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STANDPUNKT/051: Die Proteste im Iran und der deutsche Imperialismus (Freidenker)


Freidenker Nr. 4-09 Dezenber 2009
Organ des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.

Die Proteste im Iran und der deutsche Imperialismus

Von Mitgliedern iranischer Herkunft im DFV Hessen


Nach den Präsidentschaftswahlen in der Islamischen Republik Iran am 12. Juni 2009 demonstrierten Iranerinnen und Iraner wiederholt im In- und Ausland gegen den 'Wahlbetrug' seitens des amtierenden iranischen Präsidenten Ahmadinedschad. Kaum jemand erinnert sich, dass bereits bei dessen erster Wahl vor vier Jahren die USA die Platte vom 'Wahlbetrug' aufgelegt hatten. Sein unterlegener Gegenkandidat Rafsandjani, bereits 1989-1997 Präsident, orakelte von einer 'Verschwörung'.

Aus der Ferne ist es sehr schwierig, die Protestbewegung einzuschätzen - vor allem auch, weil die inhaltlichen Forderungen der Bewegung allgemein bleiben. Die Demonstrationen im Iran schienen über die Einforderung von Neuwahlen nicht hinauszukommen und folgten im Wesentlichen den Aufrufen der Oppositionskandidaten Mussawi und Karrubi, die sich als 'Reformer' verkaufen. Deren Mentor ist besagter Rafsandjani, der es während seiner Präsidentschaft zum reichsten Mann des Landes gebracht hat. Seine und die Basis seiner Schützlinge bilden die Handelskapitalisten des Basars und jene Kapitalisten, die mit dem 'Westen' besser ins Geschäft kommen wollen.

Wenn sich aber Linke hinter dem unterlegenen Kandidaten Mussawi als 'Hoffnungsträger' versammeln, ist das so tragisch wie beschämend: Dieser 'Oppositionelle' war von 1981-89 Regierungschef im Iran, in seiner Amtszeit wurden Tausende Gewerkschafter, Kommunisten und andere Linke abgeschlachtet.


Charakter der Bewegung im Iran

Offenbar fehlt es nicht nur an konkreten sozialen und demokratischen Forderungen, sondern auch an einer Orientierung, wie solche durchgesetzt werden könnten. Die Forderung nach einem Generalstreik, wie sie von Teilen der exiliranischen Linken erhoben wird, bleibt unrealistisch, weil sie nicht an den realen Kämpfen ansetzt.

Am 1. Mai 2009 - also noch vor den Präsidentschaftswahlen - gingen z. B. in mehreren iranischen Städten Arbeiter auf die Straßen. Sie forderten regelmäßige Lohnauszahlungen sowie das Recht auf eigene Arbeiterorganisationen. Die Aktivitäten der iranischen Arbeiterbewegung zeigen, dass die Forderung nach der Aufhebung des Verbots von Gewerkschaften in breiteren Teilen der Arbeiterschaft auf Zustimmung treffen würde. Die sie tragenden aktiven Kräfte wie die Gewerkschaft der Busfahrer und die Automobil-Arbeiter (von Iran-Khodro) hatten sich zwar in offiziellen Erklärungen mit den Protesten solidarisiert, aber keine eigenen Forderungen in die Protestbewegung hineingetragen. Trotzdem werden ihre Solidaritätserklärungen oft als Beweis dafür dargestellt, dass auch die iranische Arbeiterklasse sich an den aktuellen Protesten massiv beteiligen würde.

Die Proteste im Iran werden jedoch hauptsächlich von gebildeten Mittelschichten und Besitzenden getragen. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass es sich lediglich um einen inneren Machtkampf zwischen den iranischen Eliten handelt. Die Ablösung von Ahmadinedschad wünschen insbesondere jene Kapitalfraktionen, die sich von besseren Beziehungen zu den USA bessere Geschäfte erhoffen.


Spiel mit dem Feuer

Währenddessen werden die 'Solidaritäts'-Proteste im Ausland nicht nur von verschiedenen kleinen, linken Gruppen, sondern auch von erzreaktionären Monarchisten getragen. In Deutschland werden die Proteste oftmals sowohl von der Linkspartei unterstützt, aber auch von solch zweifelhaften Gesellen wie den sogenannten Antideutschen und allen übrigen etablierten Parteien bis hin zur CDU. Bei dieser bunten Mischung wundert es nicht, dass auch hier keine klaren Forderungen zu erkennen sind, die über das abstrakte Einfordern von 'Solidarität' hinauskämen.

Wie gefährlich diese scheinbare Solidaritätsbewegung jedoch vor allem für das iranische Volk werden kann, ergibt sich aus dem Umstand, dass Forderungen einer Protestbewegung in einem imperialistischen Staat - auch wenn sie sich auf den Iran beziehen - sich effektiv natürlich nur an die eigene Regierung richten können. Angela Merkel als Adressatin der Proteste? Sofern eine solche Bewegung also keine klaren antiimperialistischen Positionen vertritt, läuft sie Gefahr für die imperialistischen Interessen instrumentalisiert zu werden: ein Spiel mit dem Feuer!


Interessen des deutschen Imperialismus in Iran

Für uns ist es von besonderer Bedeutung, den deutschen Imperialismus unter die Lupe zu nehmen. Die "Stiftung für Wissenschaft und Politik" (SWP) hat im Mai dieses Jahres, unmittelbar vor den iranischen Präsidentschaftswahlen die Studie "Deutsche Nah-, Mittelost- und Nordafrikapolitik - Interessen, Strategien, Handlungsoptionen" veröffentlicht (download: www.spw-berlin.org). Danach ist der Iran für die strategischen Interessen des deutschen Imperialismus vor allem deshalb von besonderer Bedeutung, weil eine Erdgas-Pipeline aus dem Iran die Gas-Abhängigkeit von Russland beenden könnte. Das Konsortium, das die 'Nabucco'-Pipeline baut, hat mit Joseph 'Bomber' Fischer, der auch RWE und BMW berät, einen prominenten Lobbyisten (mit sechsstelligem Jahreshonorar allein für das Pipeline-Projekt).

Die Wiederwahl Ahmadinedschads war für die Pipeline-Strategen nicht hilfreich. Besorgniserregend sei laut SWP die zunehmende Bedeutung des Iran als Regionalmacht im mittleren Osten, die sich in der sturen Blockadehaltung der iranischen Regierung gegenüber dem Westen ausdrücke. Auf der anderen Seite stehen diese strategischen Interessen aber in Widerspruch zu unmittelbar einzelwirtschaftlichen Interessen von Teilen des deutschen Kapitals: Sanktionen gegen den Iran würden lediglich zu einer Steigerung der in den letzten Jahren erhöhten Exporte von China und Russland und damit "zu einer Marktverschiebung zu Ungunsten der deutschen Wirtschaft führen", so Felix Neugart von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

In welche Richtung dieser Widerspruch momentan aufgelöst wird, zeigt sich daran, dass die Bundesregierung Dolphin-U-Boote nach Israel exportiert, deren Torpedorohre nur im Hinblick auf nukleare Bewaffnung Sinn machen - also die Bedrohung gegen Iran verschärfen.


"Stoppen Sie die deutschen U-Boot-Lieferungen nach Israel!"

Diese Forderung der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) an die Bundesregierung spiegelt das ganze Dilemma der "Solidaritäts"-Bewegung in Deutschland samt der hiesigen exiliranischen Linken. Sie fand z. B. am 25. Juli, dem Global-Action-Day, der zentralen "Solidaritäts"-Aktion, keine Erwähnung.

In allen bürgerlichen Medien kursieren nun aber wieder Gerüchte über die Existenz iranischer Atomwaffen (obwohl die Internationale Atomenergiebehörde und selbst der amerikanische Geheimdienst in ihren Berichten das Gegenteil belegen). Wir sollen auf einen Präventivschlag gegen das "Dämonregime" vorbereitet werden.

Solange die "Solidaritäts"-Proteste sich nicht klar gegen diese Bedrohung aussprechen, gefährden sie das Leben von 73 Millionen Menschen. Dass dann auch der Kampf um Demokratie endgültig verloren ist, zeigt nicht zuletzt der Blick nach Afghanistan und Irak.


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Quelle:
Freidenker - Nr. 4-09 Dezember 2009, Seite 27-29, 68. Jahrgang
Herausgeber:
Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.
Schillstraße 7, 63067 Offenbach
E-Mail: redaktion@freidenker.org
Internet: www.freidenker.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Bezugspreis jährlich Euro 10,- plus Versand.
Einzelheft Euro 2,50 plus Versand.
(Für die Mitglieder des DFV ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.)


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2010