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WALD/045: Hambacher Forst - ... den Filz fürchten (SB)


Hambacher Forst - 1. Februar 2013

Rodungsgefahr ad acta? Wie sicher kann ein vorläufiger gerichtlicher Beschluß sein?


Baumskelette in karger Umgebung, blauer Himmel - Foto: © by Herbert Sauerwein

Wo einst Wald stand ...
Foto: © by Herbert Sauerwein

In Nordrhein-Westfalen hat es sich zu einem geflügelten Wort entwickelt, von RWE-Land anstelle der gebräuchlichen Abkürzung NRW zu sprechen. In der Geschichte des bevölkerungsreichsten Bundeslandes hat noch niemals ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin auch nur versucht, den hohen Stellenwert, den insbesondere der Braunkohletagebau in NRW einnimmt, zu minimieren, und so hat sich im Laufe der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Landesregierungen und den in diesem Bereich tätigen Großunternehmen entwickelt. Von Korruption zu sprechen, würde dieser Problematik nicht im mindesten gerecht werden, nicht etwa, weil es nachweislich zu keinen dementsprechenden Vorteilsnahmen gekommen wäre, sondern weil ein solcher Erklärungs- und Bewertungsansatz Gefahr läuft, zu kurz zu greifen, unterstellt er doch ein Fehlverhalten einzelner Verantwortungsträger - und seien sie in noch so hohen Positionen -, das mit personenbezogenen Sanktionen oder einem personellen Wechsel zu beheben wäre.

Würden Menschen, die von dem Braunkohletagebau, der ihn förderlichen Regierungspolitik und dem auch auf kommunaler Ebene allem Anschein nach in diese unheilige Allianz "eingebetteten" Handeln der örtlichen Behörden betroffen sind, ihre Wut auf einzelne Personen fokussieren, würde der Blick aufs Ganze und Grundsätzliche möglicherweise zu kurz kommen. Und betroffen sind in NRW viele, sei es mittelbar als Bürger eines Bundeslandes durch die Umweltschäden und den Verlust von Naherholungsgebieten wie dem mehr und mehr zum Zwecke der Braunkohleverstromung gerodeten Hambacher Forst oder unmittelbar, weil sie als Bewohner eines Grubenranddorfes wie beispielsweise Morschenich, das wie viele andere vor ihm den Baggern zum Opfer fallen soll, ihr Zuhause verlieren.

Hinten noch Wald, im Vordergrund verwüstetes Gelände - Foto: © by Herbert Sauerwein

... entsteht nach der Rodung eine eigentümliche Atmosphäre
Foto: © by Herbert Sauerwein

In einer kapitalistisch strukturierten Verwertungsordnung wie der bundesdeutschen ist der gesellschaftliche Friedensschluß zwischen eigentlich antagonistischen Klassen, die in früheren Zeiten einer starken linken Opposition noch mit Begriffen wie "Kapital" und "Arbeit" umschrieben worden waren, so tief verwurzelt im Denken und Handeln beileibe nicht nur der Regierungsverantwortlichen, daß viele Menschen der Überzeugung sind, die optimal gedeihliche Entwicklung eines Unternehmens würde sozusagen im Beifang auch optimale Lebensbedingungen für die gesamte Bevölkerung abwerfen. Für Großunternehmen von Range eines Energieriesen, der weit über NRW hinaus seine Interessen zu verfolgen imstande ist und europaweit zu den "ganz Großen" gehört, scheint dies natürlich umso mehr zu gelten.

Mit Natürlichkeit hat dies selbstverständlich nichts zu tun, sehr wohl aber mit einer sehr langen Geschichte, Kultur und Tradition gezielter Einflußnahmen auf das Denken und auch Fühlen der Menschen, von denen viele sich erst dann betroffen sehen, wenn sie ihr kleines Haus verlieren und erleben müssen, daß sie nicht die geringste Chance haben, die ihrem Dorf zugedachten Pläne abzuwenden, weil ihnen eine Phalanx, bestehend aus Unternehmen, Landesregierung, Gemeinderäten und auch Gerichten gegenüberzustehen scheint. Diese scheinen, ob sie sich nun dezidiert absprechen oder gar, auf welchen Wegen auch immer, wechselseitig "bestechen", stets ein- und dasselbe Interesse zu vertreten und zugleich, da sie alle dafür erforderlichen Mittel in der Hand haben, auch durchsetzen zu können.

Vorne ein Baumstumpf, karges Gelände bis zum Horizont - Foto: © by Herbert Sauerwein

Nach den Rodungsarbeiten vom Dezember kann hier vom 'Hambacher Forst' nicht mehr die Rede sein
Foto: © by Herbert Sauerwein

Die Wald- und späteren Wiesenbesetzerinnen und -besetzer im Hambacher Forst werden ein Lied davon singen können, wie es sich anfühlt, einem scheinbar allmächtigen Koloß die alleinige Entscheidungshoheit in diesen Fragen streitig machen zu wollen aus dem einzigen, aber umso triftigeren Grund, nämlich der Überzeugung, daß das Vorgehen der Braunkohlebetreiber in Politik und Wirtschaft den Interessen der Menschen in der unmittelbaren Region, aber auch in ganz Nordrhein- Westfalen und darüber hinaus, entgegensteht. Mehr und mehr Menschen teilen diese Ansicht oder, wie es wohl präziser formuliert wäre, würden möglicherweise diese Auffassung als die ihrige akzeptieren, glaubten sie nicht, sich in einer ausweglosen Lage zu befinden, wollten sie sich ernsthaft aufmachen, ihre Interessen konkret auszuformulieren und deren Umsetzung dann auch in Angriff zu nehmen.

Praktischer und konkreter Widerstand, wie ihn eine vielleicht kleine Gruppe entschlossener, zumeist junger Menschen nun schon seit fast einem Jahr im Hambacher Forst leistet, kann vor diesem Hintergrund gar nicht positiv genug bewertet werden, da er ungeachtet aller etwaigen Rückschläge und nach wie vor vollkommen ungelösten Probleme ein Beispiel dafür liefert, daß die von Resignation geprägte Haltung, die vorherrschenden Entwicklungen inklusive ihrer bevorstehenden Zuspitzungen für unangreifbar zu halten, vor allem eines bewirkt: Die angeblich so übermächtige Gegenseite hat leichtes Spiel.

Im Hambacher Forst legt die Entwicklung in den zurückliegenden Monaten bereits die Vermutung nahe, daß ohne Wald- und Wiesenbesetzung und all die übrigen Proteste und Aktionen die Waldzerstörungen schon weiter fortgeschritten wären, als sie es heute sind. Es ist zwar müßig darüber zu spekulieren, ob andernfalls der BUND auch seine Klage eingereicht und das Amtsgericht Aachen einen vorläufigen Rodungsstop verhängt hätte, doch naheliegend ist die Vermutung schon, daß die durch die Protestformen erzeugte Öffentlichkeitswirkung dazu beigetragen haben könnte.

Vorne Matschboden, hinten gefälltes Gestrüpp - Foto: © by Herbert Sauerwein

Szenen einer umstrittenen Rodung ...
Foto: © by Herbert Sauerwein

Doch wie verläßlich kann eine solche Verfügung tatsächlich sein? Ist es wirklich ausgeschlossen, daß der Betreiber, der ab Februar weiter roden wollte, nicht doch Wege und Mittel findet juristischer und administrativer Natur, die ihm die Bahn frei machen? Und wie steht es um den Erhalt des Wiesencamps der Braunkohlegegnerinnen und -gegner, das sich auf einem an das zur Rodung bestimmten Waldgebiet angrenzenden Grundstück eines couragierten Bürgers befindet, dem seitens der zuständigen Kreisverwaltung bereits gehörig eingeheizt wurde, um ihn dazu zu bringen, das aus Sicht der Gegenseite offenbar mehr als ärgerliche Protestcamp abbauen zu lassen?

All dies sind offene Fragen. Auf dem Blog der Protest- und Widerstandsbewegung des Hambacher Forstes wurde in jüngster Vergangenheit dezidiert auf die engen personellen Verflechtungen zwischen Konzern und Kreisverwaltung hingewiesen. So fand der Dürener Landrat Wolfgang Spelthahn Erwähnung. Nach Blog-Angaben ist er nicht nur Landrat eines Kreises, in dem das Gebiet des Hambacher Forstes liegt, das zwecks Erweiterung des dortigen Tagebaus gerodet werden soll, sowie das Protestwiesencamp liegt, sondern auch "Aufsichtsrat bei RWE Power, ständiges Mitglied des RWE-Beirats Mitte, Leiter der Kreispolizeibehörde Düren, Verwaltungsrat der Sparkasse Düren und bis zu deren Auflösung auch Aufsichtsrat der Dürener Gesellschaft für Wirtschafts- und Strukturförderung" [1]. Insgesamt soll der Dürener Landrat, der derzeit wegen des Verdachts der Veruntreuung öffentlicher Gelder vor Gericht steht, laut "Hambacher Forst" 40 Aufsichtsratsposten auf sich vereinen. Wie groß mag das Vertrauen der örtlichen Bevölkerung sein, daß in diesem kommunalen Gremium ihre Interessen Berücksichtigung finden?

Vorne Baumstümpfe und am Boden liegende Bäume - Foto: © by Herbert Sauerwein

... mahnen noch heute
Foto: © by Herbert Sauerwein

Dem Landrat eines weiteren Kreises, in dem der Hambacher Forst liegt und gerodet werden soll, widmeten die Braunkohlegegnerinnen und -gegner ebenfalls ihre Aufmerksamkeit. Werner Stump ist Landrat des Kreises Rhein-Erft und in diesem Amt auch Chef der Polizei Rhein-Erft. Die umstrittene Räumung des Waldcamps im Herbst vergangenen Jahres fiel in seinen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich. Wie auch im Schattenblick seinerzeit berichtet, hatte die Polizei Rhein-Erft in diesem Zusammenhang auch durch ihre Informations- oder vielmehr Desinformationspolitik für Schlagzeilen gesorgt.

Als sich einer der Aktivisten in einem Tunnel eingegraben und von den Einsatzkräften unter widrigsten und den Eingeschlossenen durchaus gefährdenden Umständen herausgeholt worden war, hatte ein Polizeisprecher diesem unterstellt, er habe Stützpfeiler umgetreten und dadurch die Sicherheitskräfte gefährdet. Diese Behauptung wurde später von der Staatsanwaltschaft dementiert in Verbindung mit der an die Adresse der Polizei Rhein-Erft gerichteten Empfehlung, ihre Informationspolitik zu überdenken.

Über Landrat Stump wurde auf dem Blog "Hambacher Forst" nun berichtet, daß er sein Geld nicht nur als Landrat, sondern auch "durch seine Tätigkeit im Regional Beirat Mitte von RWE" [2] verdienen würde. Sollte dies zutreffend sein, wäre dies der Reputation eines öffentlichen Amtes nicht gerade förderlich und könnte die mit der derzeitigen Politik nicht einverstandenen Bürgerinnen und Bürger dazu motivieren bzw. darin bestärken, sich entschlossener und grundsätzlicher als bisher all den Fragen und Problemen zu stellen, deren Inangriffnahme sie bislang vermieden haben.

Vorne drei große Baumstämme, weiter hinten weitere, ganz hinten noch Wald - Foto: © by Herbert Sauerwein

Drei von vielen großen toten Bäumen im Hambacher Forst
Foto: © by Herbert Sauerwein

Fußnoten:
[1] Indesee-Spelthahn: Der RWE-Filz dem ein Körper genügt. Hambacher Forst, 25. Januar 2013
http://hambacherforst.blogsport.de/2013/01/25/indesee-spelthahn-der-rwe-filz-dem-ein-koerper-genuegt/

[2] Verantwortlicher Polizeichef der Räumung im Hambacher Forst steht ebenfalls im Lohn bei RWE, Hambacher Forst, 31. Januar 2013
http://hambacherforst.blogsport.de/2013/01/31/verantwortlicher-der-raeumung-im-hambacher-forst-steht-ebenfalls-im-lohn-bei-rwe/

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/


Zum Hambacher Forst siehe im Schattenblick auch:

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB) (18.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1047.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN:
LAIRE/209: Waldgrenze, Ödfraß und Profit ... (SB) (13.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme0207.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

BERICHT/019: Bagger fressen Erde auf - Kraftwerksneubau BoAplus verhindern! (SB) (20.06.2012)
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1. Februar 2013