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BERICHT/222: Religionen und Weltfrieden - Internationales Symposium in Osnabrück (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 93/2010 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Religionen: Weltfrieden - Internationales Symposium


Osnabrück - Vom 20. bis 23. Oktober fand in Osnabrück das internationale Symposium "Religionen und Weltfrieden. Zum Friedens- und Konfliktlösungspotenzial von Religionsgemeinschaften" statt. Die Humanisten in Osnabrück mischten sich ein, nicht unbedingt im Sinne des Veranstalters.


Das Symposium sollte einen Blick auf die konfliktentschärfende Wirkungskraft von Hinduismus, Buddhismus, Islam, Christentum und Judentum werfen. Die Veranstalter beabsichtigten damit, die friedensfördernde Wirkung von Religionen in den Mittelpunkt zu rücken und warben mit folgenden Worten für die Veranstaltung:

"Schlagzeilen über blutige Auseinandersetzungen ... prägen in regelmäßigen Abständen den medialen und wissenschaftlichen Diskurs über Religion und Religionsgemeinschaften. Viel zu selten werden religiöse Akteure thematisiert, die einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, drohende Gewaltausbrüche rechtzeitig zu verhindern oder bereits ausgebrochene Konflikte zu deeskalieren."

Neben wissenschaftlichen und theologischen Veranstaltungen konnten zahlreiche Vertreter der genannten Weltreligionen ihre Arbeit vorstellen. Der Humanistische Verband Osnabrück hat sich an dieser Zielsetzung und dem Ausschluss nicht-religiöser, besonders humanistischer Positionen gestört und als aktives Mitglied der Aktionsgruppe "Weltfrieden und Religion?" einen Appell an die Veranstalter gerichtet, in dem er die fehlende Beteiligung von Friedensinitiativen sowie konfessionsfreier, diesseits- und werteorientierter Weltanschauungsgemeinschaften bedauern. Sie kritisierten, dass das auf wenige Religionen verengte Symposium bewusst auf die Mitwirkung eines großen Teils der gesellschaftlichen Friedenskräfte verzichte. Die Aktionsgruppe sah sich gezwungen, mit ihrer Kritik auf das von der Stadt Osnabrück verantwortete Rahmenprogramm auszuweichen. Sie zeigte die Ausstellung des HVD zur Geschichte des Humanismus im Forum der Städtischen Bühnen und veranstaltete am gleichen Ort einen öffentlichen Vortrag mit anschließender Diskussion mit Dr. Michael Schmidt-Salomon.


Kritischer Gegenvortrag

Michael Schmidt-Salomon hielt seinen, wie er selbst sagte, Gegenvortrag zum Eröffnungsvortrag Hans Küngs unter dem Titel: "Religion und Gewalt - warum die Religionen keine treibende Kraft für eine Kultur des Friedens sind" am Vorabend des internationalen Symposiums. "Eine gemeinsame Vision vom Frieden in der Welt? Religionen als treibende Kraft für eine Kultur des Friedens" - so lautet der Titel der am Folgetag auf dem Programm stehenden Eröffnungsrede von Hans Küng. Um das Ziel seiner Gegenthesen verständlich zu machen, bemühte sich der Referent, Küngs Idee eines Weltethos zunächst möglichst verständlich vorzustellen und die erwarteten Hauptaussagen des Eröffnungsvortrags schon vorweg zu nehmen.

Küng werde zwar Probleme im interreligiösen Dialog sehen, doch werde er der Überzeugung sein, dass es keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden geben könne. Dafür werde Küng jedoch gleich die Lösung parat haben: Religionen müssten das ihnen allen innewohnende Humanum - das Menschliche an sich - herausarbeiten und dessen Verbreitung und Durchsetzung als gemeinsame Aufgabe wahrnehmen.

Das Humanum sei nach Küng der Kern einer jeden Weltreligion. Durch interreligiösen Dialog müsse man nun die gemeinsamen ethischen Grundsätze herausbilden. Schmidt-Salomon vermutete, dass Küng diese Grundlagen anhand eines "Potpourri der schönsten Verse aus den heiligen Schriften der Weltreligionen" belegen werde. Er würde berichten, dass der interreligiöse Dialog vorangekommen und seine konsequente Fortsetzung wichtig sei. Das rechtfertige öffentliche Mittel für runde Tische und internationale Konferenzen wie diese.

So sehr Schmidt-Salomon sich auch wünsche, dass Küng Recht behielte und die Bemühungen des Projekts Weltethos tatsächlich nachhaltig wirkten, so hege er doch erhebliche Zweifel an der treibenden Friedenskraft der Religionen, die er anhand dreier Thesen verdeutlichte.


These: Kern der Religionen ist Abgrenzung

Der wahre Kern der Religionen sei nicht das "Humanum", sondern die konfliktträchtige Differenzierung zwischen Mitgliedern und Außenstehenden - im Gegensatz zu einer humanistischen Ethik, die ihre Prinzipien auf alle Menschen anwende. In den "heiligen Schriften" fänden sich anstelle einer universellen Ethik vielmehr eine Differenzierung zwischen einer Binnenmoral der Milde, des Respekts und der Fairness, im Gegensatz zu einer Außenmoral gegenüber anders denkenden, ungläubigen Nicht-Mitgliedern, für die diese Gebote nicht gelten. Wie sich dieser Dualismus für kriegerische Zwecke nutzen lasse, zeige nicht zuletzt die schwer zu widerlegende Berufung Osama Bin Ladens auf den so genannten Schwertvers im Koran, in dem zur Tötung von Heiden aufgerufen würde.

Wie können Religionen trotz dieser offensichtlichen und Gewalt fördernden Tendenz zur Abgrenzung eine treibende Kraft für den Weltfrieden darstellen? Küngs Hoffnung beziehe sich daher nicht auf solch vormoderne, unaufgeklärte Formen von Religion. Küng setze vielmehr auf die so genannte Aufgeklärte Religiosität, die auf internationalen Kongressen vorherrsche.


These: Aufgeklärte Religiosität ist kein Modell der Zukunft

Nur - dieses Modell ist nicht zukunftsfähig sondern vielmehr ein vom Aussterben bedrohtes Phänomen der europäischen Kulturgeschichte. Das von der Aufklärung geprägte Christentum Europas sei eine Promenadenmischung, die eine wesentliche Funktion der Religion, Menschen Halt und Geborgenheit zu bieten, kaum noch erfüllen kann. Schmidt-Salomon sieht Anzeichen dafür, dass die Zukunft mehr und mehr geprägt sein wird vom Widerstreit fundamentalistischer Religion und konsequenter Aufklärung. Menschen wänden sich konsequenteren Haltungen zu, da religiöser Glaube mit wissenschaftlicher Vernunft bei heutigem Wissensstand immer schwerer zu vereinbaren sei. Dies setze die Vertreter der "aufgeklärten Religion" unter Druck.

Dieser Trend sei weltweit zu beobachten. Wie sehr fundamentalistischer Glaube sich verbreitet, lasse sich am Erfolg der Evangelikalen in Südamerika und Afrika sehen und an der damit einhergehenden Gewalt am Beispiel der Hexenverfolgung in Nigeria. Die aufgeklärte Religion verliere ihre Vermittlerrolle zwischen Religion und Aufklärung und damit ihr Potenzial zur Erreichung eines Weltfriedens.


These: Politischer Einfluss von Religionen ist ein Problem, keine Lösung

Da die Regeln und Werte des Zusammenlebens für alle gelten und für alle einsichtig sein müssen, können sie nur diesseitig begründet werden. Daher sei es ein kluger Schachzug der Aufklärung gewesen, Religion aus der Politik zu verbannen. So sei die Entwicklung des modernen Rechtsstaates nicht dem Einfluss des Christentums zu verdanken, sondern der Befreiung von diesem Einfluss. Dieses Projekt der Aufklärung müsse nun fortgeführt werden: Religiöse Begründungsmuster gehören im politischen Bereich abgeschwächt statt verstärkt, es dürfe keine Einschränkung der Menschenrechte zugelassen werden, auch nicht durch ein Verbot der "Diffamierung der Religion" durch den UN-Menschenrechtsrat.

Zwar stünden meist auch ökonomische, ökologische, soziale Interessenskonflikte im Zentrum kriegerischer Auseinandersetzungen, doch trügen Religionen durch ihre Ingroup/Outgroup-Normierung zu einer Eskalation solcher Konflikte bei, statt sie abzumildern.

Dauerhafter Frieden sei nur möglich wenn wir uns nicht primär als Juden, Christen, Moslems, Hindus, Buddhisten oder Atheisten wahrnähmen, sondern als Menschen, oder, in den Worten des Referenten: als "gleichberechtigte Mitglieder einer zu kolossaler Selbstüberschätzung neigenden affenartigen Spezies".

Im Anschluss an den Vortrag diskutierte das Publikum mit dem Referenten noch fast eineinhalb Stunden so engagiert, dass niemand das Foyer vorzeitig verlassen mochte. Dabei wurden die naturgemäß zugespitzten Thesen kritisch hinterfragt und erläutert. Besonders durch die Diskussionsbeiträge des Osnabrücker Theologieprofessors Mokrosch, Mitglied des Wissenschaftlichen Rates der Osnabrücker Friedensgespräche, der sich an der Exegese der heiligen Schriften durch den Referenten störte, wurde der große Bedarf an Austausch und Verständigung zwischen theologischen und humanistischen Standpunkten und Argumentationen überdeutlich.

Diese Erfahrung bestärkte die Aktionsgruppe "Weltfrieden und Religion?" in ihrer Forderung, dass dezidiert nicht-religiöse, religionskritische und humanistische Perspektiven Teil des eigentlichen Symposiums hätten sein müssen, dass jede künftige Konferenz selbst ein Beispiel für die Integration humanistischer Traditionen setzen möge.


Küng: Menschenrechte sind nicht genug

Das internationale Symposium "Religionen: Weltfrieden" wurde naturgemäß im weit größeren Rahmen der Osnabrücker Stadthalle feierlich eröffnet. Neben dem Hauptredner, dem Präsidenten der Stiftung Weltethos Tübingen, Herrn Prof. Dr. Hans Küng, sprachen die Vertreter der Organisatoren und Geldgeber dieses Symposiums: der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Friedensforschung, Prof. Dr. Michael Brzoska; der Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück, Boris Pistorius und der parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Dr. Helge Braun, ihre Grußworte.

An dieser Stelle wurde bereits deutlich, dass die Kombination der Themen Religionen und Weltfrieden keinen Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer großzügigen finanziellen Unterstützung durch Steuer- und Stiftungsgelder aufkommen ließ. So betonte der Staatssekretär Dr. Helge Braun, dass das Christentum das Fundament unserer freiheitlichen Grundordnung darstelle und dass er schon für geringere Ziele als den Weltfrieden morgens aufgestanden sei.

Als hätte Küng den Vortrag von Dr. Schmidt-Salomon gehört, vermied er es, das Weltethos mit einem "Potpourri der schönsten Verse aus den heiligen Schriften" zu belegen. Stattdessen versuchte er anhand der Aufzählung erfolgreicher Beispiele, die Friedensarbeit von Religionsführern oder religiösen Politikern zu belegen.

Gleich zu Beginn gestand er ein, dass der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück gerade kein Beispiel für die friedensstiftende Kraft von Religionen darstelle, denn es war ein religiöser Krieg, der nur politisch und unter Ausschluss der Religionen beendet werden konnte.

Zu Küngs Beispielen aus der Praxis zählen muslimische Religionsführer in Uganda, die ihren Einfluss im Bildungswesen geltend machen, um mit religiösen Begründungen auf Gewaltverzicht der muslimischen Bevölkerung hinzuwirken.

Das herausragende Beispiel ist für Küng jedoch die Erklärung zum Weltethos von Chicago 1993, in der Vertreter aus 125 Religionen und religiösen Traditionen sich auf vier ethische Grundforderungen einigten: Du sollst nicht töten, stehlen, lügen und Unzucht treiben, übersetzt in die heutige Sprache: Gewaltlosigkeit und Ehrfurcht vor allem Leben, Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung, Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit, Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau. Als grundlegende Gemeinsamkeit nannte er die "Goldene Regel".

So sehr Küng die Erklärung der Menschenrechte auch begrüße, so sehr sehe er die Notwendigkeit, weltweit gültige moralische Forderungen an die Menschen zu stellen. Gemeinsame moralisch-ethische Grundüberzeugungen über Werte, Pflichten und Rechte seien eine notwendige Grundlage für gemeinsame Friedensanstrengungen. Das christliche Europa sei Vergangenheit. Dies rufe Laizisten auf den Plan. Um nun ein Verschwinden positiver, moralischer Forderungen zu verhindern, sei eine Einigung auch mit Nicht-Religiösen notwendig.


Kein Beleg für grundsätzliches Friedensinteresse

Im abschließenden Podiumsgespräch fiel Ulrich Wickert die Rolle zu, einige kritische Punkte anzusprechen. In Anlehnung an den Buchtitel "Religion Macht Frieden" schlug er vor, den Titel des Symposiums in "Religionen: Kirchen:Weltfrieden" umzubenennen und wies somit darauf hin, dass auch in Küngs Vortrag nicht deutlich wurde, was mit "Religionen" gemeint sei: Glaubenssysteme, Institutionen, Gemeinschaften? Auch sei ein Hinweis wie "Die Käßmann hat mal einen Satz gebracht" für ihn noch kein überzeugender Beleg für grundsätzlich am Frieden ausgerichtete Religionen.

Küng sah sich bestärkt, auf Kräfte innerhalb der Religionen einzuwirken, die seinem Ideal des Weltethos entgegenstehen. Dazu gehört offensichtlich auch der Vatikan. Er brachte noch ein wesentliches Argument für das Projekt Weltethos ins Spiel: Bei Kulturen, in denen die Pflichten und nicht die Rechte des Einzelnen im Mittelpunkt stehen, wie z.B. China, falle die Idee moralisch-ethischer Forderungen eher auf fruchtbaren Boden als die der Tradition von Aufklärung und Humanismus entstammenden Menschenrechte.


Was haben wir gelernt?

Küngs Vortrag konnte keine der drei Thesen Schmidt-Salomons entkräften. Religionen können zwar ihren Einfluss für friedensdienliche Zwecke einsetzen, was sie zum Teil auch tun. Die Frage ist nur: können sie es besser als andere Überzeugungen oder Institutionen? Tun sich Religionen aufgrund ihrer wesentlichen Eigenschaften und Funktionen nicht gerade besonders schwer?

Es wäre natürlich wünschenswert, dass Projekte wie das Küngsche Weltethos und Symposien über Religionen und Weltfrieden derart aufklärerisch auf Religionen einwirken, dass sie sich dem Weltfrieden verschreiben. Die Gefahr besteht nur darin, dass solche Symposien und Initiativen die (politische) Bedeutung von Religionen und das (blinde) Vertrauen in sie verstärken. Zu leicht wird übersehen, wie sehr man sich der Willkür aussetzt, mit der Religionen ihre eigenen, heiligen Wahrheiten interpretieren.

Das erklärte Ziel der Veranstalter des Symposiums, das Verständnis der Religionen als treibende Kraft für den Frieden zu stärken, wurde sicherlich erreicht.


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 93/2010, S. 7-9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011