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LANDRAUB/011: Indien - Regierung beschneidet indigene Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Februar 2013

Indien: Regierung beschneidet indigene Rechte

von Ed McKenna


Bild: © Manipadma Jena/IPS

Holzsammlerinnen vom Volk der Bhumia
Bild: © Manipadma Jena/IPS

Neu-Delhi, 27. Februar (IPS) - Jahrhunderte lang lebte die Volksgruppe der Dongria Kondh in den Niyamgiri-Bergen im Einklang mit der Natur. Doch dann entdeckte der Konzern 'Vedanta Resources' Bauxit auf dem Berg und mit der Ruhe war es fortan vorbei.

2006 eröffnete das in London ansässige Unternehmen am Fuße des Niymagiri eine Fabrik, die aus dem hochwertigen Bauxit Aluminium herstellte. Kurz darauf waren Luft und Wasser mit giftigen Rückständen belastet. Der Aufstand internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs), von Vertretern lokaler Waldbewohner und Rechtsexperten sorgte schließlich dafür, dass die Anlage geschlossen wurde.

Zu diesem Sieg hat nicht zuletzt die Reform des sogenannten Gesetzes für die amtlich registrierten Völker ('scheduled tribes') und andere traditionelle Waldbewohner im gleichen Jahr beigetragen. Sie macht die Durchführung von Entwicklungsprojekten, die sich auf die Waldbewohner auswirken, von der Zustimmung der jeweiligen Dorfräte ('gram sabhas') abhängig. Doch die Früchte dieser Anstrengungen, die den ethnischen Gemeinschaften einen gewissen Schutz ihrer Umwelt und Rechte garantieren, sind nun erneut in Gefahr.

Wie Ashish Kothari von der Umweltgruppe 'Kalpavriksh' betont, wirken sich Infrastrukturprojekte, die als Voraussetzung für jegliche wirtschaftliche Entwicklung angepriesen werden, oftmals extrem negativ auf die Umwelt aus. "Straßen, Eisenbahnlinien und Überlandleitungen durch Wälder verursachen eine Fragmentierung der Gebiete und gefährden das Leben der Tiere", sagt er im IPS-Gespräch. So würden Elefanten beim Überqueren der Schienen getötet. "Die Projekte zerstören ganze Dörfer oder Dorfstrukturen, was sich wiederum negativ auf die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen der Gemeinschaften auswirkt."


Vielversprechende Regelung verwässert

Anfang des Monats hat das Umwelt- und Waldministerium (MoEF) den Passus aus dem 'Waldschutzgesetz' (FRA) von 2006 gestrichen, der die Volksgruppen berechtigt, größere Infrastrukturprojekte abzulehnen, die ihr Land und ihre Existenz bedrohen. In einer am 5. Februar bekannt gegebenen Erklärung hieß es, dass 'lineare' Projekte - Straßen, Kanäle, Pipelines, Fiberglas- und Überlandleitungen - wieder ohne die Zustimmung der Anrainer durchgeführt werden dürfen. Damit hat die Regierung sich selbst und ihren vielen Partnern einen Persilschein ausgestellt, die beanspruchten Gebiete zu roden und die indigenen Gemeinschaften zu vertreiben.

Der Beschluss macht damit auch die Vorgabe innerhalb der FRA, dass kein Mitglied der in Wäldern lebenden Scheduled Tribes oder andere traditionelle Waldbewohner von dem Land entfernt werden dürfen, zunichte, solange das Anerkennungs- und Verifizierungsverfahren nicht abgeschlossen ist.

Wie Swati Shresth von der Umweltorganisation 'Global Forest Coalition' betont, bedeutet die Entscheidung des MoEF "die Fortsetzung des Landraubs und der Verstöße gegen die Rechte traditioneller Waldbewohner im Namen von Entwicklung, Wirtschaft und nationalem Wohlstand". Die Entscheidung, 'lineare' Projekte auszunehmen, sei ein erster Schritt, um die FRA zu verwässern, meint Kothari von Kalpavriksh, einer der ältesten Entwicklungs- und Umwelt-NGOs Indiens. "Jetzt, wo Gemeinschaften sich Projekten mit Hilfe der FRA widersetzen können, sucht die Regierung verzweifelt nach Wegen, um das FRA zu umgehen."

Im Anschluss an die jüngste und äußerst umstrittene Entscheidung wurde das Amt des Ministerpräsidenten mit Protestschreiben internationaler Organisationen wie Oxfam und der 'Rights and Resources Initiative' förmlich überschwemmt. Auch eine große Gruppe indischer Rechtsanwälte meldete Protest an.

In den letzten sieben Jahren konnten die indischen Dorfräte dank FRA Versuche des südkoreanischen Stahlunternehmens 'Pohang Steel Company' (POSCO) erfolgreich abwehren, sich ihres Landes zu bemächtigen. Anfang Februar startete der Konzern einen erneuten Versuch, im Bezirk Jagatsinghpur in Orissa Bauern von ihrem Land zu vertreiben, um dort ein zwölf Milliarden US-Dollar teures Stahlwerk mit einer Produktionskapazität von vier Millionen Tonnen zu errichten.


Widerstand von 4.000 Waldfamilien gegen Stahlwerk

Wie aus einer Mitteilung des 'All India Forum of Forest Movements' (AIFFM) vom 3. Februar hervorgeht, wollen etwa 4.000 Familien, die von dem Projekt betroffen sind, ihr Zuhause und ihre Existenzgrundlagen nicht für das Stahlwerk aufgeben. Doch die neue Regelung hat die Gemeinschaften um ein wichtiges rechtliches Werkzeug gebracht, ihr Land zu verteidigen.

Der Minister für indigene Rechte, Kishore Chandra Deo, hat gegenüber IPS versichert, dass man auch weiterhin für die Stärkung der indischen 'gram sabhas' eintreten werde. Im letzten Jahr hatte sein Ministerium geschrieben, dass die "Zustimmung der gram sabhas mit einem Quorum von mindestens 50 Prozent (...) das absolute Minimum für die Einhaltung des Gesetzes sein muss, bevor Waldgebiete umfunktioniert oder zerstört werden dürfen."

Doch dass dieses 'absolute Minimum' nicht mehr gilt, ist ein schwerer Schlag für die Rechte der indigenen Völker. "Indem diese besondere Regelung ausgeschaltet wurde, kann die Regierung vorgeben, Beratungen in Form öffentlicher Anhörungen durchzuführen, und das Herzstück des FRA - das Recht der Gemeinschaften, zu entscheiden, was mit ihrer Umwelt geschieht - aushebeln", kritisiert Shresth.

Laut Sanjay Basu Mallick von AIFFM folgt die Entscheidung reinen Wirtschaftsinteressen. Auf diese Weise bahne man den Bergbauunternehmen im Namen wirtschaftlicher Entwicklung den Weg. "Doch menschlich gesehen ist dies ein undemokratischer Schritt, der die Entwicklung und das Wohl der Waldgemeinschaften ignoriert."

Das Wachstum in Asiens drittgrößter Volkswirtschaft hat sich im letzten Haushaltsjahr, das im März 2012 zu Ende ging, auf ein seit zehn Jahren historisches Tief von 6,2 Prozent verlangsamt, hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) Anfang Februar bekannt gegeben. Die internationale Finanzorganisation macht dafür vor allem den Mangel an Investitionen in die Infrastruktur des Landes und Verzögerungen bei der Vergabe von Genehmigungen für große Industrieprojekte verantwortlich.

Die Regierung von Ministerpräsident Manmohan Singh ist fest entschlossen, der Wirtschaft seines Landes neuen Auftrieb zu geben. Geplant ist die Umsetzung von Marktreformen, die bereits im letzten Jahr angekündigt worden waren. Doch nach Ansicht des IWF "muss noch mehr getan werden".

Im vergangenen November war ein Bericht aus dem Büro des Ministerpräsidenten an die Öffentlichkeit gelangt, in dem die "Verwässerung" der indigenen Rechte als Antwort auf den Druck von Bergbauunternehmen und verwandten Industrien empfohlen wurde. Nach Angaben der Indischen Behörde für nationale Autobahnen sind 101 Infrastrukturprojekte inklusive 32 Straßen aufgrund von Genehmigungsverzögerungen zum Erliegen gekommen.


Druck des Privatsektors

"Das Amt des Ministerpräsidenten ist angesichts des Drucks von Seiten des Privatsektors darum bemüht, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen", meint Basu Mallick gegenüber IPS. Das MoEF hat im Dezember nachgegeben und bekannt gemacht, dass bestehende Bergbauprojekte den Prozess der öffentlichen Anhörungen, wie im FRA festgehalten, umgehen und ihre Produktionskapazitäten einmalig um bis zu 25 Prozent erhöhen dürfen. Dieser Schritt hat nun in der jüngsten Aufhebung der FRA-Bestimmung über die Zustimmung der indigenen Gemeinschaft sein Echo gefunden.

"Im großen Kontext bedeutet dies, dass im blinden Streben nach Wirtschaftswachstum Prozesse wie die Zustimmung der lokalen Gemeinschaften zu Projekten als Hindernis anstatt als wichtiger Aspekt einer umfassenden Demokratie gesehen werden", so Kothari. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://kalpavriksh.org/
http://www.rightsandresources.org/pages.php?id=21
http://www.ipsnews.net/2013/02/india-undercuts-tribal-rights/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2013