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ETHIK/026: Der Wille des Patienten hat oberste Priorität (diesseits)


diesseits 4. Quartal, Nr. 81/2007 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Der Wille des Patienten hat oberste Priorität
Der Lahrer Kodex stärkt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient

Von Patricia Block


Wenn sich Ärzte angesichts schwerster Leiden fragen, wann sie lebenserhaltende Apparate abstellen dürfen, so ist diese Frage falsch gestellt. Korrekt müsste es heißen: 'Wie lange dürfen wir noch weitermachen?'
(Dr. med. Michael de Ridder, Leiter der Rettungsstelle des Vivantes-Klinikums "Am Urban" in Berlin-Kreuzberg und Mitunterzeichner)

Die Würde des Menschen ist unantastbar und durch unser Grundgesetz geschützt. Dies gilt auch für die letzte Lebensphase eines schwer kranken Menschen. Weder die gesetzlichen Vorgaben noch die aktuelle Rechtsprechung haben die Zweifel der Ärzte in existenziellen Grenzsituationen bei der Behandlung ihrer Patienten beseitigen können. Eine Initiative des Herzzentrums Lahr/Baden möchte sowohl den Ärzten als auch ihren Patienten, deren Angehörigen, Betreuern und Bevollmächtigten mehr Sicherheit geben.


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Am Donnerstag, dem 27. September 2007, wurde in den Räumen der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung der Lahrer Kodex unterzeichnet, mit dem sich Ärzte zur Wahrung der Patientenautonomie und zur Befolgung von Patientenverfügungen verpflichten. Initiiert von Medizinern des Herzzentrums Lahr/Baden war neben weiteren Ärzten und nichtmedizinischen Experten auch der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), vertreten durch Gita Neumann, Bundesbeauftragte für Patientenverfügungen und Humanes Sterben, maßgeblich an der Abfassung des Kodex' beteiligt. Der Ärztekodex folgt der Position der vom Bundesministerium der Justiz eingesetzten Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende" und den Empfehlungen der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorge und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis.

Die politische Debatte um die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen wird voraussichtlich Ende dieses Jahres zu einem Abschluss kommen. Ob das dann vorliegende Gesetz geeignet ist, einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Willen des Patienten zu garantieren, bezweifelte Initiator Dr. Dr. med. Tejas Alexander, Chefarzt der Anästhesiologie am Herzzentrum Lahr/Baden, auf der Pressekonferenz. Er und seine Kollegen wollten nicht auf den Gesetzgeber warten, sondern sich schon vorab gegenüber ihren Patienten persönlich verpflichten, deren Wünsche zu respektieren. Diese Haltung ist erfreulich, macht eine gesetzliche Regelung jedoch nicht entbehrlich. Auf die Frage, was geschieht, wenn der Kodex mit dem zukünftigen Gesetz kollidiert, machte Till Müller-Heidelberg von der Humanistischen Union deutlich klar, dass es dann darum gehen wird, dieses Gesetz vor dem Verfassungsgericht zu Fall zu bringen.

Damit für Patienten erkennbar ist, nach welchen Grundsätzen ein gewählter Arzt an der Schwelle zwischen Leben und Tod handeln wird, wurde ein Logo entwickelt, mit dem nur werben darf, wer diesen Kodex unterschrieben hat.

(Auf der Seite www.lahrer-kodex.de können sich Mediziner den Erstunterzeichnern anschließen.)


Die drei Grundsätze des Lahrer Kodex

1. Der Wille des Patienten hat für mich oberste Priorität.

Ich verpflichte mich, den Willen meiner Patienten zu achten und ihm im Rahmen des medizinisch wie rechtlich Möglichen zu entsprechen. Falls ein Patient entscheidungsunfähig ist, werde ich eine vorher von ihm oder eine von seinem Vertreter vorgelegte Patientenverfügung respektieren, sofern diese aktuell und auf die gegebene Situation anwendbar ist. (...)

2. Ich werde für meine Patienten im Notfall alles Mögliche tun oder veranlassen und auch die Verantwortung für ein würdiges, möglichst schmerzfreies Sterben übernehmen.

Als Arzt bemühe ich mich prinzipiell, Leben zu bewahren und Krankheiten nach zeitgemäßen Qualitätsstandards der medizinischen Forschung zu heilen oder zumindest die verbleibende Lebensqualität zu verbessern. Solange eine Prognose nicht völlig aussichtslos ist und der Patient dies wünscht, halte ich dazu auch Maximaltherapie für geboten. Ich bin mir jedoch bewusst, dass ich einen unvermeidbaren Tod nicht als persönliche Niederlage anzusehen und nicht bis zuletzt zu bekämpfen habe. (...)

3. Ich nehme mir Zeit für Gespräche "von Mensch zu Mensch", nutze kollegiale Fallbesprechungen und trage zur Vertrauensbildung bei.

Ich nehme mir Zeit, Angehörige und dem Patienten sonst nahe stehende Personen sowie Betreuer und Bevollmächtigte über den Krankheitsverlauf und damit zusammenhängende notwendige Entscheidungen aufzuklären, sofern meine Schweigepflicht dem nicht entgegensteht. Ich bemühe mich, gegenseitiges Verständnis zu fördern. Ich bin an Sichtweisen und Bewertungen von Kollegen - vor allem auch der Pflege - interessiert und werde mich mit ihnen in Teamsitzungen regelmäßig austauschen und bei Konflikten auf die Möglichkeit einer ethischen Fallbesprechung hinweisen. (...)


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 81/2007, S. 24
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
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Jahresabonnement: 12,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2008