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VEGETARIERBUND/355: Vegetarische Ernährung und Umweltschutz (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 02/10 - Frühling 2010
Das VEBU Magazin

Vegetarische Ernährung und Umweltschutz

Von Katja und Holger Angenent


Werden vegetarisch lebende Menschen gefragt, was sie zu ihrer Ernährungsweise gebracht hat, antworten die meisten mit einem Verweis auf ethische Gründe. Doch was selbst vielen vegetarisch lebenden Menschen nicht bewusst ist: Sie schützen mit ihrer Ernährung das Klima und die Umwelt. Ein Aspekt, der in Zeiten der globalen Klimaerwärmung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Doch wie hängen vegetarische Ernährung und Umweltschutz genau zusammen? Geht es beim Klimaschutz nicht eher um die Industrie und den Verkehr anstatt um Ernährung?

Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich die Vorgänge des Klimawandels genauer ansehen.

Generell ist das Klima auf der Erde ausgeglichen. Durch die Strahlung der Sonne wird es auf der Erde warm, gleichzeitig gibt die Erde Wärme wieder in den Weltraum ab. Solange beide Prozesse ungestört verlaufen, bleibt die Temperatur auf der Erde im Mittel gleich. Die Wärmeabgabe der Erde wird jedoch unter anderem von Treibhausgasen wie CO2 in der Atmosphäre verringert. Diese Treibhausgase wirken also wie eine Isolation der Erde, ohne sie würde es kälter werden, aber zu viele Gase sind ebenso schädlich. Seit Beginn der Industrialisierung werden zunehmend größere Mengen an Treibhausgasen freigesetzt, die in naher Zukunft eine beträchtliche Auswirkung auf das Weltklima haben werden: Es wird wärmer. Schuld daran sind die Menschen mit all ihren industriellen Produktionsstätten.

Es muss hier betont werden, dass im Rahmen der Klimadebatte immer von Durchschnittstemperaturen die Rede ist. Klima ist nicht mit Wetter zu verwechseln. Die Tatsache, dass es einen kalten Winter gegeben hat, beweist leider nicht, dass der Klimawandel nicht stattfindet. Um den Klimawandel nachzuweisen ist es nötig, die gesamte Welttemperatur über mehrere Jahrzehnte zu messen. Aber ist es überhaupt schlimm, wenn sich das Klima erwärmt?

Für uns in Europa mag das erstmal nicht viel ändern, aber die Brisanz des Klimawandels wird deutlich, wenn man den Blick in andere Regionen der Welt wirft.

Eine Folge ist das Auftauen des arktischen Permafrostbodens. Der Boden speichert in gefrorenem Zustand jede Menge CO2. Durch das Auftauen werden noch mehr Treibhausgase freigesetzt, der Treibhauseffekt wird beschleunigt. Vor 35 Jahren konnte man 225 Tage, heute nur noch 75 Tage im Jahr mit einem Auto auf dem Permafrostboden fahren. Seit 1970 nahmen Menge, Ausdehnung und Dicke des Eises der Arktis um 40 Prozent ab. In 50 Jahren wird die Eisdecke vollkommen verschwunden sein. Seit kurzem findet man vermehrt ertrunkene Eisbären, die manchmal Strecken über 100 km schwimmen müssten, um noch Packeis zu erreichen.

Auch die Gletscher schmelzen, unter anderem am Kilimandscharo-Massiv und im Himalaya, was die Trinkwasserversorgung von Millionen Menschen gefährdet, denn die mächtigen Flüsse von heute werden durch den Klimawandel zu den kärglichen Rinnsalen von morgen. Auch die gewaltigen Eismassen an den Polen schmelzen und tragen so dazu bei, dass sich der Meeresspiegel anhebt. Nicht nur für knapp über dem Meeresspiegel liegende Südseeparadiese ist dies ein tödliches Problem, sämtliche Küstenstaaten werden die Folgen zu spüren bekommen.

Die Auswirkungen auf die Tierwelt sind gravierend. Im niederländischen Wattenmeer erschienen die Zugvögel seit Jahrhunderten um den 25. April, ihre Küken schlüpften um den 3. Juni. Die Ökosysteme hatten sich so aufeinander eingestellt, dass zu dieser Zeit auch Raupen schlüpften, die die Nahrungsgrundlage der Vögel bildeten. Doch mittlerweile schlüpfen die Raupen schon zwei Wochen früher als die Küken, so dass die Küken einerseits nicht mehr genug Nahrung haben und die undezimierte Raupenpopulation andererseits große Umweltschäden anrichtet. Es wandern auch neue Arten ein, die die ökologischen Nischen wieder schließen, wie beispielsweise Borkenkäfer in Alaska, die den Baumbestand vernichten.

Auch Städte, die bewusst oberhalb der "Moskitohöhe" gegründet wurden, leiden neuerdings unter einer Moskitoplage. Moskitos können Krankheiten auf Mensch und Tier übertragen. Durch die Meereserwärmung kommt es zu einem Korallensterben, das viele Fischarten aussterben lässt.

Diese Aufzählung ließe sich noch sehr weit fortsetzen, würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen. Sehr anschaulich und gut verständlich wird die Thematik im Film "Eine unbequeme Wahrheit" dargestellt. Wer mehr wissen möchte, sollte sich diesen Film ansehen.


Fleischerzeugung und Massentierhaltung

Nach diesem Exkurs zurück zum vegetarischen Lebensstil: Einer der größten Faktoren des Klimawandels ist nicht nur das CO2, sondern auch das Gas Methan. Es ist noch klimaschädlicher als CO2 und wird vor allem durch die Rinderhaltung freigesetzt.

Für jedes Stück Wurst, jedes Schnitzel und jedes Kotelett werden Tiere gemästet, um bei der Schlachtung möglichst viel verwertbares Fleisch auf den Rippen zu haben. Ein hohes Schlachtgewicht bedeutet schließlich einen höheren Gewinn für die Erzeuger. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Tiere auf engem Raum gehalten und weit über ihren natürlichen Bedarf hinaus gemästet - mit Getreide, Soja und anderen pflanzlichen Nahrungsmitteln, von denen viele Menschen satt werden könnten. Diese Massentierhaltung führt zu erheblichen Mengen tierischer Ausscheidungen. Gülle, Nitrat, Methan und Ammoniak gelangen so in die Atmosphäre, beschleunigen den Treibhauseffekt und tragen zum Klimawandel bei. 65% aller Lachgasemissionen stammen aus der Tierzucht, hauptsächlich aus Stallmist. Lachgas hat einen 300mal stärkeren Treibhauseffekt als Kohlendioxid. Rinder erzeugen 37% des globalen Ausstoßes vom Treibhausgas Methan. Pflanzliche Nahrung muss für den Fleischkonsum erst im Tiermagen in Fleisch umgewandelt werden - was zu einem erheblichen Mehraufwand an Land, Wasser und Futter führt. Die Fleischproduktion ist also eine enorme Ressourcenverschwendung: Um eine fleischliche Kalorie zu erhalten, müssen durchschnittlich sieben pflanzliche Kalorien verfüttert werden. Die Autorin Bettina Goldner schreibt in ihrem Buch "Umweltfreundlich vegetarisch": "Ein zweijähriges Mastrind bringt ungefähr 300 kg Fleisch auf die Waage. Dazu mussten 14.600 l Wasser verbraucht und 3500 kg Soja und Getreide an das Tier verfüttert werden."

Die Schlachttiere müssen auch trinken, also wird das Grundwassersystem angezapft, dessen Spiegel in vielen südlichen Ländern seit Jahren kontinuierlich sinkt. Auch für den Anbau der Futtermittel werden enorme Mengen Wasser verbraucht.


Futtermittel

Diese Futtermittel wiederum müssen, um die Kosten für das Fleisch möglichst gering zu halten, sehr günstig produziert werden. Günstige Nahrungsmittel kommen meist aus Entwicklungsländern, wo große Konzerne ohne strenge Umweltschutzauflagen produzieren können. Große Monokulturen gelten dabei als besonders wirtschaftlich. Sie bedeuten jedoch eine erhöhte Anfälligkeit für Schädlinge und müssen deswegen besonders intensiv mit Pestiziden behandelt werden - was zu chemischen Rückständen im Grundwasser führt. Aber auch die industrielle Produktion dieser Düngemittel selbst schädigt bereits die Umwelt. Außerdem laugt die intensive landwirtschaftliche Nutzung die Böden aus - nach einigen Jahren können die Böden die Saat nicht mehr mit genügend Nährstoffen versorgen. Versteppung ist die Folge. In diesen Gebieten kann sich dann Wüste besonders gut ausbreiten. Wüste meint jedoch die Abwesenheit von Bäumen und Sträuchern, die Treibhausgase binden können, und somit eine Verschärfung des Klimawandels.

Noch günstiger als Futter zu kaufen ist es oft, die Tiere zumindest eine Weile auf Weiden sich selbst zu überlassen. Besonders preiswert sind diese Weideflächen, wenn sie zum Beispiel als Abfallprodukt der Holzindustrie aus abgeholzten Regenwaldflächen abfallen. Die FAO hat herausgefunden, dass auf rund 70% des ehemaligen Regenwaldgebietes heute Rinder weiden, deren Fleisch in alle Welt exportiert wird. Die verbleibenden 30% der Fläche dienen fast ausschließlich dem Anbau von Futtermitteln. Die Abholzung des Regenwaldes wiederum begünstigt Klimawandel und Artensterben. Durch das Fehlen großer Waldflächen kann weniger CO2 gespeichert werden.

Apropos Soja: Immer wieder wird der aberwitzige Vorwurf laut, Vegetarier seien für die Abholzung des Regenwaldes verantwortlich. Schließlich werden viele vegetarische Produkte aus Soja hergestellt und das wachse bekanntermaßen auf ehemaligen Urwaldflächen. Der Fehler im Vorwurf: Soja wird vor allem zur Futtermittelherstellung angebaut - über 80% des Sojas werden zu Tierfutter für fleisch- und milcherzeugende Tiere. Viele der Soja-Produkte für die direkte menschliche Ernährung hingegen stammen aus Europa oder aus zertifiziertem Anbau (Herstellerangaben beachten!).

Momentan sieht es nicht gut aus für das Klima: Der weltweite Fleischkonsum steigt, denn Schwellenländer wie China übernehmen den westlichen, fleischbasierten Lebensstil. Das verstärkt den Klimawandel. Voraussichtlich wird der weltweite Fleischkonsum bis 2050 auf 465 Millionen Tonnen ansteigen.

Sind Vegetarier also die besseren Klimaschützer? Leider ist es nicht ganz so einfach. Auch Milchprodukte tragen erheblich zur globalen Erwärmung bei. Die Kühe, Schafe und Ziegen, welche die Milch produzieren, stoßen große Mengen Methangas aus.

Am klimafreundlichsten leben also Menschen, die sich ausschließlich vegan ernähren. In Fachgeschäften finden sich heute eine Menge rein pflanzlicher Alternativen, mit denen sich Produkte wie Butter, Milch, Sahne, Käse und Co. hervorragend ersetzen lassen. Rein pflanzlich lebt es sich ohnehin tierleidfreier und gesünder, wie verschiedene Studien immer wieder zeigen. Jeder, dem Umweltschutz ein Anliegen ist, kann durch den regelmäßigen Konsum von rein pflanzlichen Produkten eine Menge für die Natur und das Klima tun.

Natürlich, werden Skeptiker nun sagen, das ändere doch nichts am hohen Fleischkonsum der Weltbevölkerung! Warum also sich selbst die Mühe machen und den Verzicht (so er denn überhaupt als solcher empfunden wird) üben, wenn ohnehin die Katastrophe unausweichlich ist?

Wie heißt es so schön in einem bekannten Lied: "Wenn viele einzelne Menschen an vielen Orten viele kleine Dinge tun, dann können sie das Gesicht der Welt verändern!" Was wäre, wenn sich ein pflanzenbasierter Lebensstil durchsetzen würde? Ernährungsgewohnheiten sind keine festen Gesetze, und es liegt an jedem und jeder einzelnen, etwas an den herrschenden Verhältnissen zu ändern.

Übrigens: Bioprodukte kommen weitgehend ohne chemische Düngung und Pestizide aus. Sie sind also nicht nur gesünder als konventionelle Produkte, sondern schonen gleichzeitig das Klima. Regionale und saisonale Produkte (gibt es zum Beispiel auf dem Wochenmarkt) haben keine langen Transportwege hinter sich und entlasten die Umwelt noch zusätzlich - allerdings sind diese Einsparungen bei weitem nicht so groß wie jene, die sich mit einem weitgehenden Verzicht auf tierische Produkte erreichen lassen.

Was hat also nun Vegetarismus mit Klimaschutz zu tun? Global gesehen spielt die Nutztierhaltung eine große Rolle bei der Zerstörung unseres Planeten. Die Ernährung muss folglich eine Schlüsselrolle bei der Klimarettung spielen. Vernachlässigbar ist dieser umfassende Faktor nicht. Alle Menschen, die auch noch in einigen Jahrzehnten auf diesem Planeten leben wollen, fangen am besten direkt damit an - denn Klimarettung geht durch den Magen.


Treibhauseffekt verschiedener Ernährungsweisen
pro Kopf und Jahr dargestellt in Autokilometern.

Weitere Infos dazu: www.vegetarismus.ch/km

Ernährung ohne Fleisch und ohne Milchprodukte
(= rein pflanzlich/vegan):
bio: 281 km
konventionell: 629 km

Ernährung ohne Fleisch mit Milchprodukten
(= vegetarisch):
bio: 1978 km
konventionell: 2427 km

Ernährung mit Fleisch und Milchprodukten
bio: 4377 km
konventionell: 4758 km


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Jeder verspeiste Hamburger hat sechs Quadratmeter Urwald gekostet. (Die Zeit)

Die Erde hat genug für die Bedürfnisse eines jeden Menschen, aber nicht für seine Gier. (Mahatma Gandhi)

Schließlich wird die Verelendung ganzer Völker und Nationen auch durch die Zerstörung der Umwelt ausgelöst, durch Umweltverschmutzung, unsauberes oder mangelndes Wasser, Erderwärmung. Und auch hier spielt die Gier nach frischtoten Tieren eine Rolle, denn eine erschreckende Zahl macht seit kurzem die Runde: 51 Prozent! Bisher nahm man an, dass Viehhaltung für etwa 18 Prozent der Klima erwärmenden Gase verantwortlich sind, diese Zahl gaben die UN vor drei Jahren in ihrer wegweisenden Studie "Livestock's Long Shadow" heraus. Jetzt hat das renommierte World Watch Institut eine neue Zahl veröffentlicht: Für mindestens 51 Prozent ist der von Menschen für den menschlichen Konsum geschaffene Tierbestand verantwortlich - wenn man neben dem von den UN unterschätzten Methan auch Abholzung und Atmung einberechnet. Das ist nun überhaupt keine Privatsache mehr.
(Sueddeutsche.de)

Wenn alle Menschen Vegetarier wären, könnte die globale Erwärmung kontrolliert werden.
(Physics World)


ZUM WEITERLESEN:

Goldner, Bettina: Umweltfreundlich vegetarisch. Genussrezepte mit CO2-Berechnungen. Hädecke 2009. ISBN 978-3-7750-0561-6.

ZUM WEITERSURFEN:

• www.vebu.de/umwelt
• www.vegetarismus.ch/klimaschutz
• www.fao.org (Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen. Die Seite hält viele interessante Studien parat. Leider nur auf Englisch.)

ZUM ANSCHAUEN:

- Eine unbequeme Wahrheit. Dokumentarfilm von Davis Guggenheim mit Al Gore aus dem Jahre 2006. Informationen zum Film unter www.eine-unbequeme-wahrheit.de


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Quelle:
natürlich vegetarisch 02/10 - Frühling 2010, S. 14-17
61. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
Redaktionsadresse:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2010