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VEGETARIERBUND/334: Gespräch mit Angela Grube (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch, Oktober/November/Dezember 2007
Das Magazin vom Vegetarier-Bund Deutschlands e.V. (VEBU)

"Ich stoße schon irgendwie auf Ablehnung..."


Dipl.-Päd. Angela Grube ist Dipl.-Pädagogin, Tierschutzlehrerin und Autorin des Buches "Vegane Lebensstile" (Ibidem Verlag). Als Vegan-Expertin untersucht sie seit Jahren die Sozialisation von Veganern und ist Mitbegründerin des Praxisseminars "Vegan leben - praktisch (VLP)". Wir haben das vom VEBU angebotene Seminar in unserer letzten Ausgabe ausführlich vorgestellt. "Vegane Lebensstile" war "Buch des Monats" in unserer Ausgabe 112007. Eine Zusammenfassung des Werkes von Angela Grube haben wir in drei Teilen in Ausgabe 3 und 4/2006 sowie in Ausgabe 1/2007 veröffentlicht. Wir haben die Autorin interviewt.

Das Interview führte Guido Barth

GUIDO BARTH: Guten Tag, Frau Grube. Sie beschäftigen sich mit den sozialwissenschaftlichen Hintergründen von Veganer/innen In Deutschland. Was hat Sie dazu bewegt, dieses Buch zu verfassen? Und was genau sind die sozialwissenschaftlichen Hintergründe?

ANGELA GRUBE: Ich freue mich über Ihr Interesse für das Thema. Bereits in meiner Jugend begann ich mich für den Vegetarismus und Veganismus zu interessieren und musste im Laufe der Zeit feststellen, dass es fast ausschließlich ernährungswissenschaftliche Literatur zu dem Thema gab. Insbesondere Studien zum Veganismus konzentrieren sich nahezu ausschließlich auf ernährungsphysiologische Auswirkungen einer veganen Ernährungsweise und ignorieren wichtige Lebensbereiche und soziale Faktoren. Ich konnte keine Untersuchungen finden, die erforschten, warum Menschen in der westlichen Welt überhaupt zu Veganern werden. Dies zu ergründen, d.h. was Menschen dazu veranlasst, in einer Gesellschaft, in der der Verzehr von Tieren und der Gebrauch von vom Tier stammenden Produkten (wie Fleisch, Milch, Eier, Leder und Wolle) zum Alltag gehört, zu Veganern werden, war das Ziel meiner Arbeiten.

Um die sozialwissenschaftlichen Hintergründe zu erforschen, konzentrierte ich mich vornehmlich auf die wichtigsten Sozialisationsinstanzen, die jeder Mensch durchläuft. Im Einzelnen sind diese Instanzen, die das Verhältnis zur Ernährung und Umwelt prägen, die Bereiche Familie, Kindergarten, Schule, Freunde und Medien.

GUIDO BARTH: Sie haben im Rahmen Ihrer kürzlich publizierten Untersuchung anhand einer qualitativen und quantitativen Studie den Lebensstil von Veganern untersucht. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

ANGELA GRUBE: Diese Untersuchung zur Sozialisation von Veganern bestand aus zwei Erhebungen, den mündlichen Interviews und den schriftlichen Fragebögen. Insgesamt lagen der Gesamtstudie 14 Tiefeninterviews und 150 Fragebögen von Veganern zugrunde.

Die Ergebnisse der Studien deuten darauf hin, dass sich die Gemeinsamkeiten der untersuchten Veganer unter dem Begriff eines "Veganen Lebensstils" zusammenfassen lassen, der in der Ablehnung tierischer Produkte, der Ablehnung einer Ausbeutung von Tieren, der Entwicklung von Strukturen zur Aufrechterhaltung einer veganen Lebensweise, einer eigenen Symbolik und Sprache (z. B. das V-Label und der Verwendung des Adjektivs "tierlich" statt "tierisch") besteht.

Im Gegensatz zu einer vegetarischen Lebensweise bezieht sich ein veganer Lebensstil nicht nur auf das Ernährungsverhalten, sondern versucht darüber hinaus, jede Ausbeutung von nichtmenschlichen Tieren zu vermeiden. Aus diesem Grund lehnen Veganer nicht nur den Verzehr tierischer Nahrungsmittel (wie Fleisch, Fisch, Geflügel, Eier, Milchprodukte und Honig) ab, sondern auch die Verwendung von Produkten, die ganz oder teilweise aus tierischen Rohstoffen hergestellt werden (wie Pelz, Leder, Wolle, Seide, Tierborsten, Federn), oder für die Tierversuche (z. B. für Kosmetika und Reinigungsmittel) durchgeführt wurden.

Als weiteres Ergebnis ist festzuhalten, dass sich der vegane Lebensstil im kontroversen und ablehnenden Austausch mit der sozialen Umwelt behaupten muss, und der Tatsache, dass die Mehrheit der Veganer zuvor vegetarisch gelebt haben.

GUIDO BARTH: Gibt es zu Veganer/innen auch historische Quellen? Was sagen diese über VeganerInnen?

ANGELA GRUBE: Der Begriff "vegan" ist ein relativ neuer Begriff und hat seine Wurzeln im angelsächsischen Raum. Er entstand im November 1944 in Großbritannien als Wortschöpfung durch Donald Watson (1910 - 2005), Mitglied der damals neu gegründeten Vegan Society. Vegan ist eine Abkürzung des englischen Wortes "vegetarian", und wurde aus dessen ersten und letzten Buchstaben gebildet. Mit dieser neuen Wortkonstruktion soll der konsequente und gänzliche Verzicht auf alle tierischen Produkte, auch über die Ernährung hinausgehend, beschrieben werden. Da dieser Begriff bis 1944 nicht existierte, gibt es kaum historische Quellen, die einen Unterschied zwischen Vegetarismus und Veganismus machen. Nur sehr wenige Schriften (z.B. bei Haussleiter) lassen die Vermutung zu, dass es bereits in der Antike verschiedene Propheten gab, die konsequent vegetarisch und möglicherweise vegan gelebt haben.

GUIDO BARTH: Wie entwickelt sich eine vegane Lebensweise? Geht in den meisten Fällen eine vegetarische Ernährung voraus?

ANGELA GRUBE: Ja, dies ist in der Tat so. Meine Untersuchungen bestätigen, dass einer veganen Lebensweise in der Regel eine vegetarische Ernährungsweise vorangeht. Die befragten Veganer/innen lebten im Durchschnitt ca. 5 Jahre lang vegetarisch, bevor sie sich für eine vegane Lebensweise entschieden.

GUIDO BARTH: Wie wird die Entscheidung zu einer neuen Ernährungsform getroffen - emotional, intellektuell? Weiche Rolle spielen soziale Widerstände bei der Entscheidung? Was hält die Menschen auf dem doch mitunter "schwierigen Weg"?

ANGELA GRUBE: Die Mehrheit der Befragten Veganer/innen hat sich aus ethischen Gründen für diese Lebensweise entschieden. Nach den Gründen für ihren veganen Lebensstil befragt, nennen 93 % der Teilnehmer ethische Motive und 35 % moralische. Diese ethisch-moralischen Motive resultieren vor allem aus einem emotionalen Gefühl des Mitleids mit dem Tier. 21 % führen ökologische Argumente an, 15% nennen gesundheitliche Motive und 13 % der Befragten nennen ökonomische Gründe. 4 % nennen religiöse Motive und 13 % geben "Sonstiges" an. Hierunter fallen politisches Verständnis, Empathie, positive Erlebnisse mit Tieren, Schlüsselerlebnisse, Tierschutz und Liebe zur Natur. Mitunter kam es vor, dass die Studienteilnehmer sich aus intellektuellen Gründen für eine vegetarische Ernährungsweise entschieden haben und sie im Laufe der Zeit schließlich aus ethischen Gründen vegan wurden.

Bezogen auf die Umstellung auf die vegane Lebensweise kritisierten die Befragten neben einer mangelnden Akzeptanz durch die Gesellschaft das unzureichende Angebot an veganen Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen im regionalen Umfeld. Ein Veganer sagte in diesem Zusammenhang: "Ich stoße schon irgendwie so auf Ablehnung oder auf Unverständnis bis hin zur Ablehnung. Was dann natürlich wiederum dazu führt, dass ich es argumentativ rechtfertige, was ich tue, was dann manchmal zu Diskussionen führt." Er fügt hinzu: "Manchmal ist es, als wenn man von einem fremden Stern kommt. Und was halt auch erschwerend hinzukommt, ist das Negativimage, was über die Medien teilweise aufgebaut wird.

Dass man mitbekommt ... Vegetarier, alles klar, ... das sind gute Menschen. Veganer, das sind halt Chaoten irgendwie. Das ist auf jeden Fall ein Problem."

GUIDO BARTH: Wie beurteilen Sie die Situation von Vegetarierinnen und Veganer/Innen in Deutschland?

ANGELA GRUBE: Es ist zu beobachten, dass zunehmend mehr Menschen in Deutschland vegetarisch bzw. vegan werden. Das kann man auch daran erkennen, dass die Nahrungsmittelindustrie auch in konventionellen Supermärkten zunehmend mehr vegane Produkte anbietet.

Die Tatsache, dass einer veganen Lebensweise in der Regel eine vegetarische Ernährungsweise vorausgeht, lässt vermuten, dass es in Zukunft nicht nur mehr Vegetarier, sondern auch mehr vegan lebende Menschen geben wird. ich nehme an, dass sich die vegane Bewegung ähnlich entwickeln wird wie die vegetarische Bewegung vor etwa 20 Jahren.

GUIDO BARTH: Welche gesellschaftliche Rolle spielen VeganerInnen zurzeit? Welche können sie spielen, realistisch betrachtet aufgrund des geringen Organisationsgrades; weiche bei besserer Organisation, aufgrund der Tatsache, dass es bei uns über 6 Millionen VegetarierInnen gibt und schätzungsweise knapp 250.000 VeganerInnen?

ANGELA GRUBE: Die gesellschaftliche Relevanz, die Veganer /innen in Zukunft haben werden, ist natürlich schwer einzuschätzen. Nach dem derzeitigen Wissensstand gehe ich davon aus, dass sich die Gruppe der Veganer von einer Subkultur zu einer Gruppe entwickeln wird, die gesellschaftlich, marktwirtschaftlich und politisch stärker wahrgenommen werden wird. Insbesondere durch ihr Kaufverhalten nehmen Veganer deutlichen wirtschaftlichen und politischen Einfluss auf die bestehende Situation. Veganer stellen zwar noch eine Minderheit unserer Gesellschaft dar, jedoch ist es offensichtlich, dass sich immer mehr Menschen für diese Lebensweise entscheiden.

GUIDO BARTH: Seit 2006 bieten Sie zusammen mit Ihrer Kollegin Blane Ronken das Seminar "Vegan leben - praktisch" an. Was können wir uns unter diesem Seminar vorstellen?

ANGELA GRUBE: "Vegan leben - praktisch" (VLP) ist ein "Rund-um-Paket" zum Einstieg in die vegane Ernährung bzw. die gesamte vegane Lebensweise. Neben einem sozialwissenschaftlichen Überblick über Veganer in Deutschland, Motive und Lebensweisen, bietet das Seminar Antworten auf wichtige Fragen hinsichtlich einer gesunden veganen Ernährung.

Das VLP-Seminar besteht aus drei Haupteinheiten: Der erste Teil beschäftigt sich mit sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen zu Veganern. Der zweite Punkt beinhaltet das Thema Vegane Ernährung im gesundheitlichen Kontext. Hier werden Informationen zu Bestandteilen und Gestaltung einer ausgewogenen veganen Ernährung vermittelt. Dies ist ein sehr wichtiger Bestandteil, da es aufgrund der fehlenden, unsachlichen und teilweise falschen Darstellung in den Medien und den veralteten Lehrmeinungen häufig Unsicherheiten und Ängste bezüglich einer ausreichenden Nährstoffversorgung in der veganen Ernährung gibt. Diese können in diesem Seminar auch angesprochen und geklärt werden. Der dritte Teil konzentriert sich auf die praktische Umsetzung der Frage "Wie lebe ich vegan in einer nicht-veganen Gesellschaft?"

VLP ist also ein Leitfaden für die rein pflanzliche Lebensweise, eine kompakte Info-Einheit zu allem, was man für das vegane Leben im Alltag wissen muss: Neue Produkte, Bezugsquellen, Kontakte, Rezepte, Buch- und Internettipps, aktuelle Informationen rund um die gesundheitliche Seite der veganen Ernährung und natürlich ein reichhaltiges Buffet veganer Snacks und Non-Food-Produkte zum Probieren und mitnehmen.

Darüber hinaus dient das Seminar als Kommunikations-, Kennenlern- und Austauschplattform, bei der sich angehende und langjährige Veganer austauschen und neue Bekanntschaften oder Netzwerke bilden können.

GUIDO BARTH: Das Seminar klingt sehr Interessant. Wo finden denn die VLP Seminare statt? Wer kann daran teilnehmen? Und wer genau führt dieses Seminar durch, gibt es eine Kontaktadresse?

ANGELA GRUBE: Die nächste VLP-Veranstaltung findet jetzt im Herbst 2007 am 27.1 0. in München in Kooperation mit dem VEBU statt. Anmeldungen zu der Veranstaltung nimmt der VEBU entgegen (Anmerkung der Red.: siehe S. 32/33 der Ausgabe 3/2007). Teilnehmen kann jeder, der sich für den Veganismus interessiert. Das können durchaus auch Veganer/innen sein, die an neuen Eindrücken oder der auf dem Seminar präsentierten Vielzahl an kosmetischen Produkten und Lebensmitteln interessiert sind. Präsentiert wird das Seminar von mir und meiner Kollegin Biane Ronken, die Dipl. Betriebswirtin und angehende Präventologin ist.*

GUIDO BARTH: Sind weitere Veröffentlichungen über Veganer geplant?

ANGELA GRUBE: Ja, das Buch "Vegane Biografien", das aus Erfahrungsberichten von Veganern besteht, wird im ibidem-Verlag erscheinen. Zudem arbeite ich an einer weiteren Studie zur Sozialisation und dem Lebensstil von vegan lebenden Personen. Mit ersten Ergebnissen kann ab Ende 2007 gerechnet werden.


Zur Person:
Angela Grube (geb. 1970) ist Dipl.-Pädagogin und studierte Erziehungswissenschaften in Duisburg und Bielefeld. Derzeit promoviert sie an der Universität Hannover zum Thema "Veganer in Deutschland (VID) - eine empirische Studie veganer Lebensstile". Ein direkter Kontakt zu ihr ist über die E-Mail-Adresse vid@gmx.de möglich.

© Guido Barth, 2007

Unser Tipp: Für zukünftige Veranstaltungen kann das VLP-Seminar von Einzelpersonen, Gruppen oder Firmen auch direkt bei "Vegan Voice" gebucht werden:

Vegan Voice
D-33 529 Bielefeld
Postfach 10 29 24
veganvoice@gmx.net


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Quelle:
natürlich vegetarisch, Magazin vom Vegetarier-Bund Deutschlands e.V.
58. Jahrgang - Quartal 4/2007, S. 13-15
Vegetarier-Bund Deutschland e.V. (VEBU)
Blumenstraße 3, 30159 Hannover
Telefon: 0511/363 20 50, Fax: 0511/363 20 07
E-mail: info@vebu.de
Internet: www.vebu.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2007