abgebaggert werden, hat ja auch mit Kapitalismus und damit zu tun, daß man glaubt, mit Regionen, die als nicht so dicht besiedelt und wirtschaftlich abgehängt gelten, so umgehen zu können. Natürlich stellt sich die Frage, ob man mit so großen Wörtern wie "Kapitalismus oder nicht" um sich werfen muß. Ich glaube aber, daß das, was dahinter steht, also die zerstörerische Kraft des Kapitalismus, die Leute am eigenen Leib spüren. Von daher habe ich eigentlich überhaupt keine Ängste, daß es da große Gräben geben könnte.

Wenn man darüber redet, was man sonst in seinem Leben macht oder wovor man Angst hat, mag sich das teilweise unterscheiden. Aber wenn man genauer hinschaut, haben die Leute oft ähnliche Probleme. So haben wir auch hier in Berlin das Problem, daß immer mehr Menschen weichen müssen, da sie nicht mehr ganz der Verwertungslogik entsprechen. Deshalb können die Leute in Berlin verstehen, wie es den Leuten in den Braunkohlerevieren gehen muß.

Protestplakat im von der Abbaggerung bedrohten Kerkwitz - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Daß sorbische Dörfer abgebaggert werden, hat ja auch mit Kapitalismus und damit zu tun, daß man glaubt, mit Regionen, die als nicht so dicht besiedelt und wirtschaftlich abgehängt gelten, so umgehen zu können' (Mona) Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Auf der Website www.gegenstromberlin.net ist zu lesen, daß ihr soziale Gerechtigkeit fordert. Was versteht ihr darunter?

Nelly: Ich finde es generell ein bißchen schwierig, das auf zwei Sätze runterzubrechen. Beim sozialen Gerechtigkeitsanspruch geht es auch um die Frage, wie der Zugang zu Ressourcen gerecht verteilt wird. Wie verteile ich gerecht die Besänftigung meiner Bedürfnisse und wie macht es das auch für die Gemeinheit verträglich. Momentan haben wir Ungleichgewicht, da geht ganz viel zu wenigen. Aber wie kann man das auspendeln, damit nicht so viel Defizit auf der anderen Seite besteht. Das ist die Frage.

Mona: Uns ist auch der globale Blick wichtig. Soziale Gerechtigkeit kann nicht nur für Menschen in Deutschland gelten. Zum einen ist es wichtig, daß wir die Leute in der Lausitz, die wirtschaftlich und sozial abgehängt werden, nicht vergessen. Zum anderen besteht eben auch die Frage: Was heißt es denn, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher? Was heißt das für die ganze Welt? Wie ungerecht ist das? Was können wir dagegen tun? Da kommen wir zu unserem Lebensstil. Aus Klimaschutzgründen dürften wir eigentlich nicht mehr als zwei Tonnen Co2 pro Person und Jahr emittieren. Das würde aber bedeuten, daß sich die meisten Menschen hier sehr stark verändern müßten, was Ängste erzeugt. Das ist total verständlich.

Dafür ist so ein Camp gut, da kann man nämlich erleben, daß man auch was dafür bekommt, wenn man es anders versucht. Die Leute sollen erleben, daß es eine Alternative gibt. Obwohl ich auf Dinge verzichten muß, ist genau das vielleicht auch eine Lösung für Probleme wie totale Überarbeitung, nicht genügend Freizeit, immer das Gefühl haben, daß man neue Statussymbole, die man im Endeffekt vielleicht doch gar nicht braucht, kaufen muß.

SB: Wie steht ihr vor dem Hintergrund der sozialen Gerechtigkeit zu regenerativen Energien? Denkt man beispielsweise an Windräder, für die in China Neodym, oder Akkus, für die in Bolivien Lithium abgebaut wird. Arbeitet ihr auch an Fragen zu den Produktionsverhältnissen?

Mona: Ich würde schon sagen, daß man vergleichen muß, was schlimmer ist. Gleichzeitig aber kommen wir nicht drum herum zu sagen, daß wir insgesamt weniger verbrauchen müssen. Auch die regenerativen Energien schaffen Rohstoffverbrauch, den wir uns dauerhaft auf diese Weise nicht leisten können. Was wir eigentlich lernen müssen, ist im Gleichgewicht mit der Welt um uns herum zu leben, und zwar mit der ganzen Welt.

SB: Gibt es dazu schon Vorbilder?

Nelly: Im kleineren Rahmen gibt es auf jeden Fall schon Vorbilder, auch hier vor Berlins Haustür. Vielleicht erfüllen die jetzt nicht unbedingt eine hunderprozentige Vorbildfunktion, aber auf jeden Fall kann man sich an ihnen orientieren. Außerdem gibt es auch größere Visionen im globalen Kontext.

Mona: Zum Beispiel halte ich die Regierung und die Bevölkerung von Ecuador für ein Vorbild. Sie sagen: Wir wollen das Erdöl unter dem Yasuni-Nationalpark nicht extrahieren, weil wir glauben, daß das für die ganze Welt schlecht ist. Aber wir brauchen die Solidarität des Restes der Welt dafür, um das zu tun. Das halte ich für einen Versuch zu sagen: Wir gehören alle zusammen, müssen gemeinsam daran arbeiten und dann überlegen, was entgeht uns, wenn wir zum Beispiel auf dieses Öl und diese Bodenschätze verzichten, aber was gewinnen wir dadurch auch. Das meine ich mit globaler Verzahnung.

Man kann auch im kleinem Maßstab was tun. Zum Beispiel gibt es die Kampagne "Vattenfall in die Tonne" [3] und den Berliner Energietisch [4], an dem auch wir beteiligt sind. Wir können hier in Berlin sagen, wir wollen eine dezentrale, von uns mitbeeinflußte Energieversorgung haben und dafür machen wir einen Volksentscheid, dafür setzen wir uns ein, dafür machen wir Kampagnen.

SB: Zählt ihr die Rekommunalisierung dazu?

Mona: Ja, die Rekommunalisierung gehört auch dazu. Wir wollen neue Stadtwerke für Berlin und da etwas rückgängig machen. Gleichzeitig finde ich schon, daß auch die individuelle Ebene wichtig ist. Beispielsweise ist unsere Wohngemeinschaft hier einer Food-Coop angeschlossen und erhält regional produzierte Lebensmittel direkt vom Erzeuger. Dadurch muß man gewisse Wege einfach mehr gehen, die man sonst gar nicht vermeiden kann. Das könnte ja beispielhaft sein für etwas, das möglich wäre, was aber im großen Maßstab gerade nicht so funktioniert. Sich da Wege zu überlegen, halte ich für wichtig.

SB: Du sagtest "vor den Toren Berlins". Hast du da an ein konkretes Beispiel im Sinn?

Nelly: Ja. In den Medien wird gerne Feldheim hochgehalten, als erstes autarkes Dorf Deutschlands. Ich sehe da auch viele Kritikpunkte, aber die versuchen zumindest schon mal, einen in sich geschlossenen Energiezyklus aufzubauen, und fragen, was es für Möglichkeiten mit den Technologien, die bereits auf dem Markt, gibt. Wir träumen von der Zukunft, in der alles noch effizienter wird und mit noch weniger Ressourcenverbrauch erneuerbare Energien hergestellt werden - wir hoffen, daß wir da bald hinkommen -, aber dennoch gibt es ja schon eine ganze Palette an Möglichkeiten, wo zum Beispiel auch mit Biomasse gearbeitet wird, in Kombination mit Windkraft, in Kombination mit ein bißchen Solar für den Eigenverbrauch und eben einer Nahwärmeversorgung.

Das sind kleinere Energiesysteme, die man schon mal betrachten könnte, auch einfach als Inspiration, was vielleicht für Berlin irgendwann mal möglich sein könnte, und um trotzdem in kleineren Systemen zu denken. Wir wollen nicht wieder so eine große, zentralgesteuerte, aufgeplusterte Energieerzeugung haben.

SB: Wäre man damit wieder bei der Struktur, weil diese Innovation, die häufig klein anfängt, irgendwann den Mechanismus "mehr", "größer", "weiter" und "schneller" von neuem lostritt? Hätte man dann möglicherweise den Vorreiter gegeben für etwas, das man definitiv angetreten ist zu bestreiten?

Mona: Da sehe ich durchaus eine Gefahr, die in der Euphorie liegt, Deutschland sei bei der Energiewende ganz vorne, wir seien mal wieder die größten und so weiter. Es sollte ja gerade nicht darum gehen, daß wir dieses System einfach nur mit erneuerbaren Energien immer weiterführen, sondern daß wir mit etwas anfangen, das ich vernetztes Denken nennen würde. Was Nelly eben sagte: Zu schauen, wie die Dinge ineinandergreifen können, so daß es insgesamt nicht dauernd mehr, sondern weniger wird. Vielleicht sollte man die Aufgabe, wer am besten weniger verbrauchen kann, nach ganz vorne stellen und bei den Kindern anfangen, das mit denen gemeinsam einzuüben. Ich glaube, wenn Leute ganz jung damit anfangen, gehen sie auch ganz anders damit um.

Deswegen finde ich zum Beispiel diesen Pfeiler des Klimacamps mit der Bildung gut. Dahin kommen sehr viele ganz junge Leute, 16-, 17jährige, die sich fragen, was mit ihrer Zukunft ist. Wenn man wie ich 45 Jahre alt ist, dann kann man vielleicht noch sagen, naja, 40 Jahre geht´s vielleicht noch gut, danach sieht´s dann wahrscheinlich richtig schlimm aus. Das sage ich zwar nicht, aber das ist noch im Bereich des Möglichen. Aber die Leute, die jetzt 17 sind, die können sich nur ausmalen, daß es nicht so gut aussehen wird.

SB: Wenn es darum geht, wer von uns verbraucht am wenigsten, wäre es dann nicht konsequenterweise eigentlich nötig zu fragen: Wie schlagen wir Verbrauch völlig aus der Welt? Ich kann jetzt romantisch sagen, man lebt von Mondlicht und Tautropfen, das ist aber nicht das, was funktioniert, das ist klar. Aber muß man nicht Verbrauch als gelerntes Etwas noch viel genereller bestreiten, um sparen zu können?

Mona: Ich glaube nicht, daß es funktionieren kann, Leuten zu sagen, sie müßten von heute auf morgen nichts mehr verbrauchen. Das geht nicht. Das würde ich von mir selber ja auch nicht verlangen wollen, also kann ich es von anderen auch nicht verlangen. Wir müssen neue Umgangsformen mit Verbrauch lernen. Wir müssen neue Pfade tatsächlich gehen, aber wir müssen auch in unseren Hirnen neue Pfade einrichten, um anders damit umzugehen. Bei der Hirnforschung wird immer klarer, daß sich Genetik während des Lebens verändert. Wir müssen uns als menschliche Wesen tatsächlich verändern. Wir müssen die Art, wie wir denken, wie wir leben, wie wir essen, wie wir produzieren, wir müssen eigentlich alles verändern. Das ist ja auch was total Spannendes und Aufregendes. Ich finde es ganz toll, an einem Punkt zu stehen, wo es gar nicht mehr anders geht - das Problem ist, kriegen wir es schnell genug hin? Das ist immer die Schwierigkeit.

SB: In England gibt es schon seit längerem eine Art Klimapranger im Internet, wo Wärmebilder der Häuser zu sehen sind und man schon genau sehen kann, wer sein Haus nicht genug isoliert hat. In der Ökobewegung allgemein sind Tendenzen sichtbar, daß sie auf eine Form hinauslaufen können, bei der Umweltschutz von herrschenden Interessen okkupiert wird - Stichwort Ökofaschismus. Wird bei euch im Klimacamp über die Gefahr einer Instrumentalisierung individueller Maßnahmen gegen Klimaschutz durch vorherrschende Verwertungsinteressen diskutiert?

Mona: Genau deswegen erscheint uns die Frage des Aufbaus basisdemokratischer Strukturen eben auch als Teil des Klimacamps so wichtig, weil wir glauben, daß wir da gegensteuern müssen. Im Moment halte ich die Gefahr einer Ökodiktatur zumindest in Deutschland für nicht sonderlich groß, aber ich kann mir solche Tendenzen schon vorstellen. Ich habe mich zum Beispiel in meiner Masterarbeit genau damit beschäftigt und glaube, daß wir gleichzeitig immer an mehreren Strängen ziehen müssen. Wenn ich sage, wir müssen systemisch etwas verändern, meine ich eben nicht, daß wir jetzt dafür sorgen müssen, daß alle Leute gezwungen werden, nur noch bestimmte Verkehrsmittel zu benutzen, nur noch bestimmte Energieerzeugung zu benutzen - mit der Klammer drum, daß sich natürlich die ganz Reichen sowieso immer freikaufen können, wie das halt in den meisten Gesellschaften so ist. So will ich das nicht.

Das ist aber oft ein Streitpunkt mit Leuten, die in dem Bereich arbeiten und sagen, wir brauchen hundert Prozent Erneuerbare, es ist uns egal, wo die Stromtrassen dafür gebaut werden. Und da sage ich: Nein, wenn wir es jetzt falsch anfangen, dann ist das wieder nicht das, was wir eigentlich brauchen! Zu sagen, der Umbau muß schnell gehen, die demokratische Legitimation ist egal, das halte ich für einen ganz gefährlichen Weg, den ich nicht gehen will.

SB: Zumal das auch das Umlast-Prinzip immer wieder generiert. Wenn ich Hauseigentümer verpflichte, anständig zu isolieren - auf eigene Kosten, versteht sich - und Vattenfall fördert zinsfrei Kohle ...

Größenvergleich zwischen Schaufelradbagger und Mobilbagger im Tagebau Cottbus-Nord, März 2007 - Foto: A. Gutwein (CC-BY-SA-3.0-unported)

'Wir wollen nicht wieder so eine große, zentralgesteuerte, aufgeplusterte Energieerzeugung haben.' (Nelly) Foto: A. Gutwein (CC-BY-SA-3.0-unported)

Mona: Genau. Vielleicht sollten wir erst mal die versteckten und offenen Subventionen für Kohle abschaffen und dann sagen: Dieses Geld könnte man vielleicht auch dafür verwenden, daß solche Kosten nicht auf die Mieter umgeschlagen werden. Aber das muß man dann halt auch durchsetzen können, was gar nicht so leicht ist. Insofern finde ich es jetzt nicht komplett abwegig, daß die Leidtragenden oft wieder diejenigen sind, die jetzt schon nichts zu lachen haben.

SB: Das rührt an einen bestimmten Punkt, der relativ wenig diskutiert wird, die Eigentumsfrage ...

Mona: Ja.

SB: Stellt sich für euch die Frage, wer eigentlich die Verfügungsrechte über Natur inne hat und wer Eigentum reklamiert? Wären das Themen, die ihr beispielsweise in einem Workshop im Klima-Camp bearbeiten würdet?

Mona: Ja, die Eigentumsfrage ist so etwas wie die heilige Kuh unserer Gesellschaft. Aber ja, würde ich sagen. Ich lese gerade ein sehr spannendes Buch, das heißt "Schulden" und ist von David Graeber [5] - auf Englisch ist es noch lustiger, da heißt es "Debt: The First 5000 Years" -, und darin geht es auch um die Frage, wie sieht es eigentlich in vorkapitalistischer oder auch kapitalistischer Zeit aus, wie sind Geld, Schulden, Kapitalismus miteinander verstrickt? Und wenn wir das begreifen, was können wir dann tun, um vielleicht aus der Vorstellung auszubrechen, man könnte beispielsweise mit seinem Eigentum an Landfläche so lange alles machen, was man will, wie niemand anderes was dagegen hat. Da gibt es die Idee der Commons, des gemeinschaftlichen Eigentums, das allen zugute kommen muß, egal, ob es jetzt einer bestimmten Person oder einer Corporation gehört oder nicht. Das ist eine wichtige Frage, die diskutiert werden muß.

SB: Ist das eine Frage, die beispielsweise mit den Leuten aus der Lausitz zu diskutieren geht? Für die ist das ja die nackte Angst, das Eigentum zu verlieren. Das finde ich auch nachvollziehbar, weil die im Grunde genommen einem Giganten gegenüberstehen, dem sie faktisch nichts entgegensetzen können.Kann man mit denen in dieser Weise sozusagen über die Verallgemeinerung des Eigentums diskutieren und was daraus machen? Habt ihr das schon mal versucht?

Mona: In dieser Form haben wir das jetzt nicht gemacht. Aber das ist ganz klar eine Frage, die immer wieder auch mit Leuten diskutiert wird, die den Begriff Enteignung gar nicht mögen, eben weil sie von Vattenfall oder für Vattenfall enteignet werden. Wenn man statt Enteignung den Begriff Vergesellschaftung nimmt und sagt: Die Energieversorgung muß ein gesellschaftliches Gut sein und dem Einzelnen auch wirklich zugute kommen und zwar auch den Leuten, die vor Ort sind und die dann eben nicht einfach enteignet werden können - ich glaube, darüber kann man sehr gut mit den Leuten reden.

SB: Ist das Klimacamp eigentlich schon voll? Habt ihr schon ausreichend Anmeldungen für den Sommer?

Mona: Das funktioniert leider nicht so richtig mit den Anmeldungen, man weiß eigentlich vorher nie so genau, wie viele Leute da sein werden. Wir müssen kräftig Werbung machen. Es hängt auch immer davon ab, wie das Wetter ist oder ob gleichzeitig woanders etwas los ist. Das Klimacamp hat im letzten Jahr gut die Runde gemacht, ich glaube, daß diesmal noch mehr Leute kommen werden.

SB: Die rücken dann spontan an?

Nelly: Auf jeden Fall.

Mona: Ja, das ist fast immer so, daß die Leute relativ spontan entscheiden: Ach ja, das könnte man jetzt machen, das interessiert uns, was da auf dem Programm steht, wir wollen eine spannende Aktion mitmachen.

SB: Gibt es eine politische Partei, von der ihr euch mit eurem Anliegen vertreten fühlt?

Mona: Ich fühle mich nicht wirklich von Parteien gut vertreten, muß ich sagen. Die Linkspartei beispielsweise ist insgesamt gespalten, was das Thema Braunkohle angeht. Die Grünen wollen sich nicht wirklich von den Verlockungen des Kapitalismus verabschieden. Also, ich bin da nicht so begeistert.

SB: Nun, das ist auch eine Aussage. Wird das, was ihr im Klimacamp macht, im politischen Raum wahrgenommen? Kommt da mal einer vorbei, der ein Parteibuch hat?

Mona: Oh, ja! Und letztes Jahr sind wir zu ihnen gegangen. Selbst wenn sie nicht vorbeigekommen wären, hätten sie uns nicht übersehen können!

SB: Ich möchte noch auf die aktuelle Rio+20-Konferenz zu sprechen kommen. Was erwartet ihr davon? Oder erwartet ihr überhaupt etwas davon?

Nelly: Ich glaube, letztere Frage trifft es eher.

Mona: Ich fürchte, ich erwarte gar nichts davon.

Nelly: Ich meine, Überraschungen gibt es immer, aber ich erwarte auch nichts davon.

SB: Wie muß eine Gesellschaft aussehen, in der ihr leben wollt? Gibt es so etwas wie eine Utopie? Eine Vision? Träume?

Nelly: Naja, unser Vorstellungen sind ja schon ziemlich eindeutig, zumindest was die Energiewende betrifft. Das ist bei uns auch ziemlich klar formuliert, denke ich.

Mona: Für mich ist die Gesellschaft, in der ich leben will, immer die, die ich selber mit erschaffen muß und will. Insofern würde ich Nelly zustimmen: Die Gesellschaft, in der wir leben wollen, wollen wir sozusagen im Kleinen schon mal ausprobieren, um daraus vielleicht Anregungen zu bekommen, wie man so etwas auch im Größeren umsetzen kann. Das heißt ja nicht, daß man beim Klimacamp stehenbleibt, sondern wir machen auch sonst politische Aktionen, Interventionen, schreiben Texte ... ich denke, man muß auf verschiedenen Ebenen ansetzen und muß jeweils individuell oder als politische Gruppe schauen, wo ist das, was wir machen, am besten aufgehoben.

Utopie bedeutet ja, daß es immer etwas ist, wofür man sich weiter einsetzt, wofür man weiter kämpft und nicht unbedingt, daß man dann da auch wirklich lebt. Ich würde gerne in einer Gesellschaft leben, wo ich nicht automatisch dazu verdammt bin, in Kreisläufen zu leben, die Millionen und Milliarden von Menschen und der ganzen Welt schaden. Im Moment komme ich da nicht raus, niemand von uns kommt da raus. Die Gesellschaft, in der ich leben will, ist eine, wo wir das nicht mehr müssen. Und zwar alle nicht mehr müssen.

SB: Ich habe mich jetzt gerade gefragt, wenn ich mal so ein Klimacamp als Ausgangspunkt nehme und sage: Das mache ich nicht nur im Kleinen, sondern von da aus kann ich auch was entwickeln, Ideen so groß zu machen, daß sie tragfähig werden. Da lege ich mich mit Herrschaft an, da stellt sich die Gewaltfrage, weil ich da sofort Leuten oder ganzen Branchen faktisch den Krieg erkläre. Ist das auch Gegenstand eurer Überlegungen, die Gewaltfrage zu stellen und zu fragen, wie weit bin ich bereit zu gehen, um genau dieses Interesse da zu platzieren, wo es hingehört?

Mona: Meinst du, ob ich bereit bin, meinen Körper in einer Blockade einzusetzen?

SB: Zum Beispiel, ja.

Mona: Wenn das wichtig ist und wenn das was austrägt, auf jeden Fall. Klar bin ich dazu bereit, weil ich glaube, wir sind an einem Punkt, das hat ja sogar Al Gore - von dem ich nicht in allen Punkten sonderlich viel halte - gesagt: Er verstehe nicht, warum Leute keine Blockaden vor Kohlekraftwerken machen. Wir stellen uns ja auch in anderer Hinsicht immer wieder die Frage: Ist das was, wo ich anfangen würde, Widerstand zu leisten? Wo ist der Punkt gekommen, wo ich nicht mehr einfach still sitzen kann? Ich finde der Punkt ist gekommen, ja!

SB: Seht ihr in der Occupy-Bewegung in den USA, die da besonders stark ist, schon etwas aufscheinen, was in diese Richtung gehen könnte?

Mona: Das kann schon sein, und das wird ja teilweise hier aufgenommen und noch mal umgeformt. Ich finde das ein bißchen schwer, das von hier aus zu beurteilen, weil Occupy hier anders funktioniert. Aber von der Idee her auf jeden Fall. Ich bin jetzt keine, die sagt, man müsse nicht gleichzeitig auch beispielsweise bei Regierungsgewalten ansetzen. Eine reine Graswurzelaktivität reicht mir nicht, aber ich glaube, daß es davon eigentlich viel zu wenig gibt.

SB: Möchtet ihr zum Abschluß noch etwas sagen, das euch am Herzen liegt, was ihr unbedingt loswerden wollt?

Mona: Ja, eine Sache: Dieses Jahr gibt es zum ersten Mal in allen drei wichtigen und großen deutschen Braunkohlerevieren Klimacamps. Das ist ein Zeichen, daß sich etwas verändert. Die Problematik wird in diesem Land nicht länger ausgeblendet. In anderen Ländern wie England hatten sie schon 2006 mit der Organisation von Klimacamps angefangen. Hier hat alles etwas länger gedauert, aber jetzt ist es da.

SB: Beispielsweise im Hambacher Forst.

Mona: Genau, im Hambacher Forst ist ja eine Waldbesetzung. Das Klimacamp findet in Manheim, das ganz in der Nähe liegt, statt [6]. Das dritte Klimacamp wird in der Nähe von Leipzig, wo auch das mitteldeutsche Braunkohlerevier liegt, aufgebaut [7].

SB: Mona und Nelly, wir bedanken uns ganz herzlich bei euch, daß ihr die Geduld hattet, unsere Fragen zu beantworten. Wir wünschen euch viel Erfolg mit dem Lausitzer Klima- und Energiecamp.

Mona und Nelly: Danke.

Gemeinsames Plakat der Klimacamps im Rheinland und der Lausitz - Foto: http://www.lausitzcamp.info/

Gemeinsames Plakat der Klimacamps im Rheinland und der Lausitz Foto: http://www.lausitzcamp.info/


Fußnoten:

[1] http://www.lausitzcamp.info/

[2] http://www.gegenstromberlin.net/

[3] http://vattenfallindietonne.blogsport.de/

[4] http://www.berliner-energietisch.net/

[5] David Graeber: "Schulden", Klett-Cotta, 7. Aufl., Mai 2012, ISBN-13: 978-3608947670

[6] Klimacamp im Rheinland vom 3. bis 12. August 2012

http://www.klimacamp.ausgeco2hlt.de/

[7] Klimacamp in Hohenmölsen vom 20. bis 26. August 2012
http://www.zukunftsbund-luetzen.de/

8. Juli 2012