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KULTUR/043: Im Paradies versteckt - die Anschauung der Welt (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 78/2007
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Im Paradies versteckt: Die Anschauung der Welt

Von Renate Hücking


Das Paradies ist in den meisten Religionen ein Garten. Im Christentum ist es der Garten Eden, im Islam erwarten den Märtyrer Jungfrauen an kühlenden Bächen, die Kelten hatten Avalon, den Apfelgarten, die Griechen den Garten der Hesperiden. Und der Esoteriker heutzutage verspricht sich sein Heil eher von unberührter Wildnis.

Da stellt sich die Frage, wie sich die jeweils herrschende Weltanschauung in der Gestaltung von Gärten und Parks widerspiegelt. Konnte man in vergangenen Zeiten den Glauben eines Landesherren an seinem Garten erkennen?

In loser Folge wird sich diesseits in verschiedenen Gärten umschauen.


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Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.
(Jorge Luis Borges)

Tausende strömen auf Gartenfestivals, an Sommerwochenenden locken landauf, landab "Offene Gartenpforten" den Freizeitmenschen in die Gärten wildfremder Leute. Der Garten hat sich zum Massenspaß entwickelt. Garten ist Lifestyle. Und ein Geschäft.

99 Cent für sechs Stiefmütterchen, wie soll das gehen? Indem man die Pflänzchen massenweise turboschnell vermehrt, sie in Asien aufziehen lässt, um sie dann vollgepumpt mit Chemie hierzulande auf Gartencenter zu verteilen. Und wenn sie die ersten sechs Wochen nicht überstehen, werden sie weggeworfen, steht doch der Nachschub schon im Regal. Die Industrieware Billigpflanze ist ein Wegwerfprodukt. Mit "Natur" hat das wenig zu tun.

Das zu vergessen helfen Gartenzeitschriften mit ihren schönen Bildern. Sie zeigen den Trend: Wie hätten Sie's gern? Romantisch, postmodern oder Zen? Mit üppigem Rosenbogen oder ein Design fast ohne Pflanzen? Vielleicht eine Venus oder einen Buddha als Dekoration? Die Konsumgesellschaft produziert eine Gartenmode nach der anderen. Fast alles ist erlaubt. Fast alles ist erschwinglich: Schöne demokratische Gartenwelt!

Auch Gartenbücher verkaufen sich blendend: Prächtige "Tablebooks" für das "Gardening" im Sessel und jede Menge Ratgeber: "Easy Gardening" für Anfänger, die ein Veilchen kaum vom Stiefmütterchen unterschieden können; "Lazy Gardening" für Zeitgestresste, die sich weismachen lassen, Gärtner könnten ungestraft faulenzen. Duft- und Heilgärten, Wellness- und Wohlfühlgärten - wo Zeit ein Luxusgut ist, haben Oasen paradiesischer Ruhe und Entspannung Hochkonjunktur.

Herrscht in der Natur nicht ein anderer Zeittakt als im "wirklichen" Leben? Wird der Rhythmus im Garten nicht nach wie vor von den Jahreszeiten bestimmt? Überliefertes Gärtnerwissen und handgeschmiedetes Werkzeug stehen hoch im Kurs, Kräuter für die Küche und Heilpflanzen für die Gesundheit scheinen unwiderstehlich - "Gutes aus Klöstern" verspricht eine Produktgruppe des Edelversands "Manufactum" der mit dem Versprechen wirbt: "Es gibt sie noch, die guten Dinge".

Doch Nostalgie kann die verlorene Beziehung zur Natur nicht ersetzen. Das Lebewesen Pflanze eignet sich nicht fürs "Instant gardening". Auch wenn es wenig anspruchsvolle Arten sind, ihre Pflege ist immer zeitintensiv: Ständig ist etwas zu tun, es wird gegraben und gehackt, gedüngt und gewässert, hier frisst die Schnecke, dort muss die Schere schon wieder für Ordnung sorgen. Nur durch die gewaltige Investition an Arbeit und Zeit wird der Gärtner seinen Garten fühlen, erleben und seine Schönheit erkennen. Oft lässt diese Belohnung lange auf sich warten - doch dann ist es im Garten wie im "irdischen Paradies".


Der "Garten Gottes"

Dieses Bild vom "irdischen Paradies" taucht in den unterschiedlichsten Kulturen und Sprachen auf. Gemeint ist der Ort, in dem sich der Traum des Menschen, mit der Natur in Einklang zu leben, erfüllt. Dabei ist ein Garten immer ein umfriedetes, vom Menschen bearbeitetes Stück Natur, das von der "wilden" Natur draußen abgegrenzt ist.

Der 825 entstandene St. Gallener Klosterplan zeigt uns vier ummauerte Gärten in der nach außen völlig abgeschlossenen Welt einer Benediktinerabtei. Ein stilisierter Garten Eden liegt im Zentrum des Klosters: Es ist die vom Kreuzgang umgebene, durch ein Wegekreuz gevierteilte Fläche, in deren Mitte ein Baum steht (später ist es meist ein Brunnen). Die Wege symbolisieren die vier Hauptströme, die im Paradies entspringen (1. Mose, 2,8-15). Dieser schmucklose Garten gehört ganz dem Schöpfer, ist ein Ort des Gebets und der Andacht.

Wenn der Mönch Pachomius im 4. Jahrhundert schreibt: "Der Ort im Kloster, wo man Gott am nächsten ist, ist nicht die Kirche, sondern der Garten", dann könnte das auch auf den Baumgarten zutreffen, der in unmittelbarer Nähe zur Kirche liegt. Hierbei handelt es sich um einen Gartenraum, der zu Recht als ein erster christlich-abendländischer Gartenentwurf gedeutet wird: Zwischen 14 Laub- und Obstbäumen, die um ein Kreuz gruppiert sind, liegen Mönche begraben. Eine Schrift erinnert an die Kreuzigung, die Auferstehung Christi und das Ewige Leben. Trauer und Hoffnung, Tod und Auferstehung - dieser Garten symbolisiert sowohl das Paradies als auch den Garten Gethsemane, in dem die Leidensgeschichte Christi begann.

Auch die beiden Nutzgärten auf dem Klosterplan sind "Gärten Gottes", beziehen doch die angebauten Gemüse, Würz- und Heilkräuter, die die Menschen ernähren und ihre Krankheiten heilen, ihre Kräfte "von Gott als höchstem Gärtner". Er ist ihr Schöpfer, und die Aufgabe der Mönche ist es, die Pflanzen zu hegen und zu pflegen, um dadurch die Schöpfung zu preisen. Nicht zu übersehen auf den Beeten sind die weiße Lilie und die rote Rose: Die eine steht für die Reinheit Marias; in der roten Rose begegnet uns das Bild von Rosenkranz und Dornenkrone: Martyrium und strahlender Glaube - beide Blumen verweisen darauf, dass selbst Nutzgärten hinter Klostermauern sakrale Räume sind. Die Verherrlichung Gottes ist ihre Daseinsberechtigung.


Der "Garten des Königs"

Die Daseinsberechtigung des Barockgartens ist dagegen die Repräsentation der Macht seiner Eigentümer. Darüber hinaus feiert der Mensch sich in diesen feudalen Anlagen selbst. Die Naturwissenschaften haben das mittelalterliche Weltbild über den Haufen geworfen: Nicht mehr Gott, sondern der menschliche Genius ist die zentrale Kraft. Sie hat die Erkundung der Welt vorangetrieben; neue Kontinente sind entdeckt, fremdartige Pflanzen und Tiere haben Europa erreicht.

Politisch hat sich der Absolutismus durchgesetzt: Es ist das Jahrhundert eines Sonnenkönigs, und wenn Ludwig XIV. (1638-1715) in Versailles Hof hält, dann ist er mit seinem Schloss und seinem Park der Mittelpunkt der Welt. Einen ganzen Landstrich hat sein Architekt Le Nôtre mit einem geometrischen Muster aus Hecken, Wegen und Wasserläufen überzogen. Dieser monumentale Garten hat Blickachsen, die sich bis an den Horizont erstrecken und die Macht des absoluten Herrschers demonstrieren, eine Macht, sie sich offenbar auch auf die Beherrschung der Natur erstreckt. Denn nichts in diesem Garten ist dem Zufall überlassen. Alles ist berechnet, den Gesetzen der Perspektive unterworfen. Keine Pflanze wächst so wie sie wachsen möchte - egal ob Baum oder Strauch, Berg oder Tal - allem hat der Mensch seinen Willen aufgezwungen. Sogar dem Wasser, das aus Brunnen stürzt oder aus der Ebene viele Meter hoch in den Himmel steigt.

Unentbehrlich im Barockgarten sind Pflanzen, die dem Diktat der Heckenschere gehorchen. Hainbuchen etwa, die zu hohen Hecken gezogen werden oder Buchsbaum, der zu schmalen, nur zehn Zentimeter hohen Bändern gestutzt, in einer Art Stickmuster auf farbigen Kies gepflanzt wird. Weder in den Hecken noch in diesen "Broderie-Parterres" zählt die einzelne Pflanze; sie verschwindet in der grünen Architektur oder im Ornament der abstrakten Linien, deren Raffinesse und Perfektion der Hausherr am besten aus der erhöhten Position der Beletage überblickt.

Der "Garten des Königs" ist eine Fortsetzung der Repräsentationsräume ins Freie und die Bühne für ein aristokratisches Publikum, das Musik, Theater und rauschende Feste liebt. Unverzichtbare Kulisse solcher Vergnügungen ist der Jardin d'Oranges". Die in Kübeln wachsenden Orangenbäume sind nicht nur äußerst kostbar; die Bäumchen mit dem glänzenden Laub, den stark duftenden Blüten und den orangefarbenen Früchten gelten als Sinnbilder der Herrschaft, denn die "pommes d'oranges" deutet man als die goldenen Äpfel aus dem legendären Göttergarten der Hesperiden, die Herkules aus strengster Bewachung rauben konnte. Und da der Held mit seinem Wagemut, seiner Tatkraft und Stärke die Tugenden eines barocken Herrschers verkörpert, dürfen Orangen in keinen fürstlichen Garten fehlen. Sofern die Pflanzen des Südens selbst im Norden überleben, blühen und Früchte tragen, wird erneut bewiesen, dass der Mensch die Natur spielend beherrschen kann.


Der "Garten der Freiheit"

Der Aufstand gegen die "Vergewaltigung der Natur" durch Schere und Lineal im formalen französischen Garten kommt im 18. Jahrhundert aus England. "Fürstliche Laune hat all das erfunden, und höfische Sklaverei und Abhängigkeit hält es am Leben", schreibt 1711 der Naturphilosoph Shaftesbury (1671-1713), und die englische "Gartenrevolution" versteht sich ausdrücklich als Spiegel der gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen im Land: Die Macht des Monarchen wird zugunsten des Parlaments beschnitten, und die bis heute gültige konstitutionelle Monarchie wird eingeführt. Aus dem friedlichen und einträglichen Nebeneinander von feudalem Großgrundbesitz und neureichem, städtischem Bürgertum erwachsen wirtschaftliche und politische Freiheiten, so dass England technisch, wirtschaftlich und politisch zum liberalsten und fortschrittlichsten Land Europas wird.

Die neue Gartenkunst propagiert das harmonische Nebeneinander gleichberechtigter Naturbilder; statt grüner Architektur und beschnittener Pflanzen wird im englischen Landschaftspark die natürliche Entfaltung der einzelnen Pflanze gefordert. Hatte der "Garten des Königs" die Natur sorgfältig ausgegrenzt, so propagiert der "Garten der Freiheit" die Öffnung des Parks zur Landschaft und ihren Naturschönheiten.

Hügel, Täler, Bäche, Bäume und Waldstücke werden wie Gemälde betrachtet. Die großen Vorbilder sind Claude Lorrain und die Gebrüder Poussin. In diesem Sinne ist der ideale Landschaftspark als eine fließende Abfolge von begehbaren "Bildern" gestaltet. Dazu wird das Terrain modelliert, das Wasser gelenkt, das Pflanzenmaterial sorgfältig gewählt und kunstvoll im Raum komponiert. Die Natur wird inszeniert, doch soll man die Arbeit des Regisseurs nicht erkennen. Alles soll wie zufällig, möglichst natürlich wirken.

Religiös werden die idealisierten Landschaftsbilder als Abbilder der Schöpfung interpretiert, und so schleicht sich erneut eine Paradies-Vorstellung in die Gartenkunst ein. Häufig werden die Landschaftsparks als "Kathedralen der göttlichen Natur" beschrieben, wobei dieser Gott sich in der Schönheit seiner Schöpfung offenbart. Die ist mit allen Sinnen erfahrbar, und wir nehmen sie nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl wahr.

In dieser Hinwendung zur Innerlichkeit erweist sich der Garten erneut als kulturhistorisches Dokument, in dem man die sozialen und politischen Verhältnisse seiner Entstehungszeit ablesen kann: So reagiert das 18. Jahrhundert mit der Empfindsamkeit auf die Herrschaft der bürgerlichen Vernunft und der Glorifizierung der ökonomischen Effizienz. Damals hat der Weg in die Industriegesellschaft und die damit einhergehende Ausbeutung der Natur begonnen. Ungeheure Zerstörungsprozesse wurden in Gang gesetzt und die Entfremdung von Mensch und Natur ist das Ergebnis.


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Von Renate Hücking und ihrer Co-Autorin Kej Hielscher sind im Piper Verlag erschienen:

"Süchtig nach Grün. Gärtnerinnen aus Leidenschaft"; 2007 (19.80)
"Oasen der Sehnsucht. Von Gärten im Verborgenen"; 2006 (8,90)
"Pflanzenjäger. In fernen Welten auf der Suche nach dem Paradies"; 2004 (8,90)


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 78/2007, S. 29-31
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. Oktober und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 12,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2007