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BERICHT/188: Jugendfeiern ... zwischen Jugendarbeit und Adoleszenzritual (ha)


humanismus aktuell - Hefte für Kultur und Weltanschauung Nr. 21 - Herbst 2007

JugendFEIER im Spannungsfeld zwischen Jugendarbeit und Adoleszenzritual

Von Gregor Ziese-Henatsch


Wenn - wie in diesem Heft an einigen Befunden belegt - von einer Renaissance der (christlichen) Religionen in Deutschland nicht die Rede sein kann, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie diejenigen, die sich von der Religion abgewandt haben, die entstandene Lücke füllen.

Geht man davon aus, dass diese Lücke für säkular denkende und fühlende Menschen nicht im Gefühl des Mangels an religiöser Transzendenz, sondern in der Notwendigkeit der Gestaltung einer alltagskulturellen Sinngebung der eigenen Existenz liegt, so stellt sich diese Frage insbesondere mit Blick auf diejenigen Feste, die den Lebenslauf strukturieren.

Dass dabei der Blick insbesondere auf die Jugendweihe bzw. die JugendFEIER des Humanistischen Verbandes gelenkt wird, ergibt sich aus zweierlei Gründen: Einerseits ist dieses Fest das - zumindest im Ostteil Deutschlands - am besten etablierte säkulare Fest, welches in der Tradition einer Alternative zu einem religiösen Angebot steht. [1]

Andererseits belegt die Jugendforschung, wie bedeutsam Sozialisationsprozesse im frühen Jugendalter für eine erfolgreiche Persönlichkeitsentwicklung sind [2] und wie sehr die Fährnisse der "Risikogesellschaft" (U. Beck) in diesem Alter für Unsicherheitserfahrungen sorgen. Dabei hat, wie u.a. in der 15. Shell Jugendstudie beschrieben [3], der "sichere Hafen" der Familie an subjektiver Bedeutung für junge Menschen zugenommen. Ein Fest in und mit der eigenen Familie, welches die Bedeutung des Jugendlichen für alle Festteilnehmenden deutlich heraushebt, kann dementsprechend durchaus eine zeitgemäße und für Jugendliche bedeutsame Funktion der Selbstvergewisserung haben.

Damit ist jedoch noch nicht beantwortet, warum der Humanistische Verband ein solches Angebot macht und wie er es versteht. Hierzu gab es im HVD in den Jahren 1999 bis 2003 eine längere Debatte, die seitdem etwas an Schwung verloren hat. In diesem Beitrag sollen wesentliche Elemente der Debatte noch einmal kurz beleuchtet werden. Zentrale Frage ist dabei, ob die formulierten Ansprüche einerseits der sozialen und kulturellen Lebenswirklichkeit der Jugendlichen und andererseits den eigenen Ansprüchen an einen modernen Humanismus gerecht werden.

Zunächst werfe ich einen kurzen Blick in das Humanistische Selbstverständnis als dem zentralen programmatischen Dokument des Humanistischen Verbandes. Anschließend sollen einige in der zurückliegenden verbandlichen Diskussion der Jahre 1999 bis 2003 angesprochenen Differenzen bei der Verortung der JugendFEIER im Feld der Angebote des HVD benannt werden. Dies geschieht, um deutlich zu machen, in welchem Spannungsfeld die Diskussion im HVD auch heute noch steht. Schließlich werden darauf aufbauende Überlegungen präsentiert, die programmatische Eckpfähle für ein zeitgemäßes Verständnis humanistischer Jugendarbeit allgemein und der JugendFEIER im Besonderen zu benennen suchen.


Feierkulturelle Programmatik

Bei einem Blick in das Humanistische Selbstverständnis von 2001 findet sich hier nicht besonders viel zum Generationenverhältnis, zum humanistischen Verständnis der Lebensphase Jugend oder zu humanistischer Jugendarbeit. Die JugendFEIER wird komplett unter der Rubrik "weltliche Fest- und Trauerkultur" subsumiert. Die sozialpädagogische Verantwortung des HVD für die im Kontext der JugendFEIER stattfindende Jugendarbeit tritt in dieser Zuordnung gegenüber dem Ritualcharakter der Feier zurück.

Noch problematischer ist jedoch der Passus, der das Generationenverhältnis direkt in den Blick nimmt: "Die Erschütterungen der Gesellschaft spiegeln sich auch im Wandel der Beziehungen zwischen den Generationen wider. Vor allem ältere Menschen vereinsamen an ihrem Lebensabend. Dabei können gerade ihre Lebenserfahrungen jüngeren Menschen Einsichten und Handlungsanstöße vermitteln. Umgekehrt wird jüngeren Menschen der Zugang zu gelebten Erfahrungen und Traditionen erschwert, an die sie schöpferisch anknüpfen könnten, anstatt in einer Alltagskultur der beständigen Amnesie in ihrer Lebenspraxis zu verarmen". (Hervorhebung durch den Autor).

Aus dem Blickwinkel humanistischer Jugendarbeit ist diese Sichtweise in doppelter Hinsicht problematisch: Einerseits wird die Lebenserfahrung der älteren Generation idealisiert, wenn nicht gleichzeitig deutlich gemacht wird, dass die "gelebten Erfahrungen und Traditionen" sich oft in Form unreflektierter Idealisierungen der eigenen Biografie äußern und insofern wertvoll für Jüngere nur werden können, wenn sie der kritischen Hinterfragung zugänglich gemacht werden.

Zudem sind viele Angehörige der älteren Generation nur sehr partiell in der Lage, ihre Wahrnehmungen durch Jüngere kritisch in Frage stellen zu lassen und damit diskursiv umzugehen. Jugendliche erleben Ältere deshalb nicht selten als bevormundend und dominant.

Andererseits wird hier jugendliche Alltagskultur nicht differenziert wahrgenommen, sondern Jugendlichen wird eine "beständige Amnesie in ihrer Lebenspraxis" unterstellt. In Anbetracht der empirischen Befunde der Engagementforschung, dass keine andere Generation in dem Umfang gesellschaftlich aktiv ist wie Jugendliche und junge Erwachsene [4], erscheint diese Wahrnehmung aus einer anderen Welt zu kommen. Leider ist sie jedoch symptomatisch für das medienvermittelte Alltagsbewusstsein, wie es auch vorm Humanistischen Verband nicht halt macht.


Kontroverse Thesen

Auch vor diesem Hintergrund des Humanistischen Selbstverständnisses sind die fünf Spannungslinien und Kontroversen zu sehen, die in der Debatte der vergangenen Jahre eine Rolle gespielt haben und die für das Selbstverständnis der JugendFEIER noch immer bedeutsam zu sein scheinen.

Die ist erstens die Frage, ob es sich bei der JugendFEIER um ein "Stufenfest" (Horst Groschopp) oder um einen "humanistischen Kultus" (Volker Mueller) handelt. Unmittelbar damit verbunden ist zweitens das Problem, wie sich die geforderte Anerkennung jugendlichen Eigensinns, dem sich der HVD als Partner zur Bewältigung von abverlangten Integrationsleistungen anbietet (Manfred Isemeyer) verträgt mit dem Selbstverständnis als "Familienfest", welches familiäre Bande stärken soll und damit immer Gefahr läuft, zum "Fest der Affirmation an eine überkommene Familientradition" zu degenerieren und so auch von den Jugendlichen wahrgenommen zu werden.

Die dritte Frage ist, ob die JugendFEIER ein Fest zur "Versicherung säkular-ostdeutscher Identität" (Gregor Ziese-Henatsch) ist, oder ob die JugendFEIER nicht eher wahlweise ein "Fest für Alle" oder "für alle Konfessionslosen" ist, also auch für Wessis bedeutsam sein kann - und zwar über wenige Einzelfälle hinaus. Viertens folgt aus Antworten darauf die Frage, ob einer "professionellen Feiergestaltung für alle Generationen" der Vorrang zu geben ist vor der eigensinnigen "Präsentation der Ergebnisse der Vorbereitungszeit durch die Jugendlichen" und ob es sich fünftens bei eben dieser Vorbereitung eher um eine "verpflichtende Humanismus-Schulung" oder um "freiwillige Beliebigkeit der Teilnahme" handeln sollte.


"Kultus" versus "Stufenfest"

Ausgehend von einem grundsätzlichen Bedürfnis nach Festen, deren Existenz als durch die ethnologische Forschung gesichert angesehen werden darf, erklärt Groschopp die JugendFEIER als "Stufen-Fest", bei dem eine Stufe der Ablösung von der Kindheit begangen wird. (S.36) [5] Er sieht hier den Abschied von der Mutter thematisiert.

In der Tat vollzieht sich in der Pubertät eine emotionale Ablösung von den Eltern und das Bewusstsein für das eigene Ich wird konkret. In der Säkularität des Feierns und seiner Ausgestaltung entsprechend heutigen Bedürfnissen der Eventkultur und der Erlebnisgesellschaft sieht Groschopp "einen langfristigen Vorgang der Kulturveränderung einer Gesellschaft, in dem Verhaltensvorschriften verinnerlicht und durchgesetzt werden." (S.38)

Jugendweihen und JugendFEIERn werden von ihren Gegnern zumeist pejorativ als "unverbindlich" bezeichnet. Groschopp erklärt hingegen die fehlende Verbindlichkeit zu etwas, was "als Freiheitsgewinn zu sehen" sei (S.38). Bei den Jugendweihen bzw. JugendFEIERn entstehe eben kein Zwang zur Gemeinschaftlichkeit, weder der Gestalt, dass damit die Aufnahme in eine Gemeinschaft verbunden wäre, noch in der Form, dass die Teilnahme verbindlichen Charakter hätte. Jugendweihen/JugendFEIERn nehmen die Jugendlichen so wie sie seien und nehmen sie gerade darin ernst.

Die Zukunft dieser Feierform läge darin, "eine weltanschaulich humanistische Einladung zu unterbreiten, bei der es ihnen (den Jugendlichen, Z.-H.) freisteht, sie anzunehmen oder nicht". (S.48f) Jugendweihe/JugendFEIER sei damit aber auch ohne eine Weltanschauungsgemeinschaft möglich, ein "humanistischer Kultus" entstünde nicht.

Abweichend von Groschopp vertritt Mueller, die These vom "humanistischen Kultus". [6] Er leitet dies daraus ab, dass das Angebot seines Verbandes weltanschaulich nicht neutral sei, sondern humanistische Grundwerte vermittle. Diese seien:

"- ein freies humanistisches Denken und soziales Handeln, die Lebensfreude vermitteln (ohne Probleme des Lebens und unserer Welt zu verschütten),

- die gemeinschaftliche Suche nach Wegen zu einer weltanschaulichen Selbstbestimmung, die die individuellen Freiheitsrechte ermöglicht,

- die Hilfe bei der Selbstfindung eines säkularen, ethisch begründeten Lebenssinns und

- die Entwicklung eines Bewusstseins humanistischer Selbstverantwortung im Sinne der Menschenrechte" (S.96).

Derart weltanschaulich bestimmt sei dieser Passageritus als eine Initiation im Fest der Familie zu begreifen (5.99). Unklar bleibt allerdings, welche Passage hier begangen wird. Auch ist das Verhältnis zwischen "Fest der Familie" und den zu vermittelnden Werten, die auf Ausweitung der sozialen Selbständigkeit der Jugendlichen ausgerichtet sind, ungeklärt.

Dieses Problem greift auch Isemeyer auf, wenn er feststellt, dass sich "Jugend" zu einer eigenständigen Lebensphase entwickelt habe. [7] "Sie dient nicht mehr nur der Vorbereitung auf das Erwachsenwerden, sie verfügt vielmehr über eigene Kultur, hat eigene Ausdrucksformen. Aus dem reichhaltigen Sortiment der pluralistischen Gesellschaft bedient sich die heutige Jugend mit selbstbewusstem Pragmatismus." (S.58f)

Daraus leitet er ab, dass junge Menschen mit ihren Lebensstilen in der humanistischen Jugendarbeit als gleichberechtigte Partner verstanden werden müssen. In diesem Sinne seien in die JugendFEIER Elemente jugendlicher Eventkultur eingebaut, womit sie für Jugendliche attraktiv sein könne. (S.59) JugendFEIER versteht sich so als Impulsgeber für das weitere Nachdenken und Handeln von Jugendlichen bei den ihnen abverlangten Integrationsleistungen in die Gesellschaft und bestärkt sie dabei, eigene Wege zu gehen.

Der HVD stellt nach der JugendFEIER weitere Angebote bereit - insbesondere bei den Jungen HumanistInnen - und schafft so Möglichkeiten für eigenes Engagement nach der Feier. Jugendfeier biete daher die Gemeinschaft HVD als möglichen Ort der Erprobung an, aber auch eine Entscheidung der Teilnahme für ein gesellschaftliches Engagement in einem anderen Rahmen wird unterstützt. (S.60) Wie sich dieses Verständnis mit dem zugleich erklärten Verständnis der JugendFEIER als Familienfeier verträgt, die für alle Generationen etwas zu bieten haben soll, bleibt ungeklärt, da dieser Anspruch an keiner Stelle weiter bestimmt wird.

Eine ganz andere Frage habe ich in meinen Debattenbeiträgen aufgeworfen. [8] Für mich ist die Frage nach dem normativen Gehalt der JugendFEIER entschieden, aber anders als für Groschopp oder Mueller. Als "Wessi" habe ich mich gefragt, warum die JugendFEIER im Westen immer mehr an Akzeptanz verloren hat, im Osten aber immer noch von großer Bedeutung ist. Zwar gibt es mittlerweile vermehrt wieder JugendFEIERn in den alten Bundesländern. Fragt man jedoch, woher die Familien der teilnehmenden Jugendlichen kommen, so erfährt man, dass sie zum großen Teil aus den neuen Bundesländern Zugezogene sind.

Wer nun mit den jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der JugendFEIERn und ihren Familien ins Gespräch kommt oder die qualitativen Untersuchungen zu diesem Thema liest [9], wird feststellen, dass viel von einer "Familientradition" die Rede ist. Diese "Familientradition" wird jedoch selten auf die Zwischenkriegszeit oder noch weiter zurückgeführt, sondern ganz selbstverständlich aus der DDR-Vergangenheit abgeleitet.

Genau dieser Umstand wird von Gegnern der Jugendweihen und JugendFEIERn argumentativ aufgegriffen, wenn diesen Angeboten "Ostalgie" und ein ungeklärtes oder gar positives Verhältnis zur DDR-Vergangenheit unterstellt wird. Dagegen habe ich argumentiert, wir sollten uns offen zur Stärkung einer eigenen ostdeutsch-konfessionslosen Identität bekennen. Diese ist - wie jede kulturelle Identität - nicht statisch und kann durch Kulturorganisationen wie uns auch beeinflusst werden. Bei der konkreten Ausbildung dieser Identität haben wir etwas zu sagen und wir sagen es mit unseren JugendFEIERn. Der Anspruch gesamtdeutscher Relevanz erscheint mir dagegen blutleer und empirisch nicht haltbar.


Zur Verbindlichkeit des Angebots

Jetzt soll das Augenmerk auf die Frage gerichtet werden, welche Bedeutung in den jeweiligen Konzepten einerseits der Selbstdarstellung der Jugendlichen und ihrer Fragen an die Welt gewidmet wird und welche Bedeutung andererseits dem Anspruch zukommt, ein kulturell anspruchsvolles Programm für alle Generationen abzuliefern. Diese Frage wird durchaus unterschiedlich beantwortet, was für unterschiedliche Akzentuierungen bei der Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis zwischen "Familienfest" und "jugendlichem Eigensinn" steht. Der Disput entzündet sich meist am Problem der Verbindlichkeit, das unterschiedliche Praxen auch im HVD reflektiert.

Die Frage nach der Verbindlichkeit des Vorbereitungsprogramms ist komplexer als sie zunächst erscheint. Aus der Perspektive der Gegner von Jugendweihe und JugendFEIER scheint die Aufgabe der Verbindlichkeit des Vorbereitungsprogramms als inhaltliche Bankrotterklärung. Und in der Tat ist das platte - auch von mir gelegentlich gebrauchte - Argument, Jugendarbeit sei schließlich immer freiwillig und damit sei die Freiwilligkeit ein Qualitätsstandard, mehr als fragwürdig. Richtig ist: Niemand darf zur Teilnahme an Angeboten der Jugendarbeit gezwungen werden, sonst handelt es sich eben nicht um Jugendarbeit, wie sie im Kinder- und Jugendhilfegesetz im Paragraph 11 definiert ist.

Es ist allerdings sehr wohl möglich und üblich, Standards der Verbindlichkeit für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem Angebot der Jugendarbeit festzulegen. Wie sonst sollte z.B. eine Jugendreise anders als im totalen Chaos enden können? Es wäre also durchaus möglich, zu definieren, dass die Teilnahme an der JugendFEIER selbstverständlich freiwillig ist, wer dieses Programm jedoch mit dem Höhepunkt der Feier abschließen will, dann auch an verbindliche Standards der Teilnahme am Vorbereitungsprogramm gebunden ist. Dass dieser Anspruch für viele Gliederungen des HVD schon an Fragen der Finanzierbarkeit scheitern würde, ist zwar zutreffend, inhaltlich aber kein akzeptables Argument.

Ein anderes Argument spricht jedoch tatsächlich für die Freiwilligkeit der Teilnahme: Der von Groschopp benannte Freiheitsgewinn, der darin liegt, selbst definieren zu dürfen, was einem wichtig ist und was nicht. Dies ist für viele Jugendliche eine zuvor ungewohnte Erfahrung, die leider oft damit beantwortet wird, sich für das Angebot nicht weiter zu interessieren. Die Entscheidung der Nichtteilnahme wird dann hinterher manches Mal bedauert, wenn Freunde von ihren Erfahrungen berichteten. Die Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, ist jedoch auch immer die Freiheit, möglicherweise falsch zu entscheiden, auch dies ist eine "Lerngelegenheit", wie sie die Jugendarbeit bereit hält.


Thesen

Nach diesem Versuch einer kurzen Gesamtschau wesentlicher Debatten zur JugendFEIER unter den Funktionären des Humanistischen Verbandes soll nun in sechs Thesen versucht werden, begründete Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu geben, die sich meines Erachtens aus dem Selbstverständnis einer demokratisch-humanistischen Jugendarbeit ergeben.

1. Die durch jugendsoziologische Untersuchungen bestätigte große Bedeutung des eigenen Nahbereichs und insbesondere der eigenen Familie für Jugendliche in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Verunsicherung wird in der JugendFEIER durch den HVD aufgegriffen. Auch wenn unter den Bedingungen einer verlängerten Jugendphase ein einmaliger "Abschied von der Kindheit" seine gesellschaftliche Legitimation verloren hat, so müssen Jugendliche im Alter von 13-14 Jahren doch einen wesentlichen Ablösungsschritt vom eigenen Elternhaus gehen, da sie in dieser Zeit vermehrt die eigene Persönlichkeit auch in Abgrenzung zu den eigenen Eltern entwickeln und definieren müssen.

Ein "Stufen-Fest", welches diesen Schritt nach außen dokumentiert, erscheint durchaus angemessen. Im Vorbereitungsprogramm wie auch in der Festveranstaltung sollte auf diese Ablösungsprozesse positiv Bezug genommen werden - was weitgehend auch heute schon geschieht. Zugleich kann das Verhältnis des Umgangs der Generationen miteinander hier produktiv thematisiert werden. Dies auch, indem nach den Impulsen gefragt wird, die von älteren Generationen für die eigene Lebensgestaltung ausgehen können - ohne diese jedoch zu überhöhen.

Die JugendFEIER ist häufig vornehmlich eine Entscheidung der Elterngeneration, deren Bedürfnis nach einem würdigen Rahmen für eine Familienfeier auch entsprochen werden muss. Dies muss jedoch auch Anlass sein, bei den Jugendlichen die aufkommenden Ambivalenzen zwischen einem gestärkten Selbstbestimmungsbedürfnis und dem Wunsch nach familiärer Integration zu thematisieren. Dabei muss - und dies ist entscheidend - für Humanistinnen und Humanisten der Wunsch nach Selbstbestimmung der Jugendlichen im Konfliktfall Vorrang haben.

Weitgehend unthematisiert ist, welche Angebote gemacht werden können, um auch die Eltern bei der produktiven Verarbeitung der Konflikte mit ihren Kindern zu unterstützen. Der "Elternratgeber" der HVD war hier ein erster - positiv zu wertender - Versuch. Besonders in Kooperation mit der Lebenskunde an den Schulen und dem dort ebenfalls diskutierten Bedarf nach Beratungsleistungen für die Eltern der Lebenskundeschülerinnen und -schüler könnte hier eine Weiterentwicklung humanistischer Beratungspraxis sinnvoll sein.

2. Zentrale Aufgabe pädagogischen Handelns ist es immer, Kinder und Jugendliche anschlussfähig an die zentralen Aufgaben gesellschaftlicher Reproduktion zu machen. Bis vor etwa dreißig Jahren bedeutete dies u.a. ganz selbstverständlich, sie auf die Übernahme einer Erwerbstätigkeit und eine künftige Rolle als Mutter bzw. Vater vorzubereiten. Diese Gewissheiten sind geschwunden, ohne dass die gravierenden Konsequenzen in der Jugendarbeit bereits hinlänglich angekommen wären.

Derzeit - so muss konstatiert werden - empfinden Jugendliche eine künftige angemessene Teilhabe am Arbeitsmarkt einerseits als zentral für ihr Lebensglück, andererseits wissen sie, dass dieses Ziel bei weitem nicht für alle Angehörigen ihrer Generation zu erreichen sein wird. Der Jugendarbeit fällt als Antwort häufig nur ein, individuelle Unterstützungsleistungen für schulisch schwächere Jugendliche anzubieten ("Hausaufgabenhilfe"). Sie degeneriert so tendenziell zum Unterstützungssystem von Schule, statt die zentralen Systembedingungen des Entfremdungssystems Schule kritisch in Frage zu stellen.

Humanistische Jugendarbeit darf jedoch nicht nur bei der Überwindung ggf. vorhandener individueller Defizite ansetzen, sie muss vielmehr die sich für die Gesellschaft insgesamt ergebenen Fragen und Probleme zum Thema machen. Die "Humanisierung der Arbeitswelt" und die "Demokratisierung der Wirtschaft" (wie sie im Humanistischen Selbstverständnis gefordert werden) müssen als Perspektiven ebenso thematisiert werden, wie konkret danach zu fragen ist, welche Alternativen für ein selbstbestimmtes Leben sich für Menschen ergeben, die sich den Zwängen der Arbeitswelt schon jetzt nicht stellen können bzw. wollen. Ein Humanismus, der diese Fragen nicht thematisiert und sich darum bemüht, hierauf auch lebenspraktische Antworten zu geben, grenzt von vornherein einen großen Teil der Gesellschaft dauerhaft aus.

3. Die zentrale Bedeutung informeller Gesellungsformen Gleichaltriger ("Peergroups") unter Jugendlichen ist nicht nur anzuerkennen, sondern sie ist als ein Freiheitsgewinn gegenüber der früher bestehenden Notwendigkeit, sich frühzeitig allen Zumutungen gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion unterwerfen zu müssen, zu bewerten. Eigene jugendkulturelle Ausdrucksformen bieten auch für die Gesamtgesellschaft die Chance erhöhter Innovationsfähigkeit.

Der HVD sollte sich als Impulsgeber begreifen, der spezifisch humanistische Angebote bei der Sinnsuche unterbreitet. Dabei sollte er auch weiterhin nicht vorschnell auf eine organisatorische Bindung der Jugendlichen setzen, sondern flexible Angebote bereitstellen, die Jugendlichen Hilfen bei der Umsetzung eigener Freizeitbedürfnisse zur Verfügung stellt. So ist der Gedanke selbstverwalteter Jugendzentren in Zeiten der Haushaltskonsolidierung plötzlich auch bei Stadtkämmerern wieder "sexy" und es spricht manches dafür, dies auch zu nutzen.

Damit akzeptiert unsere Jugendarbeit die Erkenntnisse der Jugendforschung, die immer wieder feststellt, dass Jugendliche zwar einen Zusammenhang für ihre Aktivitäten suchen, dem sie sich zugehörig fühlen können, dass sie diesen jedoch nach Bedarf immer wieder wechseln bzw. neu zusammenstellen wollen. Humanistische Jugendarbeit sollte sich offensiv zu diesem Gesellschaftsverständnis bekennen. Es entspricht dem humanistischen Verständnis von Selbstbestimmung weit besser, als ein tradiertes Organisationsverständnis, welches Loyalität selbst dann noch einfordert, wenn die eigenen Überzeugungen dem nicht mehr entsprechen.

4. Noch sind die Angebote der humanistischen Jugendarbeit - insbesondere im Kontext der JugendFEIER - oft sehr stark vorab definiert. Eine zentrale Herausforderung wird es künftig sein, Jugendlichen mehr Gestaltungsspielraum sowohl für die Themenauswahl als auch für die Formen der Jugendarbeit einzuräumen.

Nur wenn solche Spielräume bestehen, ist auch mit der selbsttätigen Übernahme von Verantwortung für das Gelingen der nun selbst gestellten Aufgabe zu rechnen. Und nur so kann Demokratie als selbstverständliches Ordnungsprinzip des gesellschaftlichen Lebens begriffen werden. Zugleich muss sichergestellt werden, dass ein Scheitern an der selbst gestellten Aufgabe möglich bleibt, ohne traumatisierend zu wirken.

Nur wo selbst gewählte Aufgaben bearbeitet werden, kann auch mit einem hohen Maß an Identifikation mit der Aufgabe und - im Idealfall - auch mit dem Träger des Angebots gerechnet werden. Dies ist auch der Schlüssel zum Umgang mit der Frage, was es für humanistische Jugendarbeit heißt, wenn gesellschaftspolitische Entwürfe für Jugendliche heute nur noch geringe Bedeutung haben, Engagement im Nahbereich hingegen von großer Wichtigkeit ist, wie es die Befunde der Jugendforschung ausweisen. Hier ist es Aufgabe humanistischer Jugendarbeit, immer wieder Angebote zu machen, die aufgeworfenen Fragen in einen breiteren Kontext zu stellen, ohne jedoch Jugendlichen diese Ebene aufnötigen zu können oder zu sollen.

In der Frage der Thematisierung der "großen Fragen" wird auch das humanistische Prinzip deutlich, bei der Lösung gesellschaftlicher Problemlagen auf die menschliche Vernunft zu setzen. Einerseits können Lösungen nicht apodiktisch verordnet werden, andererseits müssen gesamtgesellschaftliche Fragen auch durch die gesamte Gesellschaft beantwortet werden, sie entziehen sich individuellen Lösungsstrategien. Der erforderliche gesellschaftliche Konsens muss demokratisch hergestellt werden. Zentrales Mittel hierfür ist die Beteiligung aller Gesellschaftsmitglieder an der Herstellung dieses Konsenses.

Dies erfordert die frühzeitige Einübung demokratischer Kompetenz. Hieran muss humanistische Jugendarbeit aktiv mitwirken. Sie tut dies jedoch nicht nur bei der veränderungsoffenen Gestaltung der eigenen Angebote, sondern auch, indem sie demokratische Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen auf anderen Ebenen (z.B. in der Schule oder der Kommunalpolitik) einfordert und Hilfestellungen bei der Realisierung dieses Anspruchs leistet.

Hier muss sie auch als (bewusst parteilicher) Anwalt der Interessen von Kindern und Jugendlichen gegenüber Erwachsenen auftreten. Humanistische Jugendarbeit hat dabei besonders darauf zu achten, dass Kinder und Jugendliche von Erwachsenen nicht für ihre Interessen missbraucht, sondern gleichwertig bei den Entscheidungen berücksichtigt werden. Welchen Beitrag die JugendFEIER für eine so verstandene humanistische Jugendarbeit leisten kann, ist noch nicht diskutiert und Bedarf der künftigen Präzisierung.

5. Insbesondere die JugendFEIER dient der Selbstvergewisserung einer eigenen säkular-ostdeutschen Identität. Diese Identität ist u.a. durch eine deutlich atheistische Haltung bestimmt. Humanistische Jugendarbeit greift dies auf und bestärkt ostdeutsche Jugendliche (und ihre Familien) darin, diese Identität zu erhalten und weiter zu entwickeln.

Dabei hat der HVD eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Mit seinem humanistischen Angebot greift er das atheistische Selbstverständnis Ostdeutscher auf und macht ein Angebot, wie dieses zu einem humanistischen Selbstverständnis weiterentwickelt werden kann. In den alten Bundesländern kann nicht von einem solchen "Volksatheismus" als Teil einer spezifischen ostdeutschen Identität ausgegangen werden.

Die Träger atheistischer und humanistischer Positionen sind hier - wie es uns diverse Milieustudien immer wieder verdeutlichen - eher tendenziell antiautoritär und linksliberal gesonnene Angehörige des Bildungsbürgertums, deren Abwendung von den Kirchen nicht selten auch über die Abwendung von einem strukturkonservativen Familiarismus stattfand. Ein "Familienfest" ist mithin das letzte, was hier positive Assoziationen wecken könnte.

Damit entfällt hier die wesentliche Motivation zur Teilnahme an der JugendFEIER. Dies sollte anerkannt werden. Der immer größer werdenden Diasporagemeinde der "ostdeutschen Volksatheisten" in den alten Bundesländern sollte jedoch die JugendFEIER nicht vorenthalten werden und wo sich versprengte interessierte "Wessis" finden, die ebenfalls teilnehmen wollen, so sind diese natürlich herzlich willkommen.

6. Schließlich wird es künftig darauf ankommen, eine attraktive Praxis für junge Menschen nach ihrer JugendFEIER zu entwickeln. Dabei müssen Angebote, selber Aufgaben in der Gestaltung der JugendFEIERn einschließlich des Vorbereitungsprogramms zu übernehmen, neben anderen Angebotsformen stehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Jugendarbeit der Jungen HumanistInnen nur für solche Jugendlichen und jungen Erwachsenen attraktiv ist, die sich für ein freiwilliges Engagement in einem pädagogischen Handlungsfeld interessieren.

Den HVD als Weltanschauungsverband ernst zu nehmen bedeutet aber, auch für junge Menschen attraktive Betätigungsfelder anzubieten, die z.B. eher aus einem kulturellen, einem politischen oder einem philosophisch-weltanschaulichem Interesse zum Verband stoßen bzw. bei ihm bleiben wollen. Diese Entwicklung einer erweiterten Praxis der Jugendarbeit kann durchaus auch in Kooperation mit anderen Trägern geschehen.


JUGENDfeier statt JugendFEIER

Vielleicht kann man die Quintessenz dieses Beitrags sehr viel einfacher zusammenfassen: Als ich im Juni bei der Ausarbeitung dieses Beitrags saß, setzte sich meine damals elfjährige Tochter neben mich, die im März bei einer unserer Festveranstaltungen im Friedrichstadtpalast als Gast dabei war. Sie schaute mir über die Schulter und sah, dass ich in diesem Skript das Wort "JugendFEIER" immer mit Großbuchstaben im Wortteil "Feier" schrieb, eine Schreibweise, die sich im HVD in den 1990er Jahren durchgesetzt hat. Daraufhin fragte sie, warum ich dies denn täte, schließlich sei das Wesentliche bei der Jugendfeier doch, dass sie von und für Jugendliche sei und nicht, dass es sich dabei um eine Feier handle.


Anmerkungen

1 Zur Geschichte der Jugendweihe und JugendFEIER bis Ende der 1980er Jahre vgl. Feste der Arbeiterbewegung. 100 Jahre Jugendweihe. Hg. von M. Isemeyer u. K. Sühl. Berlin 1989.

2 Für eine Einführung zu empfehlen ist K. Hurrelmann: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. Weinheim u. München 2006.

3 Vgl. Shell Deutschland Holding: Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck. Frankfurt a.M. 2006

4 Vgl. T. Gensicke, S. Picot u. S. Geis: Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. Wiesbaden 2006.

5 Zitate vgl. H. Groschopp: Jugendweihe und Festkultur. Zum öffentlichen Disput über Jugendfeiern. In: humanismus aktuell, Berlin 4(2000) 7, S.35-49 (die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich hierauf; im Folgenden ha 7).

6 Alle Zitate vgl. V. Müller: Politik, Jugendarbeit und Übergangsrituale. Das regionale Beispiel der Jugendfeiern in Brandenburg. In: humanismus aktuell, Berlin 7(2003)13, S. 94-99 (die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich hierauf; im folgenden ha 13). - Vgl. auch Ders.: Mehr feiern als nur feiern? Humanistische Werte in der Jugendfeier. In: ha 7, S.50-55.

7 Alle Zitate vgl. M. Isemeyer: Die Jugendfeier des HVD. Ein weltanschauliches Angebot: Tradition dieses Festes und Überlegungen für die Gegenwart. In: ha 7, S.56-62 (die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich hierauf).

8 Nachzulesen in G. Ziese-Henatsch: JugendFEIER - auch im Westen? In: ha 13, S.100-103.

9 Zu empfehlen ist hier die Dissertation des evangelischen Theologen A. Döhnert: Jugendweihe zwischen Familie. Politik und Religion. Studien zum Fortbestand der Jugendweihe nach 1989 und die Konfirmationspraxis der Kirchen. Leipzig 2000.


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Quelle:
humanismus aktuell, Heft 21 - Herbst 2007, Seite 77-86
Hefte für Kultur und Weltanschauung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2008