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EUROPA/096: Weltwassertag und EU-Wasserpolitik (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände

EU-Koordination - 23.03.2009

Weltwassertag und EU-Wasserpolitik


Wenn die EU sämtliche Potentiale für ein sichere sanitäre Grundversorgung nutzen würde, wären 20 Millionen Menschen in den armen Ländern der EU nicht mehr auf menschenunwürdige Plumpsklos angewiesen.

Am 22. März war Internationaler Weltwassertag und in der letzten Woche fand in Istanbul das fünfte Welt-Wasser-Forum statt. Politiker, NGOs, Wissenschaftler und die Wasserwirtschaft diskutierten drängende Probleme unserer Zeit: Wasserknappheit, verunreinigtes Wasser und fehlende sanitäre Versorgung. Eine sichere sanitäre Versorgung, die eine gesunde, nachhaltige Abwasserbehandlung mit einbezieht, ist eine Frage höchster Priorität. Sie ist nicht nur ein Beitrag zur Menschwürde, sie trägt auch zur (wirtschaftlichen) Entwicklung ganzer Regionen bei. Sie trägt dazu bei, dass sauberes Trinkwasser in ausreichender Menge vorhanden ist. Sie verhindert wasserbedingte Krankheiten, an denen in der europäischen Region jährlich immer noch 14.000 Kinder sterben. Sie ermöglicht Mädchen einen regelmäßigen Schulbesuch auch während und nach der Pubertät und somit steigende Bildungs- und Berufschancen. Sie produziert wertvollen organischen Dünger, der den Landwirten höhere Erträge einbringt. Sie trägt zum lokalen Klimaschutz bei und dazu, das Menschenrecht auf sauberes Wasser umzusetzen.

Die fehlende nachhaltige sanitäre Versorgung ist eine wichtige Ursache für menschenunwürdige Umstände und die Verunreinigung von Grundwasser, das vielerorts als Trinkwasser benutzt wird. Dass dies nicht nur "afrikanische" Probleme sind, sondern auch auf Länder in der EU und der europäischen Region trifft, gerät oft in Vergessenheit. Während in Westeuropa jeder Mensch mit der Betätigung seiner Toilettenspülung jährlich im Schnitt 15.000 bis 30.000 Liter hochwertiges Trinkwasser verbraucht, sind in der EU mehr als 20 Millionen Menschen auf unhygienische, sanitäre Anlagen wie Latrinen, Sickergruben oder -brunnen angewiesen. Wie die Europäische Kommission bestätigt, haben in einigen EU Mitgliedstaaten bis zu 40 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberen und sicheren sanitären Einrichtungen. In manchen Gegenden ähneln die sanitären Verhältnisse denen in der Dritten Welt. Fäkalbakterien und Nitrate aus den "Sanitäranlagen" infiltrieren das Grundwasser. So kommt es, dass beispielsweise in Rumänien Babys durch kontaminiertes Trinkwasser aus Brunnen immer noch an Brechdurchfall und Blausucht erkranken. Weltweit sterben jährlich etwa 12 Millionen Menschen, darunter circa zwei Millionen Kinder, an den Folgen verunreinigten Trinkwassers, die durch sinnvolle sanitäre Einrichtungen und bessere Hygiene verhindert werden könnten. Aber bleiben wir in Europa.


Welche Schlüsse sind daraus für eine europäische Wasser- und Abwasserpolitik zu ziehen?

Erstens: Die EU Politik müsste vor allem für arme Menschen in ländlichen Regionen in nachhaltige, für die Leute bezahlbare und dezentrale (Ab)Wassersysteme investieren. Die politische Realität sieht jedoch anders aus. In den nächsten vier Jahren werden in der EU über 300 Milliarden Euro aus Kohäsionsfonds ausgeben werden. Dabei steht die Lösung eines der größten Probleme armer Leute in ländlichen Gegenden, nämlich das Fehlen einer sicheren sanitären Grundversorgung, hinten an. Auf Grundlage der EU Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser werden allein in Bulgarien und Rumänien mehr als 10 Milliarden Euro für den Bau zentraler Kläranlagen inklusive Kanalnetz in Städten investiert. Die ländliche Bevölkerung bleibt bei der Verbesserung der sanitären Versorgung so gänzlich unberücksichtigt. Dabei würde es "nur" etwa 470 Millionen Euro kosten, einen Bruchteil des 300 Milliarden fassenden Kohäsionsfonds, um jede Familie mit umweltfreundlichen Toiletten zu versorgen und die Basis für menschenwürdigere hygienische Verhältnisse zu schaffen.

Zweitens: Die EU Politik müsste die Wirtschaftskrise als Chance sehen. Für einen Bruchteil des Geldes von riesigen Abwassertechnikanlagen kann in kleine Systeme investiert werden, mit ungleich größerer Effizienz. Auch wenn viele Menschen in den Regionen sanitärer Diaspora ein Wasserklosett als Inbegriff des Fortschritts empfinden, ist die europäische Spültoilette nicht einfach globalisierbar. Dieses System ist vielerorts aus finanzieller und technischer Sicht zu aufwändig. Zudem trägt es zur Wasserknappheit und Wasserverunreinigung bei, weil auch geklärtes Wasser nicht unbelastet ist und vernachlässigt die Wiederverwertung der Nährstoffe aus Abwasser als Dünger. Eine kostengünstige Möglichkeit sanitärer Einrichtungen, die gleichzeitig den ökologischen Wasserkreislauf schließen, stellen umweltfreundliche Trockentrenntoiletten dar. Für 300 bis 600 Euro wurden diese in Gemeinden in Bulgarien und Rumänien inklusive Badezimmer gebaut. Der Nebeneffekt: Diese Trockentrenntoiletten separieren Exkremente (ein Beispiel für Stoffstromtrennung) und nach einer speziellen Hygienisierung werden die Exkremente pathogenfrei und in der Landwirtschaft wiederverwertet. Der Kreislauf der Nährstoffe wird geschlossen.

Drittens: Die EU braucht eine ökologische, wassersparende Abwasserpolitik. Um Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen und zu bewahren, müssen wir nicht nur in ärmeren Ländern offen sein für umweltfreundliche Technologien im Abwasserbereich. Abwasser darf nicht länger als Abfall betrachtet werden, sondern vielmehr als Nährstoffressource und muss dementsprechend nachhaltig aufbereitet werden. Stoffstromtrennende Systeme, Pflanzenkläranlagen oder Abwasserteiche können Alternativen sein. Solche Systeme, die die Stoffströme getrennt behandeln und verwerten, werden schon in Deutschland, in den Niederlanden, Schweden, Finnland und Österreich getestet. Die Vorteile dezentraler Systeme liegen auf der Hand: Mit Trocken- oder wassersparenden Toiletten kann viel Wasser eingespart werden. Wasser wird lokal wieder genutzt zur Förderung des lokalen Klimas und nicht in Flüsse und Meere geleitet. Das verringert die Wasserverschmutzung der Flüsse und ermöglicht es, Nährstoffe aus Abwasser in der Landwirtschaft wieder zu verwenden. Und es sichert sauberes Trinkwasser.

Viertens: Die EU muss das Recht auf sauberes Wasser und sichere private sanitäre Einrichtungen als Menschenrecht betrachten - gerade im Sinne der Frauen und Mädchen. Diese sind in den armen Regionen von der schwierigen Situation anders betroffen als Männer. Jungs gehen auch mal in die Büsche, Mädchen gehen häufig nicht einmal zur Schule, etwa wenn sie menstruieren. Sie brauchen mehr Privatheit in der Toilette und gleichzeitig auch Schutz vor Vergewaltigungen. In ländlichen Regionen muss das Trinkwasser oft von Flüssen und weit entfernten Brunnen geholt werden. Dies ist für Frauen und Mädchen, die in der Regel für die Wasserversorgung da sind, eine anstrengende und zeitraubende Aufgabe - Zeit, die vor allem für die Berufstätigkeit, den Schulbesuch, und die Ausbildung fehlt. Frauen sind es auch, die die durch verschmutztes Trinkwasser erkrankten Familienmitglieder pflegen. Sie sollten deshalb auch eine zentrale Rolle auf der politischen Ebene in wassertechnischen Fragen haben. Die Staatssekretärin des indischen Ministeriums für ländliche Entwicklung bringt es - an die Männer gewandt - in Istanbul auf den Punkt. " Wenn Sie Ihre Frau und Töchter lieben, schenken Sie ihnen keine Pralinen oder Kleidung, schenken Sie ihnen eine Toilette".


Johanna Hausmann ist zuständig für die Pressearbeit bei WECF - Women in Europe for a Common Future, einem Netzwerk aus 100 Umwelt-, Gesundheit und Frauenorganisationen in mehr als 40 europäischen Ländern. WECF setzt sich in Europa u.a. für eine bessere europäische Wasserpolitik ein und unterstützt konkrete Projekte im Bereich Wasser. WECF ist offizieller Partner des UN-Umweltprogramms UNEP. Tel: +49-89-2323938-19

johanna.hausmann(at)wecf.eu
mailto:johanna.hausmann@wecf.eu
www.wecf.eu


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Quelle:
Newsletter zur EU-Umweltpolitik
Nr. 10/09, 26.03.2009
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination, 23.03.2009
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009