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WALD/033: Hambacher Forst - Bürgerprotest hin, Rechtsmittel her (SB)


Hambacher Forst - 7. Januar 2013

Hoffnungsträger Recht


Straßengraffito zeigt Kohlekraftwerk mit Totenkopf und geballte Faust der Bewohner - Foto: © 2012 by Schattenblick

Vielen Grubenranddorfbewohnern aus der Seele gesprüht - Graffito in Düsseldorfer Straßenunterführung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Hambacher Forst, der auf dem Blog der Waldschützerinnen und Waldschützer bzw. Braunkohlegegner und -gegnerinnen als "letzter Urwald Mitteleuropas" [1] bezeichnet wird, ist infolge des Braunkohleabbaus Hambach nicht mehr 5.500, sondern nur noch 1.100 Hektar groß. Und weitere Rodungen drohen, auch wenn die Arbeiten infolge der BUND-Klage vorerst gestoppt wurden, was Gegner und Protestierende dazu verleiten könnte, das weitere Geschehen im engsten Wortsinn abzuwarten, da die rechtlichen Fragen noch nicht abschließend geklärt sind.

Nichts wäre zum derzeitigen Zeitpunkt wie auch in grundsätzlicher Hinsicht verhängnisvoller, da das kleine Pflänzchen Braunkohlewiderstand, das nicht nur im Hambacher Forst, sondern auch im zweitgrößten Abbaugebiet Deutschlands, der Lausitz, im Entstehen begriffen ist, tatkräftiger und solidarischer Unterstützung ebenso bedarf wie einer anwachsenden Schar engagierter und entschlossener Mitstreiter und Mitstreiterinnen, denen in Fragen des Wald- und Umweltschutzes wie auch des Erhalts der zur Umsiedlung vorgesehenen Dörfer vielfältige und schlagkräftige Argumente zur Verfügung stehen.

Gleichwohl scheint selbst in den Ortschaften, die wie Morschenich umgesiedelt werden sollen, nicht unbedingt ein einhelliges Meinungsbild unter den Bewohnern vorzuherrschen. Auf einer Bürgerversammlung, die am 3. Januar 2013 auf Initiative des Eigentümers der am Dorfrand liegenden "besetzten" Wiese stattfand, hatten sich die Anwesenden gegen die Umsiedelung ihres Ortes und für das Protestcamp ausgesprochen. Nach Angaben des Grundstücksbesitzers gäbe es allerdings auch, wie sich inzwischen herausgestellt habe, Morschenicher Bürger, die mit dem Braunkohletagebau und auch der Dorfumsiedlung einverstanden seien und eine neue Bürgerversammlung forderten, weil sie über die erste "Anhörung" [2] nicht ausreichend informiert worden wären.

Damit zeigte sich der Wiesengrundstücksbesitzer einverstanden. Aus seiner Sicht drängt die Zeit, wurde ihm doch bis zum 10. Januar vom Kreis Düren eine Frist gesetzt, in der er sich zu der ihm angekündigten Ordnungsverfügung, durch die ihm unter Androhung von Zwangsmitteln auferlegt werden soll, für die Räumung des Wiesencamps zu sorgen, äußern kann. Hätte er bis dahin ein einhelliges Votum der Bürger Morschenichs gegen die Umsiedlung und damit auch die Waldrodung in der Tasche, würde dies, so vermutlich seine Überlegung, seine Verhandlungsposition gegenüber dem Bauordnungsamt stärken.

Bei seinen Bemühungen, in der kurzen, verbliebenen Zeit eine zweite Bürgerversammlung zu realisieren, stößt er allerdings auf große Schwierigkeiten. Der bisherige Versammlungsort in einer Gaststätte erschien den Pro-Braunkohle-Bürgern nicht groß genug, und so wurde für Mittwochabend eine Versammlung unter freiem Himmel auf dem Vorplatz der katholischen Kirche in Morschenich ins Auge gefaßt. Doch auch dieser Plan hat sich inzwischen zerschlagen, da ein Mitglied des Kirchenvorstands in dessen Namen dem Wiesenbesitzer mitgeteilt habe, daß der Kirchenvorplatz, nichts anderes als ein gegenüber der Kirche liegender Parkplatz an einer verkehrsreichen Durchgangsstraße, für diese Versammlung nicht zur Verfügung stehe. Wie soll es nun weitergehen, fragt der Grundstücksbesitzer, läßt sich die Versammlung in so kurzer Zeit noch an einem anderen Ort realisieren, vielleicht in einer ruhigen Seitenstraße?

Laut Aachener Nachrichten haben die Wiesenbesetzerinnen und -besetzer unter den Morschenicher Dorfbewohnern einigen Rückhalt, hieß es doch dort [3]:

"Uns stören die jungen Leute nicht, wir finden das, was sie machen, mutig und tapfer", sagte eine Morschenicherin, die den übrigen Bewohnern der vom Tagebau bedrohten Ortschaft wohl aus der Seele sprach. "Wir wollen hier alle nicht weg."

Ob diese Bürgerin tatsächlich für alle Bewohner gesprochen hat oder nicht, mag dahingestellt bleiben, steht doch zu befürchten, daß der Kreis Düren zur Räumung der Wiese in jedem Fall fest entschlossen ist und daß die dem Grundstückseigentümer gesetzte, denkbar kurze Frist ohnehin nur eingeräumt wurde, um die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen für behördliche Zwangsmaßnahmen zu schaffen.

In Frage kämen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz Nordrhein-Westfalens Ersatzvornahme, Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang und Zwangsräumung. Die auf der Wiese campierenden Protestierenden wie auch der Grundstücksbesitzer müssen allerdings nicht erst ab Freitag mit solchen Maßnahmen rechnen. Zur Abwehr einer Gefahr sind derartige Zwangsmaßnahmen auch ohne vorherigen Verwaltungsakt möglich. Wie der Eigentümer bekannt gab, sei gegenüber den Protestcampern als möglicher Grund bereits die Gefahr der Verbreitung der Schweinepest genannt worden.

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/

Fußnoten:

[1] Meta: Worum geht's im Hambacher Forst? Meldung des Blogs "Hambacher Forst" vom 29.12.2012
http://hambacherforst.blogsport.de/2012/12/29/meta-worum-gehts-im-hambacher-forst/#more-309

[2] Eine Anhörung bedeutet im verwaltungsverfahrensrechtlichen Sinne, daß Betroffenen in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren eine Gelegenheit zur Äußerung gewährt wird in einer Angelegenheit, die zur Entscheidung ansteht. Die Anzuhörenden können sich sowohl zu sachlichen Aspekten als auch zur rechtlichen Beurteilung äußern. Eine solche Anhörung beruht auf dem im Grundgesetz in Art. 103 I verankerten Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs. Auch wenn dieses Grundrecht in der Verfassung direkt nur auf das rechtliche Gehör vor Gericht ausformuliert wurde, wirkt es sich als Verfassungsgrundsatz auch auf Verwaltungsverfahren (§ 28 VwVfG) aus. Eine unmittelbare Mitwirkung der Betroffenen an der Entscheidung im Sinne einer Mitentscheidung ist jedoch weder in der Verfassung noch in den einschlägigen Gesetzen vorgesehen.

[3] Camp signalisiert: Bis hierher und nicht weiter. Aachener Nachrichten, 4. Januar 2013
http://www.aachener-nachrichten.de/lokales/dueren/camp-signalisiert-bis-hierher-und-nicht-weiter-1.487663

Zum Hambacher Forst siehe im Schattenblick auch:

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB) (18.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1047.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN:
LAIRE/209: Waldgrenze, Ödfraß und Profit ... (SB) (13.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme0207.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

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7. Januar 2013