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BERICHT/191: Humanistische Jugendfeier in Stuttgart (diesseits)


diesseits 2. Quartal, Nr. 83/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Humanistische Jugendfeier in Stuttgart: Klasse statt Masse

Stuttgart - Bei strahlendem Frühlingswetter fand am Sonntagmorgen 20. April im Humanistischen Zentrum Stuttgart (Karl-Becker-Haus) die Jugendfeier 2008 des Verbandes Die Humanisten Württemberg statt.



Zwar waren es in diesem Jahr nur drei Jugendliche, die bei den obligatorischen Vorbereitungstreffen und an der Feier teilnahmen, doch zeigte sich in der vor allem durch eigene Wort-, Gesangs- und Musikbeiträge der Jugendlichen abwechslungsreich gestalteten Feier, dass es auf die Quantität nicht unbedingt ankommen muss.

In seinen Begrüßungsworten erinnerte der Geschäftsführer der Humanisten Württemberg, Andreas Henschel, zunächst daran, dass die Jugendweihe in Stuttgart ganz und gar kein Import aus den "Neuen Bundesländern" ist, sondern die diesjährige Feierstunde zugleich eine 60-jährige Jubiläumsfeier sei: Zwar gab es bereits 1947 wieder eine erste Feier nach dem Krieg, doch fand diese damals noch unter eher provisorischen Umständen im stark freidenkerisch geprägten Stadtteil Münster in einem Vereinsheim der dortigen Turn- und Sportvereinigung statt. Ein Jahr später war es dann nach der Wiederzulassung des Verbandes unter dem Namen Freireligiöse Gemeinde erstmals auch offiziell wieder möglich, die Jugendweihe in Stuttgart zu etablieren. Nach diesem kurzen geschichtlichen Rückblick erläuterte Andreas Henschel die immer noch aktuelle Bedeutung der Jugendfeier als eines von Menschen erdachten Brauches und nichtreligiösen Passageritus auf der Schwelle von der Kindheit zum jugendlichen Erwachsenen ohne Glockengeläut und Glaubensbekenntnis. Dass die Jugendfeierteilnehmer sich ihre Weltanschauung selber suchen und erarbeiten können und nicht wie die Mehrzahl Ihrer Altersgenossen im christlich-konfessionell geprägten Süddeutschland an den kirchlichen Verpflichtungsfeiern Kommunion oder Konfirmation teilnehmen müssen, das sei ein Privileg. Und dieses Privileg haben die Jugendlichen ihren Eltern zu verdanken, die sie eben bewusst gegen die vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Konventionen erzögen. Auch für die Eltern bedeute die Jugendfeier eine Zäsur, bei der sie sich ihrer allmählich sich verändernden Rolle in der Erziehung ihrer Kinder bewusst würden, die eben nun zu jugendlichen Erwachsenen heranwüchsen und damit auch ein Stück weit der elterlichen Verantwortung entglitten. Diese mitunter ambivalenten Aspekte in der Entwicklung der Kinder zu Jugendlichen zu thematisieren und mittels der Jugendfeier in einen zeremoniellen Rahmen zu kleiden, darin läge eines der wichtigen Funktionen dieses weltlichen Übergangsritus.


Individuelle Gestaltung

Doch die Feier war nicht nur der weltanschaulichen und pädagogischen Gedankenschwere gewidmet. Musikalisch von der Gruppe "Three Times A Lady" mit flotten Klezmer- und Bluesrythmen umrahmt, stellte Andreas Henschel die drei Jugendlichen, so wie er sie bei den Vorbereitungstreffen im vergangenen halben Jahr kennen gelernt hatte, auf einfühlsame und humorige Weise mit ihren jeweiligen persönlichen Vorlieben, aber auch Abneigungen vor. Und die Jugendlichen hatten dann Gelegenheit, mit ihren eigenen Wort- und Musikbeiträgen zu antworten. So wurde im ersten Teil von ihnen auf der Gitarre das Lied von Bob Dylan "Knocking on Heaven's Door" gespielt, über Familie und Freundschaft gesprochen sowie das Lied "Wind of Change" von den Skorpions gesungen und als auf die eigene, sich gerade so sehr in Veränderung befindliche Lebenssituation bezogen und passend interpretiert. Im eher "klassischen" Teil der jugendlichen Beiträge erklang dann das Adagio aus der Sonata d-Moll von Benedetto Marcello auf der Flöte und schließlich wurde Goethes "Erlkönig" rezitiert und von den Jugendlichen mit der zentralen Aussage an die Welt der Erwachsenen verknüpft: "Hört uns Jugendlichen zu und glaubt uns!"

Nicht nur die anwesenden Angehörigen waren ob der vielseitigen Kreativität, über den Mut sowie die Begeisterung und Ernsthaftigkeit ihrer Kinder beeindruckt. Auch die Gruppe der Jungen Humanisten vom Regionalverband Ost-Brandenburg aus Königs Wusterhausen, die übers Wochenende angereist und im Humanistischen Zentrum untergekommen waren, um Stuttgart zu besuchen und die Jugendfeier hier mitzuerleben, staunten nicht schlecht über das Können und das Engagement, das ihre Altersgenossen in ihrer Feier zeigten. Die Brandenburger waren beeindruckt, wie individuell eine Jugendfeier gestaltet werden kann, wenn sie in der für Humanisten eher weltanschaulichen Diaspora Süddeutschlands über die Bühne geht. Der pädagogische Leiter der Besuchergruppe aus Brandenburg, Günter David, verwies dann auch, in seiner die Aufmerksamkeit der jungen Teilnehmer fesselnden Ansprache, besonders auf die Gemeinsamkeiten, die trotz aller regionalen Unterschiede das Leben der Jugendlichen in Ost- und West heute prägen. Und die Jugendfeierteilnehmer wie auch die anderen anwesenden Jugendlichen bestärkte er darin, ihre "Lebensweichen" jeweils selbstbewusst und selbstbestimmt zu stellen.


Besuch aus Brandenburg

Die drei Stuttgarter Teilnehmer waren sichtlich beeindruckt vom Auftritt der sympathischen Gruppe junger engagierter Humanisten aus Brandenburg während ihrer Jugendfeier. So erfuhren sie vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, dass es noch viel mehr junge Menschen gibt, die ebenso wie sie selbst, nicht religiös aufwachsen. Auch die anwesenden Gäste nebst einigen Vorstands- und Verbandsmitgliedern des ansonsten von Überalterung stark bedrohten Verbandes der Humanisten Württemberg waren zutiefst bewegt vom Auftritt der Jugendlichen. Begegnete ihnen dabei doch auf unkonventionelle Weise das gleichwohl ernsthafte Bemühen und der juvenile Wille, den organisierten Humanismus in Zukunft aktiv mitzugestalten. So wurde dieser Besuch der Jungen Humanisten aus Brandenburg zu einem weiteren imposanten Beleg dafür, wie wichtig und bereichernd die überregionale Zusammenarbeit im Humanistischen Verband Deutschlands für die Zukunft des Württembergischen Verbandes und damit des weltlichen Humanismus in Baden-Württemberg ist.

Die Jugendreferentin des württembergischen Verbandes, Petra Häneke, drückte beim Überreichen der Urkunden und des Buchpräsentes in ihren Gratulationsworten dann auch neben den besten Wünschen für die Zukunft der Jugendlichen die Erwartung aus, dass sie sich auch weiterhin mit den Humanisten Württemberg verbunden fühlen mögen und sich der Verband noch viel von ihnen erhofft.

Beim anschließend an die Feierstunde stattfindenden Sektempfang im mit farbenprächtigen Aquarellen gerade reichlich geschmückten Ausstellungsbereich des Humanistischen Zentrums Stuttgart, überraschten die Ost-Brandenburger Jungen Humanisten ihre württembergischen Altersgenossen mit kleinen Präsenten aus ihrer Heimat: Spreewaldgurken und Königs Wusterhausener Glas- und Porzellanwaren wurden zusammen mit einer Einladung zu einem Gegenbesuch übergeben. Der solle nur möglichst rasch erfolgen...


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Quelle:
diesseits 2. Quartal, Nr. 83/Juni/08, S. 6-8
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2008