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ERZÄHLUNG/0002: Eine Sommernachts-Querele (SB)


Eine Sommernachts-Querele


Nun, bis Tages Wiederkehr, Elfen, schwärmt im Haus umher!

William Shakespeare

Prolog:

"O doch, doch, doch! Aller anderslautenden Beteuerung zum Trotz: Die Welt ist eine Schnupftabakdose in der Westentasche an eines geputzten Advokaten Rock, manchmal auch eine gottgefällige Inschrift auf dem silberbeschlagenen Griff eines alten Priesters Spazierstockes. Zwischen Schlaf und Wachen spannt sich ein Mißverständnis, dazu da, in der Seele des Menschen eine uralte Furcht vergessen zu machen: Daß in den Regionen der Rastlosigkeit nicht nur, was wir gewohnt sind, Träume zu nennen, unterwegs sind. Wir ahnen unseren Irrtum und geben den Ängsten, die unsere trügerische Hoffnung umschleichen, abergläubische Namen oder heißen sie schlicht irrational. Und doch schrecken wir davor zurück, wenn uns ein namenloser Blick aus den Abgründen des kommenden Elends trifft.

In Nächten, wenn ein Mensch im Schlaf sich krümmt und wälzt in seiner Unruh', bis sich die Falten seines Antlitzes kreuz und quer so legen, daß aus dem Gewühle nicht mehr herausguckt als ein Auge und ein Nasenloch, kann es geschehen und ich will's beschwören, daß die nächtliche Luft über dem Schläfer unversehens zu einem gespenstischen Bahnsteig zusammenschmilzt. Und aus der Ferne quillt ein dumpfer Ton hervor, zuerst leise wie das entnervende Klopfen eines Fingers auf einer Tischplatte, das in das Krächzen gequälter Musikinstrumente überspringt und klingt wie die Ankündigung eines noch nicht geschriebenen Menetekels, um sich sodann mit jedem weiteren Verschlingen des Raumes zum ohrenbetäubenden Heranrollen einer Lokomotive auszuwachsen.

Doch nicht über erdverbundene Schienen rauscht das Gefährt, das sich da naht - ein gedankenschneller Flug durch die Lüfte verkürzt die Ankunft seiner geheimnisumwitterten Reise. Obwohl im Wuchs kaum größer als eine Grille speit das Ungetüm dichten gelblichen Dampf in den Mondschein aus, als es jäh die Wolken durchbricht und seine ganze verletzende Abscheulichkeit zum Vorschein kommt. Ein unförmiges Ding, schwarzglänzend wie eine Tinktur der Hölle, ist es geschmiedet aus der Rüstung eines Hirschhornkäfers und in der ganzen Länge überdeckt mit Glühwürmchen, was, wenn der Nachtwind sie nach und nach abschüttelt, einen irrlichternden Schweif hinter sich her zieht; und an seinen hohlen Flanken flattern winzige Fledermausflügel, die sind mit Spinnweben verklebt und spornen den Nachtflug zur Eile an. So jagt die Lok, spitz wie eine Hyänenschnauze, durch den fliehenden Äther hinab auf ihr Ziel.

Auf Höhe der Bahnhofsstation, kaum eine Handbreit über des Schläfers Stirn, kommt die Geisterfahrt zum Stillstand. Sogleich entsteigt dem letzten Waggon ein in schwarzes Tuch gekleideter Mann mit einem Hut aus Silberstreif. In früheren Tagen pflegten Reisende seiner Art weniger kapriziöse Transportmittel zu benutzen. Sie ritten auf wunderlichen Fabelwesen oder sprangen auf Blitze und Winde, tauchten aus bodennahen Schatten auf oder durchquerten die schwindelnden Weiten der Spiegelreiche. Es sind halt moderne Zeiten. Über die Herkunft des Unbekannten schweigen die Wächter der Mysterien, nur daß er von Anbeginn an der Zeiten Dämmerungen aufsucht, hat sich als Relikt in den verstaubten Überlieferungen erhalten. Und wie er nun die Luft hinuntersteigt, als wäre sie eine Treppe aus Stein, und einen Wald von Haaren durchschreitet, dringt er schließlich durch des Schläfers Ohr in einen engen Raum aus Denken, Fühlen, Hoffen, Sehnen, kurzum: in eines Traumes Labyrinth."

*

Irgend etwas hatte Zacharias aus dem zähen Nachdenken, das seine Sinne schlafend umfangen hielt, aufgeschreckt. Er mußte eingenickt sein. Vielleicht hatten ihn Klopfzeichen in den Träumen aufgeweckt. Irritiert schaute er sich nach allen Seiten um, wie um sich zu vergegenwärtigen, wo er sich gerade befand. Der alte Mann strich sich mit seiner knöchernen, wie mit fleckigem Leder überzogenen Hand über die Ohrmuschel, die scheußlich zu jucken angefangen hatte. Als er endlich begriff, daß er in der Wohnstube war, seufzte er schwer auf und ordnete seine Gedanken. Kurz darauf beugte er sich wieder über das mit hellen und dunklen Feldern karierte Brett, das vor seinen Augen auf dem Kirschholztisch im Flackern der vielen Kerzenlichter fast zu tanzen schien.

Eine schwüle Sommernacht lag über dem kleinen Häuschen mit dem strohgedeckten Dach, darin Zacharias für sich alleine saß, während draußen am nachtschwarzen Himmel blinkende Sterne ihr scheues Licht über die sanftgeschwungenen Hügel verstreuten, nahe an einem Waldstück, unweit der Stadt, die an den Ufern eines leise flüsternden Flusses als blasse Silhouette hinter einem aufragenden Gebirge hervorlugte.

An der ihm gegenüberliegenden kargen, schmucklosen Wand zeichneten sich im schwachen Licht der wachsbleichen Kerzen die Konturen seines Körpers ab - ein gebeugter Torso mit einem klobigen, wie aus einem Stück Holz gehauenen Schädel, der auf flachen Schultern ruhte -, seltsam verschmolzen mit umherhuschenden Schemen zum Schatten eines Mannes mit steifem Hut. Komisch, dachte Zacharias, ich trage doch gar keine Kopfbedeckung. In seiner Verwunderung nahm er einen Schluck Tee zu sich und spürte aufs angenehmste, wie sich die Wärme des heißen Getränks über seine Glieder verbreitete. Als er wieder zur Wand hinsah, war der wirre Eindruck auch schon verflogen.

Zacharias spielte Schach, und sein Gegner war jene altvertraute, langsam aus dunklen Stubenwinkeln hervorkriechende Einsamkeit, ein stummes Gespenst ohne Blut und Leben und der einzige Gast, der ihm in den Nächten seine Aufwartung machte, sommers wie winters, im Frühling ebenso wie im windzerzausten Herbst, wenn über die Klippen des weit entfernten Meeres drohgewaltige Stürme ihre schrecklichen Gesänge in den Himmel schleuderten.

Zitternd zuckte Zacharias' Hand vor, umschloß einen Bauern und rückte ihn zwei Felder nach vorne. Seine dünnen Lippen öffneten sich dabei um einen Spaltbreit, daß nicht mehr hindurchschlüpfen konnte als ein paar leisgehauchte Worte, die offenbar lang in ihm in Gärung gelegen hatten, nun aber mit einer ruhevollen Würde und Wohlüberlegtheit, gewissermaßen als Inventar eines alten Menschen, zugleich mit der verbrauchten Luft in den Raum hinausstieben. Zacharias raunte also in die Stille des Zimmers hinein: "Das Leben ist die Bühne eines Traums, der unerweckt in den Hirnwindungen verschimmelt und der Schauspieler harrt."

Dann, im allernächsten Moment, als würde sich ein schweres Tuch über seine Gedanken legen, hatte er bereits vergessen, was er eben noch ausgesprochen, konnte sich nicht einmal mehr erinnern, überhaupt die Lippen zu einem Murmeln bewegt zu haben. Er war nicht senil, keineswegs, obwohl er mit seinem siebzigsten Geburtstag aufgehört hatte, seinem Gedächtnis die Zumutung des Zählens aufzubürden, nur eben arm an Gesellschaft. Beides wird ja oft und tragischerweise miteinander verwechselt.

Sein starrer gefühlloser Blick heftete sich auf die Figur, die er eben gezogen, aus weißem geschliffenen Lavetzstein mit einem zierlichen Elfengesicht, spitzen Ohren, lustigen Augen. In der Hand hielt sie einen Wanderstab, an dessen oberem Ende ein Weidenzweig blühend emporrankte. Alle Figuren auf dem Brett, mit eigener Hand angefertigt, waren seiner Phantasie entsprungen: Drachen, Zauberer, Feengestalten, Krieger mit schweren Rüstungen und Kaufleute, die Dukaten in den Fingern hielten.

Nachdem seine Hand wieder unschlüssig an den Brettrand zurückgekehrt war, fiel Zacharias in ein tiefes Grübeln. Seine Atemzüge rasselten durch den halbdunklen Äther des Raums wie das Echo seines eigenen Schicksals. Im Geiste sann Zacharias über Vergangenes nach, wie er es immer tat, wenn er seinen nächsten Zug bedachte. Er sah Bilder vor sich auftauchen im Sonnenschein glücklicherer Tage, als seine Frau noch lebte. Ja, Käthe war von ihm gegangen, hinweggerafft von einer schweren unheilbaren Krankheit. Die Dame auf dem Brett mit dem weißen Kleid und dem hochgesteckten Haar mit der Silbernadel darin und einem Lächeln auf den Lippen wie von wüstenheißen Sonnengluten trug ihr Gesicht.

Viele Jahre waren seitdem wie Seenebel, die ins Land ziehen und wieder unbemerkt verschwinden, an seiner Seele vorbeigewandert, hatten sein Gedächtnis getrübt und seinen Lebensmut rissig werden lassen. Flüchtig wie Tau, der von der sengenden Glut der Mittagssonne aufgeleckt wird, vergingen auch seine Tage in der Wiederkehr immer gleicher Abläufe. Um nicht gänzlich der Verzagtheit anheimzufallen, hatte es sich Zacharias zur Gewohnheit gemacht, jede Nacht eine Partie gegen sich selbst zu spielen, und er hörte nicht auf, ehe der letzte Zug getan und sein Geisteswerk vollbracht war. Die Geduld, über weite Strecken bei einer Sache zu bleiben, hatte er sich in vielen ungezählten Nächten erworben und zu einem Goldschatz aufgehäuft. Diese Aufgabe verlieh denn auch seinem Leben den notwendigen Halt, die Verrichtungen des Tages durchzustehen, und war doch zu dürftig, um die stillen Seufzer in seiner Brust festzuzurren.

Gleichwohl half ihm das allabendliche Spiel wie eine zauberwirksame Arznei gegen die schleichende Schar von Plagen, die mit dem Älterwerden nicht nur die Geschmeidigkeit der Gelenke rosten ließen, sondern gleichermaßen die Fundamente seines Willens auszuhöhlen drohten. Wehrhaft zu sein gegen den Wundbrand dornenreicher Seelenqualen war sein philosophischer Stolz. Denn Zacharias war ein gebildeter Mann. Er hatte Philologie studiert und später Philosophie gelehrt, als er noch in den Diensten der Universität stand, doch seit Käthes Tod war ihm die Lust vergangen, seine Studenten von den Grundprämissen folgerichtigen Denkens überzeugen zu wollen. Graue Morgennebel schwebten meist schon durch die hochhängenden Zweige des Ahornbaumes vor seinem Haus, wenn er sich von seinem Stuhl erhob und mit vor Schmerz aufheulenden rheumatischen Gliedern zu Bette ging.

Links von ihm, ungefähr zwei Schritte von der Stubentür entfernt, hing über einer hüfthohen Regalwand, die beladen war mit allerlei Büchern und alten Folianten, die er in Antiquariaten über das ganze Land verstreut aufgestöbert hatte, eine Reihe von alten Fotographien, sorgsam eingebettet in golden verzierte Holzrahmen. Hinter dem matten Glas schauten berühmte Schachmeister hervor: Aljechin, Lasker, Nimzowitsch und andere, die er zwar nie persönlich kennengelernt noch mit eigenen Augen gesehen, aber deren Genie ihm stets Bewunderung und höchste Ehrfurcht abgerungen hatte. Wäre sein Leben anders verlaufen, nicht durch frühe Heirat und akademischen Berufsweg derart eingezäumt gewesen, vielleicht hätte er es über den Novizenstand und gelegentliche Schachabende mit Freunden hinaus zu einem wackeren Ritter der 64 Felder gebracht. An Leidenschaft hat es ihm nie gemangelt.

Im Herzen hegte er ein besonderes Kleinod, unvergeßlich wie ein Segensspruch und schöner als jeder Regenbogen. Freude durchströmte stets sein altes Blut, wenn er in einsamen Stunden daran zurückdachte, daß er mit dem begnadeten Michael Tal einmal in einer Simultanpartie die Klingen gekreuzt hatte. Für den Rigaer Zauberer war er sicherlich nicht mehr gewesen als ein Gesicht unter vielen, doch ihm schoß seinerzeit der Puls in die Höhe, seine Nerven vibrierten wie gespannte Drahtseile und unter der Erregtheit des Treffens schien sein Brustkorb fast zu zersprengen. Daß er sang- und klanglos unterging wie ein Boot auf dem offenen Meer, obgleich er bis zuletzt die Hoffnung hochhielt, dem Fehdehandschuh einigermaßen gerecht werden zu können, vielleicht gar ein Remis vom Zufall zu stiebitzen, um es zum ewigen Angedenken in seiner Seele zu hüten, hatte nicht den Abdruck der Entmutigung in seinem Gedächtnis hinterlassen. Ganz im Gegenteil: Dem hohen Geist dieses kettenrauchenden und Spirituosen aller Art verfallenen Weltmeisters ein paar Momente der Aufmerksamkeit abgetrotzt zu haben, rechnete er sich als persönliches Verdienst an.

Ein Geräusch riß Zacharias aus den umtriebigen Gedanken. Jetzt, wo er die Ohren spitzte und weit in den Raum hineinhorchte, glaubte er das Schleichen samtener Pfoten vernommen zu haben. Hatte etwa eine streunernde Katze den Weg ins Haus gefunden? Nein, das war unmöglich. Er hatte die Türen eigenhändig verschlossen, wie er es immer tat, bevor er sich ans Brett setzte. Oder tropfte wieder einmal der Wasserhahn im Badezimmer? In sein Bewußtsein trat ein überzeugendes Bild: Der Klempner hatte erst vor kurzem das Gewinde repariert. Wenn er noch einmal die zerstückelte Erinnerung, sei es leises Pochen, widerborstiges Kratzen oder was es auch immer gewesen sein mochte, in sich wachrief und aus den halbvergessenen Überresten in seinem Kopf ein ungefähres Stimmungsbild auferstehen ließ, ja, es war nicht zu leugnen, dann hatte das Geräusch tatsächlich etwas von der Vertrautheit eines Flüsterns an sich gehabt.

Bei diesem verschrobenen Gedanken mußte Zacharias innerlich lächeln: Daran, daß Schatten schwatzten, indem sie die Luft zu Worten gerinnen ließen, konnte nur glauben, sinnierte er, wer solch ein schwindköpfiger Narr und Einsiedler war wie er. Da streifte sein Blick plötzlich den schweren Wandspiegel über der wurmstichigen Kommode. Zacharias stockte der Atem und Runzeln traten auf seine Stirn. Auf dem Glas schien ein grüner See zu schimmern, als hätte der Spiegel vom Opalglanz des in die Stube hineinspähenden Mondes getrunken.

Auf Zacharias Mienenspiel trat eine Gebärde, die im entferntesten nicht zu enträtseln war und die ganze Spannweite von Zorn bis Erstaunen ausdrücken konnte, ein Antlitz, mehr Larve als ein Abbild von Gedanken, vielleicht auch nur einer zufälligen Laune entsprang, daß er in dem Moment von Dingen träumte, die ihre Bedeutung längst verloren hatten in der realen Welt und so zwischen Schlaf und Erwachen herumgeisterten. Durch Zacharias ging ein Ruck, dann hatte er seine alte Besonnenheit zurückerlangt und konzentrierte sich wieder auf sein Spiel.

Mechanisch fuhr seine Hand nach vorne, um einen schwarzen Bauern zu ergreifen, als plötzlich ein feines Schwirren in der Luft seine Aufmerksamkeit bannte. Gehetzt fuhren seine Augen bald hierhin, bald dorthin, um die Ursache für die Störung ausfindig zu machen, aber seine Blicke kehrten ohne Beute und Wissen zurück. Er kratzte sich verlegen am Kinn, grunzte und wollte erneut nach einer Figur greifen, als sich eine Fliege mit zartem Wuchs und grauem Fell, aber aufdringlich surrendem Ton mitten auf das Brett setzte. Dort verharrte sie ganz regungslos und glich einem schmutzigen Fleck, der unbedingt entfernt werden mußte, denn Zacharias haßte Unordnung auf dem Schachbrett wie die Hölle selbst. Fast schien es, als würde ihn das freche Insekt unentwegt anglotzen und zu einer bestimmten Reaktion verleiten wollen.

Da sich der kleine Störenfried so gar nicht regte und auch sonst keine Anstalten machte, sich infolge seines Verschwindens für die Unterbrechung der Partie zu entschuldigen, dachte Zacharias bei sich, nun gut, dann setze ich den schwarzen Bauern eben auf das Feld mit der Fliege. Ohnehin war ihm der ursprüngliche Zug, den er ziehen wollte, inzwischen längst entfallen. Die Fliege flog, als sich die kleine Elfengestalt ihr näherte, aufgeregt davon. Zacharias lächelte versonnen ob seines Sieges über die dreiste Stubenfliege und grübelte dann angestrengt über seinen nächsten Zug nach.

Ein mächtiger Reiz und Magnetismus ging von diesem Spiel mit sich selbst aus. Nicht nur die quälend lange Nacht wurde so aufs sinnreichste verkürzt, die ohnehin keinen geruhsamen Schlaf in seine Augen brachte, es hielt zudem seinen Geist jung und beweglich, verlieh seinen Gedanken Schärfe und seinem Gemüt eine innere Zufriedenheit in der Schwebe der Selbstvergessenheit. In diesem Refugium der Ordnung verblaßte der Lärm der Welt hinter Nebeln der Abgeschiedenheit. Von solcher Sinnesart waren auch Schachspieler im Turnier und Wettkampf: Ein Mann im Gorillakostüm könnte durch die Gänge zwischen den Tischen herumtollen und sich wild auf die haarige Brust trommeln, und doch würde er nicht die geringste Aufmerksamkeit erregen. Vertieft in die eigenen Gedanken hörten und sahen die Schachjünger nichts, weil für sie außerhalb der grübelnden Stirn schlichtweg keine Welt existierte.

Zacharias hatte sich entschieden. Der Springer in Gestalt eines Drachen hüpfte zwei Reihen vor und plazierte sich rechts vom weißen König. Das Drachenmaul spie eine winzige rötliche Flamme aus. Er liebte diese Figur ganz besonders. Obwohl Zacharias natürlich stets im voraus wußte, welchen Gegenzug die schwarze Seite als nächstes machen würde, munterte ihn doch die Ergötzlichkeit auf, so zu tun, als wüßte er es nicht, und rieb sich, sobald Schwarz zog, kindlich vergnügt und mit gespielter Verblüffung am Kinn und hauchte "Soso!"

Daß er mit diesem Mummenschanz den Faktor der Herausforderung untergrub, der einem geistigen Kampf erst die außerplanliche Würze und drangvolle Motivation verlieh, bekümmerte ihn keinesfalls. Solange er das Moment einer essentiellen Störung von dem, was er tat und dachte, fernhielt, fiel nie der düstere Vorhang einer Verärgerung über sein hageres Gesicht. Nie beschlich ihn Trauer oder Wut, in dieser Welt des Gleichklangs aller Gefühle tauchte die eklige Fratze einer noch so kleinsten Verstimmung einfach nicht auf. Auch verirrten sich in seine gewohnte Handlungsstrenge niemals Risse, die, wie er allen Ernstes befürchtete, unweigerlich zu einer Querele mit kapitablen Konsequenzen führen mußten. Er gewann und verlor, war aber stets Herr im eigenen Hause. Das Spiel blieb von Anfang bis Ende im Lot seines eigenen unerschütterlichen Denkens, fest wie eine Planetenbahn.

Wie er so über den Zug für die Gegenseite nachsann, stürzte die Fliege plötzlich erneut aus dem Halbdunkel des Raumes herab und landete auf einem schwarzen Springer. Putzmunter krabbelte sie über die Kontur der Figur, als müßte sie ihre Identität erst ertasten. Dann, nach kurzem Besinnen, flog sie absichtvoll, wie es schien, von dort auf ein freistehendes Feld auf dem Brett herunter.

"Hä, hä", murrte der alte Zacharias, "will denn das kleine, dumme Geschöpf in seiner Launenhaftigkeit etwa Schach mit mir spielen? Nun gut, ich werde also den Springer setzen. Es kostet mich weniger als ein Lächeln."

Die Fliege blinzelte mit ihren großen Facettenaugen und schwirrte auf den Brettrand, wo sie sich mit ihren feinen Fühlern ausgiebig über die Kopfhaare strich. Nun geschah etwas Seltsames. Immer wenn Zacharias einen Zug für die weißen Steine ausführte, hob die Fliege von ihrem Platz ab, landete auf einer Figur und dann auf ein freies Feld. Was zunächst wie stolpernder Zufall wirkte, wie eine unabsichtliche Bewegung ohne tieferen Sinn, nahm auf dem mattglänzenden Brett tatsächlich die Form einer zwar skurrilen, aber nichtsdestotrotz irgendwie durchdachten Schachpartie an. All seine Züge wurden von diesem Getier mit solcher Geistesschärfe erwidert, daß Zacharias zunehmend ins Staunen und Straucheln geriet. "Glaubst du etwa, daß deine Züge meine Stirn altern lassen?" rief er aus.

Sichtlich erregt ob dieser Wunderlichkeit, hielt Zacharias inne und musterte die Fliege nun mit argwöhnischem Blick. Ein seltsamer Widerwille regte sich in ihm. Er konnte und wollte nicht glauben, daß hinter dem graubepelzten Insektenkopf ein produktiver Verstand arbeitete, der imstande sein sollte, eine Schachpartie mit der erforderlichen strategischen Disziplin zu meistern. Eine andere, dienlichere Erklärung mußte her. Zacharias spitzte die Lippen und sagte, sich selber über den Einfall wundernd, also zur Fliege: "Bist du zuletzt gar ein reinkarnierter Schachmeister und willst mich zum Narren halten!"

Die Fliege war offensichtlich eingeschüchtert, denn sie verharrte auf ihrem Platz, obwohl sie eigentlich am Zuge gewesen wäre, und machte überhaupt einen sehr betretenen Eindruck. Zacharias grinste hämisch. "Meister Fliegenpelz, die Stellung geht wohl über deinen mickrigen Verstand, wie?"

Just in diesem Augenblick plumpste von der Zimmerdecke etwas winzig Zusammengeballtes herab auf das Brett, schwarz und rund und mit kleinen borstigen Fortsätzen, und plötzlich stachen aus der Kugel acht lange beharrte Beinchen hervor - ein Spinnentier. Langsam sich aufrichtend kroch die Spinne zwischen den Figuren zielstrebig zum schwarzen Läufer hin, kletterte hinauf und sponn von dort oben einen Faden herunter auf ein leeres Feld. Mit einer unbeschreiblichen Grazie, die ein gewisses Frohlocken zum Ausdruck brachte, so schien es zumindest Zacharias, hangelte sich das Spinnenwesen dann am Silberfaden herunter und verschwand hurtig aus dem Lichtkreis der Kerzen in die rettende Schwärze jenseits des Tisches. Offenbar hatte die Spinne nicht die Absicht, mehr als ebendiesen Zug zu verraten. Vielleicht fürchtete sie aber auch die zuschlagende Hand des Menschen.

Zacharias betrachtete voller Verwunderung den Spinnenfaden, der die Koordinaten für den nächsten Zug markierte. "Was du erdacht an Schlichen, haariger Wicht, nie wird es auferstehen, den Mond zu grüßen in dieser Nacht. Ein Spinnenbein setzt mich nicht Matt. Verkriech' dich, wo du willst, Geselle dunkler Zimmernischen, ich werde dich im eigenen Netz zappeln lassen!"

Erschöpft von seinem Wutausbruch, der die Grenzen seiner wertgeschätzten Gelassenheit wund rieb, blickte er ratlos zum Fenster hinaus auf den silbernen Sommernachtsmond, der, das runde Kinn auf weichen Wolken aufgestützt, das seltsame Spiel in der Stube beobachtete und Zacharias' maßlose Verblüffung mit einem schelmischen Grinsen bedachte. Verärgert über diesen unverhohlenen Spott wandte Zacharias seine Augen vom Nachtkobold ab und führte schließlich voller Verdrossenheit den Spinnenzug aus. "Ich werde mich doch nicht von Fliege und Spinne besiegen lassen", grummelte er vor sich hin und starrte verbissen auf die Figuren. "Alles nur Zufall, sonst nichts! Für diesen Bart braucht man keinen Barbier."

Schließlich machte er seinen Zug und war doch insgeheim ein wenig traurig über das Verschwinden der Fliege, die das Weite gesucht hatte, und der Spinne, der die Nähe zum Menschen etwas unheimlich war. Durch das halboffene Westfenster drang mit einemmal ein feiner Luftzug, der Zacharias den Kopf heben ließ, und er sah, wie die zum Fensterrand hochragenden Zweige des Pfaffenhuts leise zitterten. Mit dem Windhauch schlich sich auch der zitronensaure Geruch der Nachtkerzen ins Zimmer, Geschöpfe von unverwüstlicher Lebensgier und darin verwandt mit verhärmten alten Jungfern, daß sie selbst auf der Krume ärmster Böden, die anderen Pflanzen keinen Trost noch ein Gedeihen schenkten, wachsen konnten. Zarter Blütenduft legte sich auf die Zimmermöbel und vom Alter verschlissenen Tapeten, auf Gipsfiguren, Vasen aus Bleikristall und andere seltene Sammlerstücke, die er auf seinen Reisen oder auf Trödelmärkten früher einmal erstanden hatte, die nun jedoch, stumm wie der Mund von Marionetten, nicht einmal mehr in Erinnerungen zu ihm sprachen. Die Rosenwange freudvoller Tage war schon lange dahingewelkt.

Als die Vorhänge sich bauschten, schüttelte Zacharias den Kopf und dachte bei sich: Der Wind vertreibt meine Gedanken, ich sollte das Fenster schließen. Ehe er seinen Vorsatz umsetzen konnte, kam ihm jedoch eine Erinnerung in die Quere. Wehmütig dachte er daran, wie sehr Käthe den Garten geliebt hatte und daß sie, lebte sie noch, ihn wohl ausschimpfen würde, weil er alles hatte verwildern lassen. Während er so in Gedanken schwelgte, erhielt Zacharias plötzlich von der Seite einen Stups. Benno, sein alter, hüftlahmer Bernadinerhund, hatte sich hinter dem Ofen aufgerafft und blickte nun mit treuseligen Hundeaugen zu seinem Herrchen auf.

"Was willst du denn, Benno, hast dich doch früher nie für mein Schachspiel interessiert?"

Benno zog die Lippen zu einem langen Gähnen zurück, warf dann den Kopf in den Nacken und die Schnauze über den Tischrand, und nachdem sein glasiger Blick die Figuren auf dem Brett lange und gründlich studiert hatte, schob er mit feuchter Nase den schwarzen Turm um zwei Felder nach vorne.

"Jetzt reicht es aber!" brummte Zacharias. "Ab ins Körbchen, aber dalli! Das wird ja immer bunter, selbst mein eigener Hund verbündet sich mit der Verräterbrut. Ha! Den Turm hast du gesetzt. Was macht das schon! Dann schlage ich ihn eben mit meinem Läufer!"

Benno ließ den Kopf traurig hängen und trottete davon. Insgeheim dachte er bei sich, was sind die Menschen doch für eine selbstgefällige Art von Lebewesen.

Zacharias aber war auf dem Höhepunkt seines Triumphes. Durch seine Adern rauschte das Blut so heftig wie die Blätter eines Erlenbaums im Sturme. Hochaufgerichteten Hauptes, aus fiebrigen Augen, in denen die Freude höchster Siegesgewißheit in hellen Flammen aufglänzte, stieß sein kühner Adlerblick wie der eines admirablen Feldherrn der Geschichte auf das Schlachtfeld herab, darin die unausrottbaren Zeichen seines Ehrendünkels eingebrannt waren mit der Weißglut menschlichen Überlegenheitsgefühls.

Zacharias erhob sich würdevoll und stammelte hervor: "Nie wird es geschehen, daß Spatzen über Adler spotten, und mag auch der Rabe heiser krächzen und sich in Orakeln üben, wenn Stürme heranfegen, versteckt er sein Gefieder doch im Geäst des Baumes, der den Winden trotzt." Dieser Abend erfüllte wieder einmal all seine Erwartungen. Er war zufrieden mit sich selbst und dachte schon gar nicht mehr an den seltsam irritierenden Spuk, als ein Glucksen und Blubbern an seine Ohren drang.

Die Geräusche wiederholten sich. Sie kamen von seiner Rechten. Dorthin drehte er nun den Kopf und sah, wie sein Goldfisch Tobias den Mund gegen die Wasseroberfläche legte und schmatzende Laute hervorpreßte.

Und es hörte sich an - - - wie - - - Zacharias schwindelte - - - wie: "Matt in - - - sieben Zügen!"

Zacharias sank hilflos wie eine an den Fäden durchtrennte Marionette hernieder auf den Stuhl. Tobias indes wendete ihm mit lässiger Flossenbewegung den Rücken zu und schwamm davon. Als Goldfisch war er über derlei Nichtigkeiten lange schon erhaben.

Draußen klopfte der Wind gegen das klapprige Scheunentor, die Sterne fielen verlöschend vom Himmel. Die Nacht beugte sich dem rauhen Tag. Schon brach das Morgenlicht in langen gelben Streifen durch den Tau der grauen Dämmerung. Langsam, aber unwiderruflich verwehte die zauberische Nacht.

Und Zacharias? Nun, das Geheimnis des ominösen siebenzügigen Mattweges auf dem Brett zu enträtseln, verschlang die kommenden Tage und Wochen. Je mehr er sich mühte, desto größer klaffte die Lücke zwischen Erfolg und Mißlingen. Nur die Furchen, die stilles Wehklagen hervorrief, gruben sich tiefer und tiefer in seine Stirn hinein. Verbittert von der Vorstellung, niedere Kreaturen, weit unter Adams Stammbaum, könnten das Siegel der Urteilskraft in ihren Besitz gebracht, gar durch bloße Beobachtung die Regeln des Königlichen Spiels entdeckt und über jede Nachahmung hinaus eine neue Stufe erklommen haben in der Weihe zur Meisterschaft, bereitete ihm fast körperliches Unbehagen. So verbrachte er die Zeit zwischen Morgenröte und Sternenlicht fortan mit starrem Tagesgrübeln und fliehendem Nachtgeflüster. Ein Kieselstein auf dem Wege ärgerte ihn, zu weit, um ihn zu erreichen, und doch nah genug, um seinen Schritt zu hemmen.

Oft sprach er verworrenes Zeug, mit halbem Sinn nur und umwölkt vom Schatten einer tiefen Furcht, die gespenstergleich seine Gedanken plünderte. Zuweilen, wenn Launen seine Geduld beugten, schlich er auf die andere Tischseite und warf lange gequälte Blicke auf die Stellung von den schwarzen Steinen aus, ob das Auge im Vertauschen der Richtung ihm vielleicht die erbarmungswürdige Lösung brächte. Vor seinen Blicken begann sich das Brett in rasender Hast wie ein Kreisel auf einem spitzen Punkt zu drehen. Die Figuren wirbelten umher, wechselten die Plätze in atemberaubender Eile zu neuen Formationen und koboldhaften Tänzen. Doch die Riegel im Raum unendlicher Rätsel blieben verschlossen. Was Zacharias auch an Zugfolgen im Kopf ersann, des Orakels Geheimnis schwieg, der gordische Knoten hielt seinem Schwertstreich stand.

Wie eine Zecke warf sich die Zahl Sieben auf Zacharias und saugte an seinem Blut, beherrschte sein Denken mit solcher Wucht und ungezügelten Wahnhaftigkeit, daß er darüber in eine Geistesschwäche verfiel. Von den Wänden grinste stumm ein boshaftes Lächeln zu ihm zurück, die Zimmerdecke knackte laut und geräuschvoll ihn verhöhnend, die Fensterscheiben klirrten vor kalter Spottlust und aus den Schränken drang ein gehässiges Poltern. Nur die alten Meister auf den Bildern verharrten im totähnlichen Schweigen.

Und wenn, fragte sich Zacharias eines Tages nahe der Erschöpfung, und alle Zweifel standen Spalier, ihm die Richtung eines ungeheuerlichen Verdachts zu weisen, - - - wenn der Goldfisch nun gelogen hätte, und überhaupt alles, was geschah in jener Nacht, bloß eine versponnene Mondscheingaukelei gewesen wäre, ein Scherz der späten Stunde und versiegelt in einem Traum. Diese Erklärung, mit der sich anzufreunden ihm leicht fiel, je ärger der Wurm der Selbstverleugnung an seinem Leibe fraß, schien Zacharias plötzlich über allen Anschein hinweg ein zureichender Grund dafür zu sein, daß er das Matt partout nicht fand.

Von dieser Stunde an verscheuchte Zacharias wie ein vom Jagdtrieb besessener Zobel alle Fliegen aus seinem Haus und ließ keiner Spinne mehr am Fenster oder versteckt an der Zimmerdecke und unter dem Bett Netze weben, der Goldfisch wanderte in eine dunkle vereinsamte Ecke der Stube und mit Benno, seinem geliebten Hund, verkehrte er nur mehr als mürrisches Herrchen. Die Stellung auf dem Brett unterdessen, die ihm so viel Verdruß und Verzweiflung bereitet hatte, blieb auf alle Zeiten unangetastet unter einer dicken Schicht Staub. Bedauerlich, denn die Zaubernacht hätte Zacharias ansonsten lehren können, daß der Sieger im Spiel den Vertrag nur schließt mit dem Wucherer Vergeblichkeit. Einmal in die Nichtigkeit verirrt, versteht der Mensch zuletzt nur die Hand, die ihn schlägt, und den Geist, der ihn verbrennt.

Als eines Abends über dem Kiesweg die Anhöhe hinauf und eine Reihe von wirrbärtigen Eiben entlang eine herumstreichende Katze bis zur verschlossenen Eingangstür schlich und ihren struppigen Schwanz siebenmal im Kreise am Türpfosten rieb, ertönte im Inneren des Hauses ein freudiges Glucksen, kurz darauf heftete sich eine Fliege mutwillig ans Fensterglas und an einem silbernen Faden vom Briefkasten herab schaukelte eine winzige Spinne im Wind. Benno aber, indem er die Schnauze aus seinem Körbchen hob, bellte zufrieden den Mond an.

Epilog:

Die Muschel sei, so sagt man, das Ohr des Ozeans. Man hört in dem Gehäuse ein Rauschen wie vom Meer, wenn die Wellen gegen das steinige Ufer brechen. Im Verwechseln sind Menschen Meister. Die Gelehrsamkeit aller Zeiten verkündet auch, Klugheit wäre, was zwischen falschem Schein und verborgenem Sein sich überdenkt und mit den Diebesgriffen der Vernunft das Richtige wählt zum Gedeihen des eigenen Fortbestands.

So gewiß, wie Geisterworte nicht in ein Menschenohr aus Fleisch und Blut dringen: In dieser Geschichte tauchen Feen, Trolle, zauberkundige Wesen oder die Ausdünstungen eines irregeleiteten Glaubens an einbalsamierte Mächte, die Orte heimsuchen und Menschen vom rechten Pfad weg in schweflige Sümpfe locken, zu keinem Zeitpunkt auf. Nur der Winzling, der auf den Namen Querele hört, offenbart darin sein schelmenhaftes Antlitz in der Schminke einer tolldreisten Phantasie.

War's erzählte Mär oder Blendwerk aus dem Gleisnervolk, wo Worte Schatten hegen und der Wahrheit Blöße Trug gebiert, daß eine Spinne Netze webt, nicht nahrhafte Beute, wohl aber fliehende Menschengedanken einzufangen, daß einer Fliege unverschämter Flug Strategien streut in das Gedränge vorwitziger Pläne, ein Hund Manöver voll Wagemut ersinnt, die einem Kriegsherrn des Neides kränkliche Farbe auf die Wangen treiben, und zuletzt ein Flossentier zum Verkünder wird einer Prophetie von Mattzügen? Wer rühmt da wen? Ein Mensch spielt Schach und Tiere tun's ihm nach, das wär', als blühten Schatten im Sonnenlicht oder daß der tödliche Kuß eines Skorpions Tempel im Wüstensand erbaute. Was Zacharias in Zauberbanden hielt, der ganze Hergang um einen Sinn und Lärm geflochtener Ereignisse, kaum ersprießlicher als ein Zwiegespräch in einem müden Hirn, das schlafend in einen Traum versinkt und Kurs hält auf den Lethefluß, war, daß Zacharias sich daheim wähnte in den eigenen vier Wänden seines Verstandes. Ihn peinigte der Störung verquere Streitbarkeit.

Am Rand der Weisheit gähnt ein Loch bis tief hinab zum Mittelpunkt, wo, wie es heißt, die Speichen zusammentreffen des schmetternden Weltenrads, das infolge seiner Drehungen ein feuchtes Staubkorn durch des Weltalls Äther treibt zum Erdenlauf um die Sonne. Eine Reise, die nur einen kosmischen Augenblick währt. Dem Untergang geweiht sind auch seine Gefährten - von den Feuerstürmen auf der Venus bis zu Uranus dunklem steinernem Auge. Einsame Kometen durchstreifen die Finsternis auf ihrem unheilvollen Flug ins Nichts. Was sind sie anderes als Trümmer ungeahnter Vernichtungen. Vom nahen bis zum entferntesten Punkt verlängert Hitze den Kältetod, wenn Sterne unter dem verzehrenden Brand von Jahrmillionen ihre Gluthüllen zerreißen und mit ihrer Asche den Friedhof eines wirbelnden Universums bedecken. So spielt man Schach mit Fliehkräften.

Die Zukunft des Menschen ist verwoben in einen sterbenden Traum. Wo Abgründe lächeln und Schwefeldämpfe durch Erdritzen ans Tageslicht steigen, wo die atembare Luft schwanger geht mit giftigen Gasen, Wolken brüllende Fluten auf Erdschollen herabregnen lassen und das Meer aus seinem angestammten Bette springt, wo im Widerstreit der Elemente Städte wie Eierschalen brechen, dort, umschlungen von tiefer Dämmerung, faucht ein Toben wie von tausend Teufeln. Wer Ohren hat, hört Typhons Wiegenlied, das übertäubt den Schmerz verblichener Zeiten und will erwachen zu neuer Zerstörungswut.

17. März 2021


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