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BERICHT/196: Evolutionstheorie und Humanismus (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 84/2008 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Evolutionstheorie und Humanismus
Eine Konferenznachlese

Von Edmund Fröse


Halle - Aus Anlass des 150-jährigen Jubiläums der Erstlesung von Charles Darwins Schrift "Über den Ursprung der Arten...", fand am 11. Juni 2008 ein gemeinsames Kolloquium "Evolutionstheorie und Humanismus" des Humanistischen Regionalverbandes Halle-Saalkreis e.V., der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen-Anhalt e.V. (HRV) und der Humanistischen Akademie statt.


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Nach Aufklärung, Rationalisierung und wissenschaftlich-technischer Revolution wird von Politikern wieder die Aufnahme der christlichen Weltsicht in das deutsche Schulsystem gefordert. Aber die wissenschaftliche Evolutionstheorie steht den Lehren des Kreationismus diametral gegenüber. An der Interpretation der Evolutionstheorie entzünden sich auch heute, wie bereits vor 150 Jahren, hitzige Debatten.

Im Eröffnungsbeitrag von Dr. K. Stöber "Darwins Theorie und seine Kritiker - gestern und heute" wurde die wissenschaftliche Bedeutung der Darwinschen Evolutionstheorie, mit der eine unerhörte, neuartige Denkweise ansetzte, verdeutlicht. Seine Theorie, die zugleich den Mechanismus des Wandels der Arten durch natürliche Selektion und Variationen der Individuen erklärt, revolutionierte das biologische Denken, weil nunmehr der Wandel, die Entwicklung biologischen Lebens und nicht mehr die morphologische Klassifizierung des Lebendigen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses stand.

Darwins Werk, so Dr. H. Groschopp in seinem Beitrag "Zur Aufnahme von Darwins Lehre bei den Freidenkern", gab dieser Bewegung einen enormen Schub. Darwin widerlegte nicht nur die göttliche Urheberschaft des Menschen, er verwies auch auf die gemeinsame Abstammungsgeschichte aller Lebewesen, insbesondere der von Affen und Menschen, was zu jener Zeit eine unerhörte Behauptung darstellte. Die biologische Tatsache der natürlichen Selektion wurde insbesondere von Haeckel auf die gesellschaftliche Entwicklung übertragen. Der Sozial-Darwinismus folgerte, dass ebenso wie in der Natur sich auch auf der gesellschaftlichen Ebene der "Kampf ums Dasein" vollzieht und stets der Stärkere gewinne. Um dies zu unterstreichen, führte Haeckel den Begriff "Lebenswert", der den "Unwert" wie das "unwerte Leben" impliziert, ein. Über den "Lebenswert" einer Rasse solle der Staat, so Haeckel, wachen. Hier wird deutlich, wie die Interpretation der Evolutionstheorie unmittelbar unsere weltanschaulichen Überzeugungen zur Frage nach der Entstehung des Lebens, zur Stellung des Menschen in Natur und Gesellschaft berührt. Im Kern geht es um die Möglichkeit zur individuellen und politischen Selbstbestimmung des Menschen und der Verantwortung des Menschen für sein Handeln.

Wie Dr. Fröse in seinem Beitrag "Wissenschaft, Ethik und Humanismus" ausführte, kann aber die Frage, "Was soll ich tun?" von den Einzelwissenschaften nicht geklärt werden, denn sie geben Auskunft darüber was ist, ihr höchster Wert ist die objektive Erkenntnis. Handlungsanleitung geben uns ethische Maxime, die in weltanschauliche Überzeugungen, wie z.B. den atheistischen Humanismus, eingebettet sind.

Von welchem Menschenbild, so kann im Anschluss an den Vortrag von Dr. V. Schubert-Lehnhardt "Das Prinzip der 'natürlichen Auslese' und das Bild vom behinderten Menschen heute", gefragt werden, lässt sich die moderne biomedizinische Debatte leiten? Wenn die Humanisierung des Menschen als Vernunft-Wesen als gescheitert angesehen wird, eröffnen uns nun die Perspektiven der Manipulation des Erbgutes die Möglichkeit der "Verbesserung" des Menschen? Bereits vor der Geburt wird nach Erbkrankheiten des werdenden Menschen gesucht und entsprechend "selektiert". Wer aber soll die Kriterien der Selektion festlegen? Eine solche Entscheidung setzt eine ethische Bewertung nach einem "Lebenswert" voraus. Droht in diesen aktuellen Debatten ein neuer "Rassismus" nach Erbmerkmalen? An diesen medizinethischen Fragen entzündete sich eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern.

Von besonderer aktueller Bedeutung in den weltanschaulichen Auseinandersetzungen sind Fragen der Bildung und Erziehung, wie im abschließenden Vortrag von Christoph Lammers "Zwischen Arche Noah und Beagle. Evolutionstheorie, Kreationismus und Bildung" hervorgehoben wurde. Die Veränderungen im deutschen Bildungssystem, wie z.B. die Privatisierung oder die Umstellung von Wissens- auf reine Informationsvermittlung, leisten kreationistischen Positionen Vorschub. Auch in der Bundesrepublik wird der Ruf nach Einführung des christlichen Schöpfungsmythos in die Lehrpläne mit dem Argument der "Freiheit der Wissenschaften" gerechtfertigt. Doch die Lösung der aktuellen Probleme der Gerechtigkeit, des Klimawandels, der Verknappung der Rohstoffe und Nahrungsmittel verlangt nach einer aufgeklärten, wissenschaftlichen Weltsicht, die den ethischen Maximen des Humanismus verpflichtet ist.


Dr. Edmund Fröse ist Philosoph und Mitarbeiter im Humanistischen Regionalverband Halle-Saalkreis.


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 84/September/08, S. 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2008