Schattenblick →INFOPOOL →WELTANSCHAUUNG → HUMANISTISCHER V.D.

BERICHT/177: Ein Lächeln für die Zukunft (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 78/2007 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Ein Lächeln für die Zukunft

Von Silvana Uhlrich


Aufrecht und stolz sitzt mir Hemalata Lavanam gegenüber und erzählt von ihrer Arbeit in der Organisation Samskar. Dies heißt übersetzt Reform und ist ein Projekt des Atheist Centre (www.atheistcentre.in) in Vijayawada im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Neben der Resozialisierung von Straffälligen werden dort unter anderem Tempel-Prostituierte betreut.


*


Vieles hat sie in ihrem Leben schon erlebt, viele Hürden genommen, beruflich wie privat. Ihr gesundheitlicher Zustand legt davon Zeugnis ab. Dennoch, eines konnte ihr niemand nehmen, ihren Stolz und ihre Würde. Mit einem Leuchten in den Augen und mit großer Überzeugungskraft erzählt sie mir und anderen Zuhörern von der nun schon über 25 Jahre andauernden Arbeit von Samskar.

Eine Jogini ist ein junges Mädchen, meist aus der mittellosen Kaste der Unberührbaren, was mit dem Gott Yellama verheiratet wird, um die Familie vor Unheil zu bewahren. In einer feierlichen Zeremonie werden sie von Hindu-Priestern dem Tempel geweiht. In der Hochzeitsnacht gehört sie einem höher gestellten Landbesitzer des Dorfes, später hat sie für alle Männer des Dorfes "verfügbar" zu sein. Dem Alter des Kindes sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die Riten variieren in den Bundesstaaten Indiens.


Aufklärung und praktische Hilfe

Zwar ist seit 1988 das jahrhundertealte System verboten, wird aber dennoch praktiziert. Die Regierung gab unlängst zu, dass allein in fünf Regionen von Andhra Pradesh über 20.000 Joginis leben. Den Menschen in abgelegenen Dörfern ist die Illegalität ihres Handelns gar nicht bewusst. Hier hat Samskar schon erstaunliches geleistet, sie klären auf, vermitteln Wohnmöglichkeiten, helfen beim Landerwerb und sorgen für Rehabilitationsmaßnahmen. Damit tragen sie zwar zu einer Verbesserung der Lebensumstände von Jogini-Frauen bei. Schwerer ist es jedoch, das kollektive Bewusstsein und den tiefen Glauben an die Richtigkeit dieser Praxis zu verändern. Das Problem ist ähnlich wie bei der Forderung zur Abschaffung der Kasten und der Heiratsmitgift. Es dauert. Und welche Alternativen sind vorstellbar? Ihre Körper sind kaputt durch die schwere Arbeit, die sie verrichten müssen und durch die ständige sexuelle Bedrängnis. Manchmal verdienen sie nur eine Rupee (55 Rupees entsprechen einem Euro) durch einen "Kunden".

Hier ist die Hilfe von Samskar gefragt. Sozio-psychologische Programme haben es geschafft, dass den Jogini-Frauen in den Dörfern inzwischen Respekt entgegengebracht wird. Bildungs- und Aufklärungsprogramme sowie konkrete Gesundheitsfürsorge haben ihr Los in den letzten Jahren verbessert. Als besonderer Erfolg kann gewertet werden, dass ehemalige Joginis erneut verheiratet werden konnten. So fanden mehrere Hochzeiten von Jogini-Frauen unter Teilnahme von hochrangigen Regierungspersönlichkeiten statt.


Vision von einem kastenlosen Indien

Hemalata Lavanam, die Präsidentin von Samskar blickt mit Stolz auf die Erfolge ihrer Organisation. Alle Joginis, die von ihr betreut wurden - über 2000 Frauen in 15 Jahren - sind heute rehabilitiert. Doch noch immer gibt es Regionen, die sich von dieser Tradition nicht verabschieden möchten. Eine Veränderung ist nicht allein durch die Stärkung der Frauenrolle zu erreichen.

Selbst zählt Hemalata zu den starken Persönlichkeiten ihrer Gesellschaft, aber auch sie hat es nicht leicht gehabt. Sie kommt aus einer sozial engagierten Familie. Ihr Vater Gurram Joshua kämpfte mit literarischen Mitteln gegen gesellschaftliche Missstände. Geführt durch eine Vision von einem Leben in einer kastenlosen Gesellschaft, nahm sie an unendlich vielen Weltkonferenzen zum Humanismus teil. Als Rationalistin glaubt sie fest an soziale Gleichberechtigung und Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie erhielt den Telugu University Literary Award for Jeevana Prabhatam and Atma Gourava Puraskaram von der Regierung von Andhra Pradesh neben vielen weiteren Auszeichnungen.

Ihr Lebenswerk macht sie zufrieden. Zwar ist noch nicht alles getan, aber sie ist sich sicher: Dieser Weg ist nicht aufzuhalten.


Silvana Uhlrich ist beim Humanistischen Freidenkerbund Havelland e.V. für internationale Kontakte zuständig. Weiterhin ist sie 2. Vize-Präsidentin der IHEYO (International Humanist and Ethical Youth Organization)


*


Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 78/2007, S. 10-11
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. Oktober und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 12,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2007