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GESELLSCHAFT/028: Ethiksteuer für alle? (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 90/2010 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Ethiksteuer für alle?

Von Lutz Renken


"Wer aus der Kirche austritt und keine Kirchensteuer zahlt, sollte eine andere Abgabe an eine soziale Einrichtung wie das Rote Kreuz entrichten", forderte Prof. Ulrich Blum kurz vor Weihnachten in der Bildzeitung. Blum ist Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Er schlägt eine "Ethiksteuer nach italienischem Vorbild" vor, um so die Zahl der Kirchenaustritte zu bremsen und Trittbrettfahrerverhalten zu unterbinden. Schließlich nähmen auch Nicht-Kirchensteuerzahler häufig soziale Dienste der Kirchen in Anspruch. Der Hebesatz dieser Ersatzsteuer könne 7 Prozent der Einkommenssteuer betragen, also knapp unter dem der Kirchensteuer liegen.


Ein Weihnachtsmärchen

Mit dem Erscheinen des Interviews am 22. Dezember 2009 folgte eine Reihe von Artikeln und Kommentaren in diversen Print- und Onlinemedien, in denen es zumeist um die Frage ging, ob die Kirchensteuer nun primär soziale Dienste finanziert, die allen zu Gute kommen.

Ich gehe davon aus, dass die Diesseits-Leser bereits wissen, dass das nur sehr begrenzt der Fall ist. So werden nur etwa 10 Prozent der Kirchensteuer für soziale Dienste verwendet, soziale Einrichtungen wie z. B. Krankenhäuser oder Kindergärten werden fast vollständig aus öffentlichen Mitteln und Krankenkassen- bzw. Elternbeiträgen finanziert. Zusätzlich zur Kirchensteuer erhalten die Kirchen Subventionen in Milliardenhöhe.

Zu Recht bezeichnet Rudolf Ladwig (IBKA) daher in der "taz" die Unterstellung, mit der Kirchensteuer würden soziale Dienste finanziert, als "Weihnachtsmärchen". Mir scheint es so, als sei dieses Märchen die eigentliche "Moral der Geschicht'" von Prof. Blum.

In der geringen finanziellen Eigenbeteiligung an sozialen Einrichtungen wie z. B. Krankenhäusern und Kindergärten sehe ich das geringere Problem, denn auch andere gemeinnützige Organisationen nutzen solche staatlichen Hilfen.


Quasi-Monopol der Kirchen

Es gibt jedoch relevante Unterschiede zwischen den verschiedenen gemeinnützigen Sozialdienstleistern: Das Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt sind im Gegensatz zu den Kirchen und dem HVD keine religiösen oder weltanschaulichen Körperschaften und unterhalten keine Tendenzbetriebe. Im Gegensatz zu allen anderen Trägern dominieren die kirchlichen Einrichtungen in einigen Bereichen und Regionen jedoch das Angebot staatlicher und nichtstaatlicher Sozialeinrichtungen.

Es ist diese Kombination von Dominanz und Tendenz, die mir Sorgen bereitet: In einigen Landstrichen finden Eltern kaum nicht-religiöse Alternativen zu konfessionellen Kindergärten, Arbeitssuchende kaum Alternativen zu Diakonie und Caritas.


Kirchensteuer ist Mitgliedsbeitrag

Im Allgemeinen wird man Mitglied einer gemeinnützigen Organisation, um ihre gemeinnützige Arbeit zu unterstützen, und weil man die entsprechenden weltanschaulichen, religiösen, politischen oder sozialen Grundsätze teilt.

Es steht jedem Mitglied frei, der Organisation diese Unterstützung durch Austritt zu entziehen. Das gilt für das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, Greenpeace, die Zeugen Jehovas und den HVD. Selbstverständlich muss das auch für die Kirchen gelten.

Wie die einzelnen Organisationen mit der Entwicklung ihrer Mitgliederzahlen umgehen, darf nicht Sache des Staates sein. Somit ist das Motiv, die Kirchenaustritte zu bremsen, keine legitime Rechtfertigung für eine Ersatzsteuer.

Schon jetzt sind die großen Kirchen im Vorteil: Ihr Mitgliedsbeitrag wird als sogenannte Steuer durch den Staat eingezogen. Allein diese Tatsache nährt den verbreiteten Irrglauben, den Blum nach den Weihnachtstagen in weiteren Kommentaren ausspricht: "Kirchenflucht aus finanziellen Gründen ist moralisch verwerfliche Steuerhinterziehung" ("Die Welt" vom 28.12.2009).


Ethiksteuer nicht im Interesse der Kirchen

Interessanterweise bezeichnet nicht nur der Steuerzahlerbund den Vorschlag als "Schnapsidee", auch Vertreter der Kirchen verhalten sich eher ablehnend oder bedeckt.

Das verwundert mich nicht, denn die Idee der Ethiksteuer, wie sie in Italien, Spanien und Ungarn eingeführt ist, geht zurück auf das Konzept der "Mandatssteuer" des Kirchenkritikers Horst Herrmann von 1972.

Die Ethiksteuer ist in der Praxis weder in Italien noch anderswo eine Ersatzsteuer neben einer Kirchensteuer. Sie wird von allen Steuerzahlern abgeführt, ihnen wird lediglich das Mandat übertragen, welche gemeinnützige Organisation davon profitieren soll. So stehen neben den Kirchen dann Freidenker, Greenpeace und Amnesty International zur Auswahl.

Auch ist der Hebesatz mit maximal ein Prozent der Einkommenssteuer erheblich geringer als die derzeitige Kirchensteuer in Deutschland, was hierzulande die Frage nach zusätzlichen Mitgliedsbeiträgen und eine öffentliche Diskussion um staatliche Subventionen nach sich ziehen würde.

Wird die Ethiksteuer nicht als Ersatzsteuer verstanden, dann halte ich sie für eine durchaus diskussionswürdige, nicht privilegierende Alternative zur derzeitigen Kirchensteuer in Deutschland. Doch allein die öffentliche Diskussion um die wahren staatlichen Subventionen werden die Kirchen scheuen wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 90 1/2010, S. 27
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2010