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WALD/022: Hambacher Forst - geteilte Gerechtigkeit (SB)


Hambacher Forst - 22. November 2012, 19.00 Uhr

Verursacherprinzip und Verursacherprinzip

Straßengraffito zeigt Kohlekraftwerk mit Totenkopf und geballter Faust der Bewohner - Foto: © 2012 by Schattenblick

Den Grubenranddorfbewohnern aus der Seele gesprüht - Graffito in Straßenunterführung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Eine Binsenweisheit besagt, daß, wenn zwei dasselbe täten, dies noch lange nicht dasselbe sei. In den Auseinandersetzungen, die in Folge der polizeilichen Räumung eines Waldbesetzercamps im Hambacher Forst mehr und mehr ihre Tabugrenzen durchbrechen und in Öffentlichkeit und Medien einen anwachsenden Widerhall finden, bestätigt sich diese "Binse" im Zusammenhang mit dem Verursacherprinzip, das in höchst unterschiedlicher, um nicht zu sagen diametral entgegengesetzter Weise von den Akteuren und Beteiligten in Anspruch genommen wird.

So hieß es in einer am 21. November 2012 veröffentlichten Stellungnahme des Netzwerks Bergbaugeschädigter, einem an den innenpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen, Theo Kruse, persönlich gerichteten Schreiben, daß diese Initiative sich bereits seit Jahren darum bemühe, bei den Schäden und Auswirkungen durch den Tagebau Hambach bzw. RWE auf das Verursacherprinzip zu pochen. Desweiteren hieß es in dem von Karl-Heinz Ochs, dem Vorsitzenden der Initiative Bergbaugeschädigter 50189, formulierten und auch auf dem Blog "Hambacher Forst" veröffentlichten Schreiben [1]:

Als Grubenrandbewohner am Tagebau Hambach in Elsdorf müssen wir mit den Auswirkungen des Tagebaus leben. Ich möchte Ihnen einige aufzählen:
- Um den Tagebau herum wird bis auf 800 Meter Tiefe gesümpft. Dadurch sacken die Orte ab. Elsdorf-Berrendorf ist bereits um 4,30 m abgesackt. Dabei entstehen natürlich Bergschäden. Verursacher RWE?
- Täglich bekommen wir durch die Sophienhöhe und den Tagebau Sand und Dreck in und um unsere Häuser geweht. Terrassen lassen sich bereits nicht mehr reinigen durch den im Schmutz enthaltenen Kohlestaub. Verursacher RWE?
- Wir haben Tag und Nacht (also rund um die Uhr) Lärm, er liegt nachts bei ca. 50 db. Verursacher RWE?
- Wir müssen täglich Feinstaub einatmen, der unsere Gesundheit gefährdet (der Tagebau emittiert täglich 130 Tonnen Feinstaub). Verursacher RWE?
- Wir haben erhöhte Radioaktivitätswerte durch den Tagebau. Verursacher RWE?
- Unser Lebensraum wird vernichtet, es wird einfach alles abgebaggert und abgeholzt. Verursacher RWE?

Auf einer gemeinsam mit den Waldbesetzerinnen und -besetzern am Montag durchgeführten Pressekonferenz hatte Karl-Heinz Ochs, dessen Haus in 600 Metern Entfernung vom Rand der Braunkohlegrube steht, beschrieben, wie er einmal im Monat versucht, den schmierigen Kohlestaub von den Fenstern und der Terrasse seines Hauses, aber auch aus den Zimmern zu entfernen. Zentimeterbreite Risse durchzögen bereits infolge der massiven Grundwasserabsenkung sein Haus. In der Nachbarschaft seien schon mehrere Häuser einfach auseinandergebrochen, viele Eigentümer kämpften vergeblich um eine Entschädigung. An Theo Kruse hatte Ochs nun geschrieben, um ihn zu fragen, ob er mit zweierlei Maß urteile und das Verursacherprinzip nur bei RWE, nicht jedoch bei der Bevölkerung geltend mache [1].

Blick auf den Tageabbau, der die Tiefe der Grabungen erahnen läßt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das Hambacher Loch - gegraben in bis zu 400 Metern Tiefe
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalens hatte Aufklärung über den tagelangen Polizeieinsatz bei der Räumung im Hambacher Forst gefordert und zu diesem Thema für den heutigen Donnerstag eine aktuelle Stunde im Landtag beantragt. In einem von Theo Kruse verfaßten Text hatte es dazu zur Begründung geheißen [2]:

Durch die Blockade- und Besetzungsaktion haben sich die Aktivisten mit den Einsatzkräften ein teures Katz-und-Maus-Spiel geliefert. Medienberichten zufolge belaufen sich die Gesamtkosten für den Einsatz auf über 800.000 Euro. Wir wollen vom Innenminister Aufklärung darüber, wie viele Kräfte im Einsatz waren und wie hoch die genauen Kosten sind. Vor allem aber wollen wir wissen, wer nach Einschätzung von Herrn Jäger die Kosten für den Einsatz zahlen sollte und was er unternimmt, um dem Verursacher diese Kosten aufzuerlegen.

Über die Frage, wer denn nun der Verursacher diese Kosten sei, gibt es natürlich völlig entgegengesetzte Auffassungen. Karl-Heinz Ochs hatte diesen Text zum Anlaß genommen, um an Theo Kruse das oben erwähnte Schreiben zu richten. Diese hatte offenbar, gemünzt auf die Waldbesetzerinnen und -besetzer, von "rechtswidrigen Aktionen" gesprochen [2]:

Nach Ansicht von Kruse könne es nicht sein, dass die Kosten am Ende beim Steuerzahler hängen bleiben: "Es ist das gute Recht von jedermann, gegen Sachverhalte zu protestieren, die ihm missfallen. Solche Proteste müssen allerdings in geordneten Bahnen verlaufen. Sie dürfen nicht in rechtswidrige Aktionen münden, die nur mithilfe von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften aufgelöst werden können. Hier muss bei den Kosten das Verursacherprinzip gelten.

Allem Anschein nach gibt es in dieser Frage - und womöglich auch bei vielen weiteren und grundsätzlichen - eine "geteilte Gerechtigkeit"...

Wer sich ausführlicher über Schäden und Folgenwirkungen dieser Technologie und Energiepolitik informieren will, sei auf "Das gelbe Band", einen Zusammenschluß der Grubenranddörfer im Rheinischen Braunkohlerevier, verwiesen. [3]

Das Grau abgebauter Flächen geht ins Himmelgrau über - Foto: © 2012 by Schattenblick

Heute grau in grau - auch hier stand einmal schönster Wald
Foto: © 2012 by Schattenblick

Aktuelle Informationen auf folgenden Seiten:
http://hambacherforst.blogsport.de/
https://stopptrwe.crowdmap.com/

Zum Hambacher Forst siehe im Schattenblick auch:

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB) (18.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1047.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNG:
LAIRE/209: Waldgrenze, Ödfraß und Profit ... (SB) (13.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme0207.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml
BERICHT/019: Bagger fressen Erde auf - Kraftwerksneubau BoAplus verhindern! (SB) (20.06.2012)
BERICHT/021: Bagger fressen Erde auf - Basisaktivismus gegen Braunkohletagebau (SB) (10.07.2012)
BERICHT/022: Bagger fressen Erde auf - Erkundungen in RWE-Land (SB) (24.07.2012)
INTERVIEW/021: Bagger fressen Erde auf - Perspektiven der Antikohlebewegung (SB) (12.07.2012)
INTERVIEW/022: Bagger fressen Erde auf - Zeph über die Arbeit des Beehive Design Collective (SB) (13.07.2012)
INTERVIEW/024: Bagger fressen Erde auf - Alfred Weinberg über Kontinuität im Umweltaktivismus (SB) (20.07.2012)
INTERVIEW/025: Bagger fressen Erde auf - Waldbesetzer "Erde" im Hambacher Forst (SB) (24.07.2012)

Fußnoten:

[1] Stellungsnahme des Netzwerks Bergbaugeschädigter zur Kosten-Offensive, 21.11.2012
http://hambacherforst.blogsport.de/2012/11/21/stellungsnahme-des-netzwerks-bergbaugeschaedigter-zur-cdu-kosten-offensive/#more-231

[2] Wer zahlt die Kosten für den Einsatz im Hambacher Forst? Von Theo Kruse, 19.11.2012
http://www.cdu-nrw-fraktion.de/index.php?id=news-anzeige0&tx_ttnews%5Btt_news%5D=11818&cHash=67fdaed7316936706fe70d5bcb364bf3

[3] Soziale, wirtschaftliche und psychologische Beeinträchtigungen, Eintrag auf der Webseite "Das gelbe Band", einem Zusammenschluß der Grubenranddörfer des Braunkohlereviers (www.das-gelbe-band.com/)
http://www.dorfinteressengemeinschaft-wanlo.de/DasGelbeBand/weitere-belastungen.php

22. November 2012