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POLITIK/397: Grundwasserschutzverordnung als Torso verabschiedet (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 954 vom 13. September 2010 - 29. Jahrgang

Industrie-Alarmismus beim "Geringfügigkeitschwellenwertkonzept"


Nichts fürchten die "Wasserexperten" der Industrie seit Jahren so sehr wie das "Geringfügigkeitsschwellenkonzept". Das "Geringfügigkeitsschwellenkonzept" soll künftig den "Besorgnisgrundsatz" aus dem alten Wasserhaushaltsgesetz (WHG) im neuen "WHG 2010" umsetzbar gestalten. Nach dem alt hergebrachten "Besorgnisgrundsatz" gilt nämlich, dass man alle Aktivitäten zu unterlassen hat, die allein schon die "Besorgnis" hervorrufen könnten, dass dem Grundwasser ein Schaden zugefügt werden könnte. Im Klartext: Es darf gar nicht dazu kommen, dass beispielsweise aus Industrieanlagen auch nur ein Milligramm eines Schadstoffs ins Grundwasser einsickern könnte. Da der strenge "Besorgnisgrundsatz" von Industrieseite als völlig überzogen eingestuft worden war, hat man versucht, von Seiten der Umweltverwaltungen von Bund und Ländern der Industrie entgegen zu kommen. Statt einer Null-Emission ins Grundwasser soll es künftig Schwellenwerte geben. Erst wenn diese "Geringfügigkeits-Schwellenwerte" (GFS-Werte) überschritten werden, würde ein Verstoß gegen den "Besorgnisgrundsatz" vorliegen. Wer geglaubt hätte, dass mit diesem Entgegenkommen die Industrie besänftigt werden könnte, lag einigermaßen schief. Die sprang nämlich nach Vorlage der Geringfügigkeitsschwellenwerte erst recht im Dreieck und deckte von GABRIEL bis RÖTTGEN alle Umweltminister mit einer bis dahin noch nicht gekannten Protestflut gegen das vermeintlich viel zu strenge Geringfügigkeitsschwellenwert-Konzept ein (s. RUNDBR. 922/2-3, 893/1-3, 557/1).

Ein aktuelles Beispiel für den Alarmismus der Industrie findet sich in der Ausgabe 7-8/2010 des BDI-nahen UMWELTBRIEFS. Dort stuft Dr. JOACHIM SCHABRONATH von Evonik/Ruhrkohle AG (RAG) in einem Gastbeitrag das GFS-Konzept als eine "in die Irre führende Entwicklung" ein. Da er offensichtlich um die Sanierungskosten der zahlreichen Altlasten von Evonik und RAG fürchtet, schreibt SCHABRONATH: "Insbesondere durch eine unmittelbare Anwendung der GFS-Werte als Sanierungszielwerte im Nachsorgebereich sind dabei erhebliche, sachlich nicht gerechtfertigte Verschärfungen zu besorgen." Die Befürchtung werde gestützt durch ein gemeinsames LAWA/LABO-Papier der Bundesländer, in dem es heißt, "dass eine Grundwasserverunreinigung dann vorliege, wenn die GFS-Werte überschritten werden". Mit dieser Feststellung bestehe "die große Gefahr, dass aus einer bloßen Überschreitung eines GFS-Wertes im Grundwasser rechtlich betrachtet ein Sanierungserfordernis hergeleitet wird. Einen solchen Automatismus darf es nicht geben." Es drohe angesichts unqualifizierter Vollzugsbehörden ein "Wildwuchs bei der Anwendung der GFS-Werte". Nachdem der Evonik/RAG-Umweltschutzexperte derart einen Popanz hochgezogen hat, schreibt er ganz am Schluss seines Gastbeitrages, dass in der Begründung zum letzten Entwurf der Grundwasserschutzverordnung die "begrüßenswerte" Klarstellung zu lesen sei, "dass die Schwellenwerte im Wasserrecht keinesfalls automatisch als Sanierungszielwerte herangezogen werden können".

[Richtig ist, dass bei Überschreitung der GFS-Werte eine schädliche Verunreinigung vorliegt, soweit sie nicht auf natürlichen Ursachen beruht. Falsch ist, dass dann eine Sanierung erfolgen muss, davor ist nämlich die Abwägung des Bodenschutzgesetzes vorzunehmen, nach der eine Sanierung angemessen sein muss. Und grottenfalsch ist, dass dann die GFS-Werte als Sanierungszielwerte aufzufassen sind. Kurz: Richtig ist, dass ein blauer Fleck eine gesundheitliche Beeinträchtigung darstellt. Falsch ist, dass deshalb der Arm oder das Bein amputiert werden muss.]


Grundwasserschutzverordnung als Torso verabschiedet

Das Bundeskabinett hat zwischenzeitlich die zuvor genannte Grundwasserschutzverordnung verabschiedet - allerdings nur als Torso: Umgesetzt wurden in einer Kabinettssitzung unter Führung von Guido Westerwelle am 4. August 2010 nur die allernotwendigsten Bestandteile der EG-Grundwasserschutzrichtlinie. Wegen dem Trommelfeuer der Industrie gegen das Geringfügigkeitsschwellenkonzept wurden alle anderen Erfordernisse, die sich u.a. aus dem neuen Wasserhaushaltsgesetz ergeben, zunächst zurückgestellt. Nach der jetzt erfolgten nackten 1:1-Umsetzung der EG-Grundwasserschutzrichtlinie sollen späterhin in einer Artikelverordnung die Grundwasserschutzverordnung und verwandte Verordnungen (beispielsweise die Ersatzbaustoffverordnung) mit dem Geringfügigkeitsschwellenkonzept aufgerüstet werden. Knackpunkt im Entwurf von Teil II der Grundwasserverordnung ist aus der Sicht der Umweltverbände weiterhin, dass die Verordnung die landwirtschaftlichen Einträge an Düngern und Pestiziden ins Grundwasser nicht reglementieren wird. Das diesbezügliche Statement des Bundesumweltministeriums: Die Einträge an Stickstoff- und Phosphorverbindungen müssen über die Düngemittelverordnung und über das sonstige Landwirtschaftsrecht begrenzt werden - aber nicht über die Grundwasserschutzverordnung. Da sind wir weiterhin anderer Auffassung. Nach unserer Auslegung der EG-Grundwasserschutzrichtlinie sind die Mitgliedsstatten geradezu dazu aufgerufen, die diffusen Schadstoffeinträge auch aus dem Landwirtschaftssektor zu begrenzen (siehe Kasten) Die Grundwasserschutzverordnung entspricht damit nicht ein Mal der viel strapazierten 1:1-Umsetzung der Richtlinie.


Wasserwerker: Jeglichen Schadstoffeintrag ins Grundwasser begrenzen!

Nicht nur die Umweltverbände, sondern auch die Verbände der Wasserwirtschaft schütteln den Kopf über die Weigerung des Bundesreaktorministeriums, den landwirtschaftlichen Schadstoffeintrag in der Grundwasserschutzverordnung zu begrenzen. Ähnlich wie der Verband kommunaler Unternehmen hat auch der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft Anfang August 2010 gefordert: "Jegliche Einträge von Schadstoffen, auch diffuse Einträge, müssen zwingend in der neuen Grundwasserverordnung geregelt werden." Der BDEW begründete dieses Anliegen, mit der schlechten Qualität der deutschen "Grundwasserkörper":

"Nach einer ersten Bestandsaufnahme von Bund und Ländern nach der Wasserrahmenrichtlinie werden 53 Prozent der Grundwasserkörper in Deutschland das Ziel des guten Zustandes bis zum Jahr 2015 nicht erreichen. Hauptgrund sind hierfür nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die diffusen Belastungen aus der Landwirtschaft."

Der BDEW weiter: "Eine Grundwasserverordnung, welche keine umfassenden Regelungen zur Minimierung diffuser Einträge beinhaltet, verfehlt aus Sicht der Wasserwirtschaft im BDEW das Verordnungsziel. Deshalb sollte die Begriffsbestimmung aus der EU-Grundwasserrichtlinie eins zu eins auch in die nationale Grundwasserverordnung übernommen werden."


Die Begrenzung landwirtschaftlicher Schadstoffeinträge in der Grundwasserschutzrichtlinie

In den Begriffsdefinitionen nach Art. 2 der EG-Grundwasserschutzrichtlinie heißt es ausdrücklich in Ziffer 4: "'Eintrag von Schadstoffen in das Grundwasser' bezeichnet einen durch menschliche Tätigkeiten bewirkten direkten oder indirekten Eintrag von Schadstoffen in das Grundwasser."

Und in Art. 6 (1) b) der Richtlinie sollen für Schadstoffe, die "nicht als gefährlich" eingestuft sind (dazu zählen beispielsweise Stickstoffdünger), von denen nach Auffassung der Mitgliedsstaaten aber gleichwohl eine "reale oder potenzielle Verschmutzungsgefahr ausgeht, alle erforderlichen Maßnahmen zur Begrenzung von Einträgen in das Grundwasser" getroffen werden. Damit soll sichergestellt werden, "dass diese Einträge nicht zu einer Verschlechterung führen, oder signifikante und anhaltende steigende Trends bei den Konzentrationen von Schadstoffen im Grundwasser bewirken. Diese Maßnahmen tragen zumindest bewährten Praktiken Rechnung, darunter der besten Umweltpraxis und der besten verfügbaren Techniken nach Maßgabe der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften."

Und in Absatz 2 wird im Hinblick auf den diffusen Schadstoffeintrag festgestellt: "(2) Der Eintrag von Schadstoffen aus diffusen Schadstoffquellen, die den chemischen Zustand des Grundwassers beeinflussen, ist, soweit dies technisch möglich ist, zu berücksichtigen."


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 954/2010
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010