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BERICHT/065: Reise durch Ermland und Masuren - Teil 1 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 142 - Februar/März 08
Die Berliner Umweltzeitung / RABE RALF UNTERWEGS

Durch Ermland und Masuren
Natur und Kultur - Menschen und Mentalitäten

Von Christoph Vinz


Im Sommer 2005 hatte der Autor Gelegenheit, eine zweiwöchige Reise durch die polnische Woiwodschaft Ermland-Masuren zu unternehmen, seit der Gebietsreform von 1999 eine von 16 Woiwodschaften im Nordosten der Rpublik. Hauptstadt von Ermland-Masuren ist die Stadt Olsztyn (Allenstein). Das Verwaltungsgebiet umfasst einen Teil des früheren südlichen Ostpreußen und grenzt an Litauen und Russland (Königsberger Gebiet).

Für diese Zeit gab es eine gemütliche Unterkunft mitten auf dem Lande, in der Nähe der Kleinstadt Lukta im Landkreis Ostroda (Osterode). Die Ferienwohnung befand sich in einem kleinen Dorf, dessen Straßen nicht, alle gepflastert waren und das noch nicht mal über eine Kirche verfügte.

Deutsch versteht und spricht hier nur noch ein kleiner Teil der alten Generation, während junge Leute vorwiegend Englisch lernen. So war der Einkauf im örtlichen "Skleb" (vergleichbar dem Dorfkonsum) nur mit dem Wörterbuch und viel gutem Willen zu bewerkstelligen.

Innerhalb von 14 Tagen wurden rund 5.000 Kilometer bewältigt, eine Strecke, die durch eine bisher weitgehend unbekannte Landschaft führte. Der Autor erlebte überall eine große Ruhe und Gemächlichkeit und hatte häufig das Gefühl, "aus der Zeit zu fallen". Abwechselnd Äcker und Wiesen, kleinere und größere Seen sowie ausgedehnte Laub- und Nadelwälder. Und inmitten dieser Idylle winzige Dörfer oder einsame Gehöfte. Landstraßen, von schönen alten Bäumen alleenartig gesäumt, zwangen zu beschaulicher Fahrweise. Auf Straßen und Äckern die übliche Erntetechnik und noch relativ viele Pferde. Manche "Straßen", eher Sandwege, sind auch weniger für moderne Fahrzeuge geeignet. Ein charakteristisches Merkmal der Gegend war, dass jedes Dorf "seine" Störche hatte! Viele Nester befanden sich auf den örtlichen Stromversorgungsmasten, aber auch auf Haus- und Scheunendächern. Es gab Zeiten, wo die Nester leer oder nur vom Nachwuchs belebt waren. Die Alten flogen über die Wiesen oder standen fast unbeweglich auf einer Weide. Zu anderen Zeiten weilten sie alle "zu Hause", die jungen und die alten Störche, und schauen mit ernster Miene herab auf den fotografierenden Besucher zu ihren Füßen.

Die Bevölkerung ländlich schlicht, anspruchslos, aber sehr freundlich, ähnlich wie in Brandenburger oder Mecklenburger Dörfern. Dominierend sind noch immer viele kleine Landwirtschaften. Man erlebt im dörflichen Raum eine Menge Kinder und oft mehrere Generationen unter einem Dach. Noch! Die Jugend zieht es auch hier in die Städte - ein ganz internationaler Trend.


Nach Allenstein, Osterode und Eiblag

Die ländliche Bausubstanz zeigte wie überall Aufbau und Wiederherstellung neben Armut und Verfall. Der Hausbau erfolgt in diesem Land ganz offensichtlich je nach Finanzkraft manchmal in jahrelangen Etappen - ein Unterschied zu deutschen Verhältnissen, wo immer gleich alles in einem Zuge fertig gestellt werden muss.

Auch hier die gleichen Probleme wie in allen Ländern des früheren Ostblocks: die "Business-Men" kaufen große Flächen, auf denen Neubauten entstehen, oder aber alte Höfe, die aufwendig restauriert und umgebaut werden.

Eins der ersten Ziele war die Hauptstadt der Woiwodschaft, Olsztyn (Allenstein), mit ihren 175.000 Einwohnern. Die Allensteiner Burg war von 1516-20 "Dienstsitz" von Nikolaus Kopernikus, der hier als ermländischer Domherr residierte. Für historisch Interessierte: Neben der früheren Ordensburg existieren noch Reste der Stadtmauer mit dem Hohen Tor, das Alte Rathaus und die St.-Jakobus-Kirche. Allenstein ist heute Sitz des Erzbistums Ermland, 1999 wurde hier die Ermland-Masuren-Universität gegründet.

Natürlich gibt es auch im Nordosten Polens die plötzlich reich Gewordenen, die ihr Kapital u.a. in neue Wohnsiedlungen anlegen.

Am Rande von Allenstein konnte der Autor mit einigem Schaudern ein solches "Millionenviertel" bestaunen. Eine protzig wirkende Kolonie türmchenbestückter Scheußlichkeiten, errichtet nach einem Hollywood-Vorbild, das alle Stilrichtungen zusammenrührt. Gebäude mit "echten" Säulen und ebenso "echt schmiedeeisernen" Lampen und Toren. Wahrscheinlich mit teurer Sicherheitstechnik hochgerüstet und von eigens angemieteten Security-Männern bewacht... Steingewordener Beweis, dass "Reichtum über Nacht" nicht unbedingt mit Lebensart und Kultur synchron läuft. Ein Phänomen der Neureichen aller Zeiten. Wir in Berlin besitzen noch eindrucksvolle Zeugnisse der wilheminischen Epoche, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung im Grunewald oder am Wannsee ähnlich protzig auf ihr Umfeld gewirkt haben mögen. Ob die Villen der heutigen "Global Player" allerdings noch in hundert Jahren existieren, gar unter Denkmalschutz gestellt sein werden, wagt der Autor zu bezweifeln.

Hier, auf dem Lande, war zum Zeitpunkt der Reise die Wasserversorgung und -entsorgung noch auf dem technischem Niveau der DDR. Man hatte seit Generationen seinen eigenen Brunnen und leitete die Abwässer in eine Sickergrube, einen vorbeiplätschernden Bach oder den nächstgelegenen See. So war noch 2005 manches Gewässer dieser schönen Landschaft in seinem ökologischen Gleichgewicht mehr oder weniger stark bedroht. Entsprechende Schutzmaßnahmen, auch mit EU-Hilfe, waren damals schon eingeleitet worden.

Vergleichbares erlebte der Autor mit dem Problem der Abfallentsorgung, die im ländlichen Raum traditionell etwas lax gehandhabt wird. Während in früheren Zeiten die Abfälle weitgehend kompostierbar waren oder relativ gefahrlos verbrannt werden konnten, zwingt der immer mehr anwachsende Müll aus Plastverpackungen und Einwegflaschen zu neuen Formen der Entsorgung, auch im ländlichen Bereich. Dass das "ökologische Bewusstsein" hier wie überall auf der Welt sehr unterschiedlich ist, konnte der Autor an Dorf- und Waldrändern und an den Uferzonen herrlicher Seen mehr oder weniger eindrucksvoll beobachten.

Eine weitere Exkursion führte in die etwa 30 Kilometer entfernte Landkreisstadt Ostroda, früher Osterode. Die Stadt mit ihren über 33.000 Einwohnern liegt malerisch am Ostrand der Eylauer Seenplatte am Fluß Drewenz, der in den gleichnamigen See mündet. Ostroda ist seit 1844 Ausgangspunkt des Oberländischen Kanals, der die Stadt mit der Ostsee verbindet. Als Touristenattraktion gilt heute eine Schiffsreise auf dem Kanal in Richtung Elblag (Elbing) mit seinen einmaligen technischen, Anlagen aus dem 19. Jahrhundert, die noch immer fehlerfrei funktionieren. Um Höhenunterschiede bis zu 100 Meter zu überwinden, werden die Schiffe auf speziellen Schienenfahrzeugen auf insgesamt fünf geneigten Ebenen praktisch mit Wasserkraft über Land gezogen.

Auch Ostroda hat eine wechselvolle Geschichte: 1807 übernachtete hier der preußische König Friedrich Wilhelm II. mit der vom Volk geliebten Königin Luise auf der Flucht nach Königsberg. Napoleon bezog kurzzeitig Quartier auf der Burg, als er sich auf dem fatal endenden Marsch nach Russland befand.

Im Januar 1945 wurde Osterode kampflos von der Roten Armee eingenommen. Erst danach sind Stadt und Burg durch Brandstiftung fast völlig zerstört worden. Seit 1974 konnte Polen endlich die nötigen Mittel bereitstellen, die historische Mitte und die alte Ordensburg in neuem Glanz erstehen zu lassen. Heute verfügt die Kleinstadt über eine teils restaurierte, teils völlig neu aufgebaute Innenstadt mit einer herrlichen Seepromenade. Eine Schiffsreise nach Elblag hat der Autor nicht unternommen, da für die 80 Kilometer elf Stunden Fahrzeit einzuplanen sind. So wurde die Stadt mit dem Auto aufgesucht. Der 130.000 Einwohner zählende Ort ist heute Sitz der katholischen Diözese.

1945 als "Festung" hartnäckig verteidigt, wurde Elblag schwer zerstört. Lediglich sechs Häuser der historischen Innenstadt überstanden das Inferno.

Erst ab 1990 konnte auch in Elblag mit dem umfassenden Wiederaufbau der Altstadt begonnen werden. Heute ist auf wiederhergestellten Plätzen vor der Kulisse alter Bürgerhäuser erneut "Leben mit Atmosphäre" eingekehrt. 1999 gab es für die geglückten Rekonstruktionen den BU-Preis für Umweltpflege und 2000 eine internationale Auszeichnung mit der "Europäischen Fahne".

Auf der Fahrt von Lukta nach Osteroda bemerkt der interessierte Beobachter abseits der Straße die steil in den Himmel ragende Kirchturmspitze eines neugotischen Bauwerkes, das sich auf einem kleinen Hügel erhebt.


Zu ermländischen Wallfahrtsstätten

Hier befindet sich der in Polen ziemlich bekannte Ort Gietrzwald (Dietrichswalde) mit seinem Mariensanktuarium, das auch gern als "Polnisches Lourdes" bezeichnet wird. Etwas hochgestochen, wie der Autor vermutet. Während sich im Inneren der Kirche ein Gnadenbildnis der Muttergottes befindet, wird vor der Kirche auf Schildern in mehreren Sprachen, darunter auch deutsch, vom örtlichen Marienwunder berichtet. Da hieß es zur Überraschung des Autors sinngemäß: "Hier erschien die Muttergottes zwei jungen Mädchen und redete sie in polnischer Sprache an..." Dies passierte im Jahre 1882. Warum nicht. Der Autor zog der irgendwo sprudelnden Wunderquelle die nahe liegende Gaststätte "Karczma Warmieska" (Ermland) vor, in der ihm eine wundervolle Pilzsuppe serviert wurde.

Einen anderen polnischen Wallfahrtsort, der auf ein Marienwunder zurückgeführt wird, hat der Autor in bester Erinnerung. Es ist die Wallfahrtskirche Swieta Lipka (Heilige Linde), 6 Kilometer südöstlich von Reszel (Rössel) malerisch auf einer Landenge zwischen zwei Seen gelegen. Die barocke Basilika wird von einem Kreuzgang mit vier Eckkapellen umfasst. Ein Tiroler Baumeister schuf Ende des 17. Jahrhundert dieses in der Gegend einmalige Bauensemble, das jährlich von Wallfahrern, unzähligen Touristengruppen und vielen Einzelbesuchern aufgesucht wird. Neben der südländisch-heiteren Architektur ist sicher auch die große Kirchenorgel von 1721 mit sich zur Musik rhythmisch bewegenden Figuren zum Thema "Mariä Verkündigung" ein Anziehungspunkt. Schließlich sind solche Orgeln mit den typischen barocken "Spielereien" weltweit eine Rarität geworden. Und so wurde die Vorführung der "Königin der Instrumente" zu einem ganz besonderen Erlebnis!

Zumal der Heiligenschein einer sich verbeugenden Figur regelmäßig klemmte...


Fortsetzung im nächsten RABE RALF


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Quelle:
DER RABE RALF - 19. Jahrgang, Nr. 142, Februar/März 08, S. 20-21
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2008