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BERICHT/153: Fromme Zauberei (epoc)


epoc 5/09
Geschichte · Archäologie · Kultur

Fromme Zauberei

Von Johannes Dillinger


Bis ins 18. Jahrhundert rechneten die Menschen mit der Kraft von Naturgeistern, Kobolden und Dämonen. Volksmagie war keineswegs ein Relikt aus heidnischen Zeiten, sondern typisch für das christliche Abendland.


Alteuropa war eine magische Welt. Spukende Geister, heimtückische Kobolde und böse Zauberer gehörten für die Menschen des vorindustriellen Abendlands zum Alltag. Bis ins 18. Jahrhundert beeinflussten der Glaube an übersinnliche Wesen und Mächte das Leben unserer Vorfahren - und dies keineswegs nur negativ: Heilungen, Liebe und Reichtum gehörten ebenso in ihren Zuständigkeitsbereich wie Krankheiten, Missernten oder Kinderlosigkeit.

Vor dem 18. Jahrhundert kam praktisch kein Lebensbereich ohne Magie aus. Die Menschen rechneten mit Eingebungen Gottes in Träumen. Sie glaubten an Engels- und Heiligenerscheinungen und daran, dass sich die Seelen der Toten zeigten, Hausgeister faule Dienstboten bestraften und einem der Teufel auf der Landstraße begegnen konnte.

Dieses Denken äußerte sich in der so genannten Volksmagie. Forscher nennen entsprechende Praktiken volkstümlich, weil auch Nichtfachleute sie kannten und ausüben konnten. Eine scharfe Trennung zwischen mündlicher Alltags- und schriftlicher Elitenkultur gab es nicht. Einige Historiker behaupteten zwar, dass die volkstümliche Zauberei nur imitierte, was Gelehrte, Alchemisten und Astrologen vormachten. In Wirklichkeit jedoch verliefen die Grenzen fließend.

So kursierten Bücher und »Rezeptsammlungen« zu praktisch allen Fragen der Zauberkunst. Sie wurden - ganz oder in Auszügen - handschriftlich vervielfältigt und schließlich mündlich weitergegeben. Aber auch lokal geübte Magie wurde schriftlich festgehalten. Auf diese Weise konnten alltägliche Praktiken Eingang in gedruckte Werke finden. Es entstand ein florierender Markt für magische Schriften, der für jedermann zugänglich war.


Fachleute für Magie aller Arten

Außerdem gab es Experten, die man bei schwierigen Anliegen zu Rate ziehen konnte. Diese Frauen und Männer waren lokal oder regional bekannt und in der Regel durchaus angesehen. Als Hexen oder Hexer wurden sie fast nie belangt. Man könnte sie mit Handwerkern vergleichen, Spezialisten für ein regelrechtes »Gewerbe«. Und wie alle anderen Dienstleister erwarteten auch die Angehörigen der Zunft der Heilerinnen und Zauberer eine Bezahlung.

Die Volksmagie war so vielschichtig wie die Lebenswelt, deren Teil sie war. Sogar der Zeitpunkt spielte eine Rolle: Man unterschied gute und weniger gute Gelegenheiten für bestimmte Vorhaben. Bauernkalender verzeichneten astrologische Daten und wiesen auf geeignete Perioden zum Säen oder Brauen hin. Grundsätzlich sollten neue Vorhaben aller Art bei zunehmendem Mond begonnen werden.

Magisch und damit gefährlich, aber zugleich auch günstig für Zaubereien aller Art waren Zeitgrenzen wie Mittag und Mitternacht. Ebenso die zwölf heiligen Nächte zwischen den Jahren, also von Heiligabend bis Epiphanias. Die Vorabende kirchlicher Feste galten allgemein als viel versprechend für Zauberexperimente: Die vielleicht magischste Nacht des Jahres war die Johannisnacht vom 23. auf den 24. Juni, dem Tag, an dem Johannes der Täufer verehrt wurde.

Breiten Raum in der Volksmagie nahm die Mantik ein. Darunter versteht man Techniken, die Voraussagen über die Zukunft oder Angaben über verborgene Dinge ermöglichten. Noch heute bekannt ist der »Angang« - die symbolträchtige erste Begegnung des Tages: Sah man beispielsweise eine schwarze Katze, bedeutete dies Unglück; der Anblick eines jungen Mädchens hingegen verhieß Gutes.

Auch die Wünschelrute, die seit dem 16. Jahrhundert mal der Technik, mal der Magie zugerechnet wurde, diente im weiteren Sinn der Mantik. Professionelle Bergleute setzten sie ebenso ein wie Bauern, die in Äckern nach vergrabenen Schätzen suchten. Die Volksmagie verfolgte oft bodenständige Interessen: Viele Zauberrituale dienten dem allgemeinen Erwerbsleben und der Agrarwirtschaft.

Die meisten Menschen unterschieden überdies nicht zwischen Magie und Medizin. »Geheilt« werden konnte mal mit Zaubersprüchen, mal mit Kräutern, die - zumindest teilweise - auch nach modernem medizinischen Verständnis wirksame Substanzen enthielten. Es wurden aber auch Pflanzen verabreicht, denen allein auf Grund ihres Aussehens Heilwirkungen nachgesagt wurden: So sollte die Schafgarbe, in deren Blattform die Menschen ein Rückgrat zu erkennen glaubten, gegen Kreuzschmerzen helfen.

Abwehrmagie diente häufig dazu, Krankheiten vorzubeugen oder böse Geister fernzuhalten. Ein viel genutztes Zeichen war das Pentagramm (siehe Bildunterschrift 2) - ein fünfzackiger Stern, der als eine Art Schild gegen negative Einflüsse in Türschwellen geritzt wurde. Besonders wichtig waren in diesem Zusammenhang Amulette, die man bei sich trug, um sich zu schützen. Die Kirche stellte sie in allen Varianten zur Verfügung: Großer Beliebtheit erfreute sich im 16. und 17. Jahrhundert das »Agnus Dei« (Lamm Gottes), ein geweihter Anhänger aus Wachs. Im 18. Jahrhundert hatte sich eine quasi industrielle Produktion solcher magischer Gegenstände etabliert. Zettelamulette (siehe Bildunterschrift 4) mit Bildern von Heiligen, Namen von Engeln oder Zauberwörtern versteckten die Gläubigen etwa in ihrer Kleidung oder unter der Türschwelle des Hauses.

Die Hexerei hingegen, also die Magie mit Hilfe von Dämonen, galt im Mittelalter als Hirngespinst. Die Furcht vor bösen Frauen, die freiwillig einen Pakt mit dem Teufel eingegangen waren, wurde erst in der Neuzeit geschürt und spielte zuvor praktisch keine Rolle. Im Alltag rechneten die Menschen eher mit dem Einfluss von Natur-, Haus- oder Totengeistern. Volksmagie schützte gegen den schädigenden Einfluss dieser Wesen oder versuchte, sich deren Hilfe zu sichern. So behaupteten Heiler gerne, dass Naturgeister ihnen besondere Fähigkeiten verliehen hätten. Auch der Umgang mit Totengeistern war ein fester Bestandteil der magischen Schatzsuche, da Gespenster angeblich die meisten vergrabenen Reichtümer bewachten.


Selbstverständlich Christen

Welches Weltbild prägte die Zauberer und Heilerinnen Alteuropas? Die Frage nach der religiösen Identität der mittelalterlichen und neuzeitlichen Magier ist für Forscher schwer zu beantworten. Sie selbst verstanden sich jedenfalls als Christen. Bis vor einigen Jahren deuteten Historiker Elemente der Volksmagie jedoch pauschal als Relikte früherer Kulturen. Als Überbleibsel zeugten sie angeblich noch von der Weltsicht der Vergangenheit. Bereitwillig führten Germanisten und Altphilologen den Volksglauben noch des 19. Jahrhunderts auf die heidnischen Religionen der germanischen oder römischen Antike zurück. Ihre Arbeitshypothese war einfach. Sie gingen davon aus, dass ähnliche Erscheinungen in unterschiedlichen Epochen durch eine kontinuierliche Entwicklungslinie miteinander verbunden sein mussten.

Der germanischen Mythologie wurde etwa entnommen, dass der Gott Wotan ein achtbeiniges Pferd reitet. Fand sich nun in Volkssagen aus dem 19. Jahrhundert eine Geschichte über ein Geisterpferd mit überzähligen Beinen, galt dies prompt als vage Erinnerung an den Wotanskult. Das Kulturelement der Moderne wurde einfach zum Überbleibsel einer weit entfernten Vergangenheit erklärt.

Solche Deutungen erschienen beim Thema Zauberei besonders einleuchtend: Die - im Sinn der Aufklärung - sinnlosen magischen Manipulationen ließen sich als vom »ungebildeten Volk« missverstandene Reste einer einstmals geltenden heidnischen Ordnung ansehen. Der damit unterstellte Reliktcharakter der Volksmagie ließ sie als primitiv erscheinen und degradierte sie zum Verfallsprodukt: So sollte etwa der Glaube an die Götter im antiken Polytheismus zur Furcht vor Kobolden in der Frühen Neuzeit verkommen sein; vorchristliche Bräuche zur Erhaltung der Fruchtbarkeit der Felder wurden im 19. Jahrhundert mit Zauberritualen gleichgesetzt - etwa mit den bei der Ernte zuletzt geschnittenen Ähren.

Diese Sicht auf die Volksmagie ist nach wie vor verbreitet. In der historischen Wissenschaft gilt sie aber als überholt. Die Probleme sind offensichtlich: Kontinuierliche Überlieferungszusammenhänge lassen sich über Jahrhunderte hinweg, also beispielsweise von der späten Antike oder dem frühen Mittelalter bis zur Moderne, fast nie nachweisen. Ohne Verschriftlichung und massiven Einsatz institutionalisierter Macht - wie sie etwa die Kirchen für ihre Lehren bereitstellten - brechen Traditionslinien stets über kurz oder lang ab. Oder die fremden Bräuche wandeln sich und verschmelzen mit der eigenen Kultur, so dass heute praktisch keine echten Gemeinsamkeiten mehr ersichtlich sind.

Eine augenscheinliche Ähnlichkeit von Ritualen muss daher hinterfragt werden. Was bedeutet sie wirklich? Um das Wotan-Beispiel wieder aufzugreifen: Es ist unwahrscheinlich, dass sich »im Volk« über Jahrhunderte eine Erinnerung an das achtbeinige Pferd des Germanengottes erhalten hat, zumal es sich dabei möglicherweise nur um eine metaphorische, jedenfalls aber eine marginale, nur in wenigen Mythentexten erhaltene Vorstellung handelt. Viel eher steht die Sage vom achtbeinigen Geisterpferd aus dem 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit Erzählungen, die fast gleichzeitig über andere missgestaltete, gespenstische Tiererscheinungen erzählt wurden.

Außerdem müssen Historiker nach dem spezifischen Inhalt der jeweiligen Geschichte fragen: So glaubte man in der Neuzeit etwa, dass die Seelen mancher Verstorbener in Gestalt von Geistertieren weiterlebten. Um den Bericht richtig einzuordnen und seinen Sinn zu erfassen, sollten wir also fragen, wieso sich der Tote als Geistertier zeigt. Hier liegen moralische Deutungen nahe. Die Relevanz magischer Handlungen oder Erzählungen ergibt sich nicht aus irgendwelchen nebulösen Kontinuitäten, die in eine graue Vorzeit reichen. Geistergeschichten und Zauberrituale werden nicht einfach deshalb erzählt und praktiziert, weil sie alt sind. Sie haben für die Betreffenden einen aktuellen Sinn.

Die Stichwortgeber der älteren folkloristischen und historischen Forschung - diejenigen, die zuerst die alteuropäische Magie als heidnisch gedeutet hatten - waren gelehrte Priester des Hochmittelalters. Seit Ende des 14. Jahrhunderts verurteilten Universitätstheologen die Volksmagie, weil sie ihrer Auffassung nach christliche Gebete und kirchliche Liturgie missbrauchte - vorher hatte auch die geistliche Elite weniger Anstoß daran genommen. Tatsächlich sehen die meisten der Zaubersprüche zunächst einmal wie ein Gebet aus. Die Magie, so das Argument, war gerade deshalb besonders gefährlich, weil sie christliche Texte aufgriff. Das einfache Volk, das Heilige anrief und sich mit geweihten Amuletten gegen Blitzschläge schützen wollte, war nach Auffassung der Gelehrten im Grunde genommen heidnisch.


Volksmagie - Ursprung der New-Age-Bewegung?

Dieses Verständnis ist nicht nur von Volkskundlern des 19. und 20. Jahrhunderts aufgegriffen worden. Auch viele so genannte »Neopagane«, also Anhänger moderner europäischer Naturreligionen, führen ihre New-Age-Lehren auf einen angeblich heidnischen Volksglauben zurück. Dieser sei der Kirche feindlich gesinnt gewesen und von ihr unterdrückt worden, habe sich aber erhalten. Man muss sich klarmachen, dass diese Argumentation auf der Verurteilung von alteuropäischer Volksmagie als Heidentum durch eine Minderheit gelehrter Theologen des 14. bis 18. Jahrhunderts beruht. Aber sollte man diese Einschätzung wirklich übernehmen? War die Volksmagie in der Blüte des abendländischen Mittelalters und danach wirklich heidnisch?

Zunächst einmal kannten die gelehrten Theologen, deren Leben sich in Universitätsstädten abspielte, den Alltag auf den Dörfern kaum. Ihre Texte gehörten zu einer bestimmten Literaturgattung, der Dekalog- und Beichtliteratur. Diese folgte eigenen Regeln, die sich an innertheologischen Argumentationstraditionen orientierten und nicht an der tatsächlichen Seelsorgepraxis in den Gemeinden. Die Schriften bieten damit vornehmlich einen Einblick in das, was die kirchliche Lehrtradition als Magie verurteilte. Ob sie tatsächlich das abbilden, was in der ländlichen Praxis geschah, ist zumindest fraglich.

Doch wir finden Volksmagie auch in vielen anderen Zeugnissen: in Rechtstexten, in Protokollen von weltlichen und kirchlichen Gerichtsverfahren, in Epen und den Zauberbüchern selbst. Also nochmals die Frage: War die Magie unserer Vorfahren heidnisch? Sieht man sich die Texte und Rituale an, fällt auf, dass sie vor christlichen Elementen geradezu strotzen. Ohne Anrufungen der Heiligen, der Engel, der Dreifaltigkeit oder des christlichen Gottes war alteuropäische Zauberei offenbar undenkbar. Die Form vieler Sprüche ist an Litaneien angelehnt. Immer wieder werden dieselben Elemente wiederholt, immer wieder die Heiligen und Gott um Hilfe gebeten.

Magische Zaubersprüche und Gebete lassen sich demnach kaum unterscheiden. Die einfachsten schützenden Formeln waren die Anrufung der Dreifaltigkeit und das Kreuzzeichen. Daneben standen jedoch auch mehr oder weniger komplexe Schutz-, Bann- oder Heilungssprüche, die sowohl mündlich als auch schriftlich tradiert wurden. Häufig erzählten sie kurze Geschichten, in denen Heilige oder Jesus auf Probleme treffen, mit denen der Magier selbst konfrontiert war. In der Erzählung werden die Schwierigkeiten oft durch eine Wunderheilung überwunden. Mit Hilfe der Heiligen sollte dies dem Zauberer ebenso gelingen. Er und seine Kunden erwarteten, dass sich die wunderbare Genesung auch in ihrem Fall ereignen würde. Sie stellten sich quasi in eine von ihnen selbst konstruierte Kontinuität zu Christus und den Heiligen.


Unorthodoxe Glaubenspraktiken

Die Bevölkerung passte die Religion ihren Bedürfnissen an und integrierte biblische Aussagen, Heiligenlegenden und liturgische Elemente in den Volksglauben. Hierher gehören auch Elemente des katholischen Heiligenkults. Demnach setzen sich die verehrten Heiligen für die Wünsche all derer ein, die ihre Gunst erwarben. Und zwar im Gebet, aber auch mittels Geld- und Kerzenspenden oder durch den Kauf einer Votivgabe - Kirchen, aber auch Handwerker vermarkteten diese zumeist kleinen Gegenstände aus Wachs in Form von Augen, Ohren oder anderen Körperteilen als Symbol für die Heilung einer entsprechenden Krankheit oder Verletzung (siehe Bildunterschrift 7).

Dabei konnten Heilige, die Gebete nicht erhörten, sogar bestraft werden: Ihre Statuen wurden beschimpft oder gar beschädigt. So verehrte man in Schwaben etwa den heiligen Urban als Wetterpatron, der die Weintrauben vor einer Beschädigung durch Unwetter schützen sollte. Nach einer Serie von Missernten in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts wollten verzweifelte Bauern seine Statuen mit Wasser übergießen oder sogar im Fluss »ertränken«.

Christlicher Glaube und Magie gingen Hand in Hand. Als Widerspruch empfanden das einzig die gelehrten Theologen. Doch war der Volksglaube damit »heidnisch«? Auch die Glaubensvorstellungen heutiger Kirchgänger sind dogmatisch sicherlich nicht immer kompatibel mit der theologischen Wissenschaft, dennoch würde man moderne Christen deshalb kaum als heidnisch verurteilen.

In der Praxis sah die Kirche über unorthodoxe Glaubenspraktiken ohnehin meist hinweg. Die Dorfgeistlichen waren in der Regel bereit, christliche Magie zu tolerieren - oder gar zu unterstützen. Insbesondere von einem katholischen Priester oder Mönch erwarteten die Menschen sogar eine gewisse Expertise in übersinnlichen Belangen, beispielsweise bei Bann- und Heilungszaubern. Denn wer war geeigneter, den Kampf gegen Dämonen und böse Geister aufzunehmen, als der ortsansässige Mann Gottes? Die Akzeptanz des Pfarrers in der Gemeinde hing nicht zuletzt davon ab, ob er bereit war, magische Dienstleistungen zu erbringen. In protestantischen Regionen wurde hier mehr Zurückhaltung an den Tag gelegt.


Sakramente? Teufelswerk?

Im Zuge der Reformation gingen die Theologen der neuen Konfessionen im 16. Jahrhundert einen Schritt weiter: Sie verteufelten sogar das gesamte traditionelle Sakramentswesen der Kirche als Magie! Die magische Praxis vor Ort beeinflussten diese Reinigungsprogramme jedoch kaum. Der katholischen Seite fiel der rigorose Kampf gegen jede Form von Volksmagie besonders schwer. Sie konnte kaum gegen die magischen Elemente etwa im Heiligenkult vorgehen, ohne die Kritik der Protestanten wenigstens teilweise zu bestätigen. So hatte sich das Konzil von Trient (es tagte mehrfach in den Jahren von 1545 bis 1563) zwar die Disziplinierung und bessere Ausbildung des Pfarrklerus auf die Fahne geschrieben, Erfolge ließen aber lange auf sich warten.

Die Unterscheidung, was orthodoxer Kult und was Magie war, dürfte nicht nur die einfachen Gläubigen, sondern auch viele Geistliche überfordert haben. Der einfache Landpfarrer stand den Leuten in seiner Gemeinde näher als dem fernen Bischof und den Theologieprofessoren an den Universitäten. Er passte sich daher in der Regel an die Erwartungen der Menschen an. Zudem gehörte die Volksfrömmigkeit zum Selbstverständnis der Kirchen, Klöster und Wallfahrtsstätten und machte einen großen Teil ihrer ökonomischen Existenz aus.

Die katholische Kirche blieb daher offener für Magie als die Kirchen der Reformation. Was nicht hieß, dass alle Magie in protestantischen Regionen verschwand. Zweifellos gehörte die Abkehr von fragwürdigen Praktiken zur Identität der neuen Konfessionen - sie war schließlich einer der Anlässe für die Reformation gewesen. Aber auch hier erwies sich die dörfliche Tradition lange Zeit als stärker als die theologischen Reformen. Im lutherischen Württemberg ereiferten sich Mitglieder der Universität Tübingen noch im 18. Jahrhundert darüber, dass das gemeine Volk nach wie vor in litaneiähnlichen Gebeten den Heiligen Christopherus anrief, wenn es einen Schatz finden wollte. Verweigerte die protestantische Geistlichkeit magische Serviceleistungen, wurde einfach ein weniger ängstlicher Experte aus katholischen Nachbarterritorien eingekauft.


Heimliche Helfer: Wichtel, Kobolde und Hausgeister

Und obwohl die protestantische Lehre die Existenz von Totengeistern ablehnte, sah man auch in reformierten Gebieten allenthalben Gespenster. Der Glaube an Wiedergänger hatte disziplinierenden Charakter. Die letzte Ruhe nicht finden zu können, sondern als Spuk »umgehen« zu müssen, galt als schweres Unglück. So kehrten jene Verstorbenen als Gespenst zurück, die es - absichtlich oder unabsichtlich - versäumt hatten, im Leben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Mütter kamen zurück, um nach ihren Kindern zu sehen. Straftäter versuchten, ihre Vergehen wiedergutzumachen. Andere, die kein christliches Begräbnis bekommen hatten, zeigten sich als Geist, um eine ordentliche Beerdigung zu erlangen.

Die Kultur Alteuropas kannte daneben auch eine Vielzahl von Geschichten über Natur- und Hausgeister, die ungesehen im bäuerlichen Haushalt oder am Rand der Siedlungen beheimatet sein sollten. Diese Geister, Wichtel und Kobolde standen häufig in Beziehung zur bäuerlichen Ökonomie: Sie beeinflussten das Wetter, stärkten die Gesundheit des Viehs oder halfen bei der Arbeit auf den Höfen. Als »Bezahlung« erhielten sie Essen, das speziell für sie aufgestellt wurde.

Der Glaube an solche Wesen hatte einen sozialen, ja geradezu moralischen Aspekt. Er diente dazu, einfache Verhaltensregeln zu illustrieren und jedem einzuschärfen. Die unsichtbaren Helfer bestraften denjenigen, der neues Land unter den Pflug nahm, und bestätigten damit die Besitzverhältnisse. Sie überwachten die Mägde, die so an ihre Pflichten erinnert wurden. Egoistisches Gewinnstreben und Verstöße gegen die herkömmlichen Regeln zur Entlohnung bäuerlicher Arbeit ahndeten die Geister oft drastisch.

Indirekt umrissen die Motive des Natur-, Haus- und Totengeisterglaubens also eine Ethik des Alltags. Die dörflichen Gesellschaften Alteuropas formulierten so, was für sie wichtig und richtig war - und trotz der Unterschiede zur Gelehrtentheologie transportierten sie damit christliche Werte.

Alteuropa war magisch und christlich zugleich. Die Menschen glaubten an Vater, Sohn und Heiligen Geist und an das Leben nach dem Tod. Diesen Glauben ergänzten sie im Alltag und für den Alltag mit vielen kleinen - reichlich unorthodoxen - Zaubereien.


Johannes Dillinger ist Privatdozent für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Oxford Brookes University in Großbritannien sowie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.


Literaturtipp

Johannes Dillinger
Hexen und Magie. Eine historische Einführung
[Campus, Frankfurt am Main 2007, 197 S., EUR 16,90]


ZUSATZINFORMATIONEN:

Zusatzinformation 1:
Zauber, um einen Schatz zu finden Hessen, spätes 17. Jahrhundert
»Nimm eine schwarze Katze, begrabe sie in der Erde und sieben schwarze Bohnen. Und wenn die Bohnen wachsen, so nimm sie heraus und trage sie bei dir, dann siehst du alle Schätze. Das hat sich bewährt«

Zusatzinformation 2:
Prozessmagie; Thüringen, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts
»Heute muss ich vor Gericht gehen. Alle meine Widerparten werden vorstehen, ohne Mund und ohne Zunge. Und dass sie alle müssen vor mir verstummen«


Zusatzinformation 3:
Moderner Geisterglaube: Elfen-Guide und Troll-Stadtplan

»Watch out for the Elves« (Achtung, Elfen), warnt ein Schild in der Touristeninformation von Hafnarfjörður, einer kleinen Industriestadt bei Reykjavík. Ein großer, mit Gras bewachsener Stein beim Fremdenverkehrsbüro soll ein Zwergenheim sein. Alle Versuche, den Klotz wegzubaggern, scheiterten an den Abwehrzaubern seiner Bewohner. Deshalb macht die Straße jetzt einen Schlenker um den Koloss.

Nicht Elfen, sondern ungeschickte Bauarbeiter seien schuld an der Straßenführung, sagt hingegen Arni Björnsson, der sich als Volkskundler am Nationalmuseum jahrelang mit isländischen Mythen beschäftigt hat. »Die Isländer haben ein entspanntes Verhältnis zum Übersinnlichen.« Tatsächlich seien zwar nur zehn Prozent seiner Landsleute von der Existenz der fabelhaften Wesen überzeugt, aber ebenfalls nur zehn Prozent streiten sie vehement ab.

Einen Grund dafür sieht der Volkskundler in Islands karger Landschaft, den blubbernden Heißwasserquellen und Feuer spuckenden Vulkanen: »Wir leben in einem sonderbaren Land, in dem nichts konstant ist. Hier kann alles passieren, das hat auch die Mentalität geprägt.« Davon abgesehen zieht so ein Elfenhügel in der Nachbarschaft durchaus Neugierige an.

Auch für Erla Stefansdóttir, die offizielle Elfenbeauftragte des Bauamts. Seit ihrer Kindheit habe sie zu 17 verschiedenen Arten von Elfen Kontakt. Für ihre Heimat Hafnarfjörður hat sie eine »Karte der verborgenen Welten« gezeichnet, die zeigt, wo die magischen Geschöpfe ihre winzigen Häuser und Kirchen gebaut haben. Die Branche boomt: Vier weitere Städte haben die Elfenseherin beauftragt, solche Trollen- und Elfenkarten für sie zu erstellen.


Zusatzinformation 4:
Ritual gegen Geisterspuk »Discovery of Witchcraft«, Reginald Scot, London 1584
»Schreib folgende Sätze auf Pergamente, die aus der Haut eines Kalbes gewonnen wurden, und häng die Pergamente an den vier Ecken deines Hauses auf:

Omnis spiritus laudet Dominum.
Moses habent et prophetas.
Exurgat Deus et dissipentur inimici ejus.
Jeder Geist lobt Gott (Ps. 150, 6).

Sie haben Moses und die Propheten (Luk. 16, 29).
Gott möge sich erheben und seine
Feinde sollen fliehen (Ps. 67,2)«


Zusatzinformation 5:
Heilung bei Hautreizungen und Entzündungen Unterfranken, Anfang des 17. Jahrhunderts
»Unsere liebe Frau (die Jungfrau Maria) ging über Land. Sie führte ihr liebes, trautes Kind an ihrer schneeweißen Hand. Sie sahen sich um und sahen einen Brand dort hinten glühen. Sie hob ihre gesegnete Hand. Sie löschte aus den Brand. So klar wie die Sonne, so groß wie der Mond und so eben wie ein Ei, so soll der Brand in drei Tagen heilen. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Die magischen Zeichen auf dieser Zauberrolle aus dem 18. Jahrhundert sollten heilende Kräfte haben. Jedes steht für eine andere Krankheit. Und wenn es Gottes Wille sei - so glaubten die Menschen - würde ihre Kraft den Besitzer des Papierstreifens von seinen Leiden befreien.

Bildunterschrift 2:
Das Pentagramm galt als Bannzeichen gegen das Böse. Es hinderte Dämonen und Kobolde daran, ein Haus zu betreten oder einem Menschen zu nahe zu kommen. Zugleich symbolisierten seine Spitzen die fünf Wunden Christi: die der drei Nägel, der Lanze sowie der Dornenkrone.

Bildunterschrift 3:
Aus dem Bergbau war die Wünschel- oder auch Glücksrute nicht wegzudenken.

Bildunterschrift 4:
Zettelamulette mit Heiligenbildchen, Zauberworten oder Engelsnamen gehörten im 18. Jahrhundert zu den Kassenschlagern im Sortiment von Händlern, die magische Waren anboten.

Bildunterschrift 5:
Die Zauberpflanze Alraune (rechts) war gleichermaßen begehrt wie gefürchtet, denn in ihrer Wurzel wohnte angeblich ein Dämon (links). Doch wer sie zog, tötete ihn und hatte nun einen wirksamen Talisman gegen alles Böse.

Bildunterschrift 6:
In dieser kostbaren kleinen Truhe wurde ein Riechapfel aufbewahrt. Seine Kammern füllten Kräuter, deren Duft die Abwehrkräfte stärken und Dämonen vertreiben sollten. Ärmere Leute wickelten die Kräuter einfach in Stoffkugeln und verwahrten diese in schlichten Holzkisten.

Bildunterschrift 7:
Votivgaben wie diese Kröte sollten Unfruchtbarkeit vertreiben oder eine Fehlgeburt verhindern. Das Bein symbolisierte die Bitte eines Gläubigen um Heilung einer entsprechenden Verletzung.


© 2009 Johannes Dillinger, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
epoc 5/09, Seite 20 - 27
Herausgeber: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2009