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POLITIK/0005: Afrikareise - Ratzinger und die Schatten der Kirche (Ingolf Bossenz)


Ratzinger und die Schatten der Kirche

Die christliche Mission begleitete die Hegemonialpolitik und die
wirtschaftliche Ausbeutung Afrikas durch die europäischen Mächte

Von Ingolf Bossenz


Francis Arinze hatte es nicht geschafft. Die Hoffnungen vieler afrikanischer Katholiken, die vor der Papstwahl im April 2005 auf dem nigerianischen Kardinal ruhten, wurden dennoch nicht enttäuscht.

Der »konservative deutsche Kardinal Joseph Ratzinger«, wie »Daily Nation« (Kenia) damals vermerkte, sorgte mit seiner Berufung an die Spitze der römisch-katholischen Kirche südlich der Sahara für Erleichterung. Dort ist das Hauptverbreitungsgebiet des Christentums auf dem »schwarzen Kontinent«. Und dort wird der rigide Konservatismus, den der heute 81-Jährige über die Etappen Theologieprofessor, Erzbischof und Glaubenspräfekt bis hin zum Pontifex maximus gepflegt und zugespitzt hat, ganz anders goutiert als in dem von »aggressiver Säkularisierung« (Ratzinger) erfassten Europa.


Roms »Zaubermagie der Dogmatik«

Die afrikanische katholische Kirche gilt als extrem konservativ. Nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Hubertus Mynarek sind ihre Bischöfe die »gehorsamsten« der römischen Weltkirche. Sie hätten keine Probleme mit der »Zaubermagie der katholischen Dogmatik« und würden dieses System der »Doppelmoral und Unterwürfigkeit« entscheidend stützen, sagte Mynarek gegenüber dem ND.

Da wirkt es wie eine Fügung des Fatums, dass Benedikt XVI. nach der wochenlangen Debatte um die Piusbrüder und den Holocaustleugner Williamson ab diesem Dienstag für ein paar Tage in eine Region entrinnen kann, wo ihm Zustimmung und Huldigung sicher sind, wo sich für seine Mission, die Romkirche »katholischer« zu machen, frische ideologische Stützbalken einziehen lassen. Seine erste Afrikareise führt den Papst nach Kamerun und Angola. Während ein gutes Drittel (6,6 Millionen) der Kameruner dem katholischen Glauben anhängt, sind es in Angola sogar über zwei Drittel (9,3 Millionen). Im Unterschied zu Nordafrika bis nach Sudan, wo der Islam dominiert, ist die Bevölkerung südlich der Sahara stark christianisiert. Dort wachsen die christlichen Kirchen weltweit am schnellsten. Nach Ansicht des US-Religionswissenschaftlers Philip Jenkins wird der Kontinent zum »spirituellen Zentrum der Weltchristenheit« aufsteigen. Eine Entwicklung, die einen festen Platz in der Strategie des Heiligen Stuhls gefunden hat. Johannes Paul II. weilte in seinen über 26 Amtsjahren 13 Mal in Afrika und besuchte dort insgesamt 38 Länder.

Zwar sind rund 140 Millionen der knapp 900 Millionen Afrikaner Katholiken (15,6 Prozent). Doch das ebenso reichhaltige wie schillernde Angebot auf dem afrikanischen Markt des Glaubens - auch des christlichen - ist durchaus nicht immer im Sinne des Vatikans. Denn bei dem Boom neuer Kirchen geht es meist weniger um die von Rom verkündete reine Lehre der Una Sancta, sondern vor allem um evangelikale Gründungen, die eine auf religiösen Massenkonsum angelegte charismatisch-eklektische Mixtur anbieten, die mit wörtlicher Bibelauslegung ebenso wenig Probleme hat wie mit Wunderheilungen oder einer auf die baldige Wiederkehr Christi ausgerichteten Endzeittheologie. Dieser Bibelfundamentalismus trachtet danach, das strikte Fügen unter weltliche wie religiöse Autoritäten mit scheinbar freiheitlich-individueller Spiritualität zu versöhnen.

Bemerkenswert bei diesen sakral-mystischen Aktivitäten ist eine ausgesprochen profane Querverbindung, auf die die Politikwissenschaftlerin Katharina Hofer verweist: »Angesichts einer auf Rohstoffsicherung ausgerichteten Wirtschaftspolitik der USA gegenüber Afrika kann die finanzielle Vorherrschaft der Amerikaner in der internationalen evangelikalen Bewegung durchaus als Ergebnis einer geostrategischen Allianz religiöser und wirtschaftspolitischer Akteure gedeutet werden.« Zwar schränkt die Afrikanistin ein, es würde »zu kurz greifen, wenn man diese Partnerschaft als Teil einer kalkulierten Politik beschreiben würde«. Doch die Parallelen zur Verbreitung des Kirchenchristentums in Afrika sind evident.


Gedämpfte Erwartung an Synode im Herbst

War doch die Mission eng mit der Hegemonialpolitik und der wirtschaftlichen Ausbeutung durch die europäischen Mächte verbunden. Für das afrikanische Intermezzo des deutschen Kaiserreichs steht unter anderem Kamerun, das 1884-1916 deutsche Kolonie war und dessen katholische Kirche im späten 19. Jahrhundert durch deutsche Angehörige des Pallottinerordens gegründet wurde.

Vor der Ankunft des Papstes bat Kameruns Kommunikationsminister Jean-Pierre Biyiti bi Essam die heimischen Medien um »Waffenstillstand«. Diese liefern sich einen Schlagzeilenkrieg um den Aufstieg neuer christlicher Sekten und den sinkenden Einfluss der katholischen Kirche. Schließlich will Benedikt XVI. während eines Gottesdienstes im Fußballstadion der Hauptstadt Yaoundé das »Instrumentum Laboris«, das Arbeitspapier für die Afrika-Synode des Vatikans im Oktober, veröffentlichen. Die Versammlung von Kardinälen und Bischöfen ist - nach 1994 - die zweite zum Thema Afrika.

Die Erwartungen sind gedämpft. Zumal Benedikt mit der Enzyklika »Deus caritas est« dokumentiert hat, dass seine Interpretation der katholischen Soziallehre fest auf den Fundamenten des herrschenden Systems ruht. Kardinal Arinze, der im Auftrag des Papstes die Synode leiten wird, erklärte denn auch bereits vorab, die Kirche habe weder politische noch wirtschaftliche Rezepte für Afrika. Es gehe ihr vor allem darum, so der Nigerianer, »den Stimmlosen eine Stimme zu geben und die Menschenrechte zu verteidigen«. Ein ehrgeiziges Anliegen: Afrika ist nach wie vor der ärmste Kontinent, auf dem 300 Millionen Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen.

Der heikelste Programmpunkt der Reise ist am Sonntag eine Freiluftmesse auf dem Cimangola-Feld in der angolanischen Hauptstadt Luanda. Wird doch dieser Gottesdienst ganz im Zeichen der ersten Evangelisierung Angolas durch portugiesische Missionare vor 500 Jahren stehen. Als Benedikt XVI. im Mai 2007 Brasilien besuchte, hatte er sich bei ähnlichem Anlass den Unmut der Ureinwohner zugezogen. Die katholische Kirche, so Ratzinger in einer Rede, habe sich den Indios in Lateinamerika nicht aufgezwungen. Vielmehr hätten die Stämme die Ankunft der Priester im Zuge der europäischen Eroberung herbeigesehnt.

Den Vorwurf, er verstehe die Realität der Ureinwohner nicht, wird der Papst sicher kein weiteres Mal provozieren wollen. Vielleicht folgt er ja Johannes Paul II., der zumindest »Fehler« während der Evangelisierung einräumte. Eine minimale Geste - angesichts der langen historischen Schatten, die Roms Beihilfe zu Sklaverei und Ausplünderung geworfen hat.


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Quelle:
Ingolf Bossenz, März 2009
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 17.03.2009


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2009